Noch während zwei Wochen ist sie im Kunstmuseum Luzern zu sehen, die Ausstellung «Bellevue – Robert Zünd und Tobias Madörin». Danach erinnert nur noch der Ausstellungskatalog, erschienen im Verlag Scheidegger & Spiess, an diese interessante Gegenüberstellung des realistischen Naturmalers Robert Zünd (1827–1909) und des Fotografen Tobias Madörin (*1965). Was beide gemeinsam haben: Sie sind von Landschaften fasziniert und versuchen diese ebenso stimmungsvoll wie realistisch wiederzugeben. Ungleich sind ihr Stil und ihre Technik, die sie für ihre Kunstwerke verwenden. Zünd war mit Skizzenbuch und Staffelei unterwegs, Madörin hält seine Eindrücke mit einer grossformatigen Fachkamera auf dem Stativ fest. Jeder nutzt das beste Werkzeug zu seiner Zeit, und jeder zeigt uns Landschaften, die begeistern – die sich ähneln und doch anders sind. Das ist es, was uns die Ausstellungsmacher zeigen wollen, und was in einem hervorragend gestalteten Ausstellungskatalog Bestand haben wird, lange nachdem die Ausstellung in Vergessenheit geraten ist.
Malerei und Fotografie befinden sich hier in einem spannenden Dialog, den man in der jeweiligen Zeitepoche sehen muss. Robert Zünds Werke fallen in eine Zeit, als die Fotografie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusehends an Popularität gewann. Was hier an neuem technischen Gerät auftauchte trat in vielen Bereichen an die Stelle von Pinsel und Leinwand und machte den Malern das Leben schwer. Die Kunden, welche sich in mehreren Sitzungen porträtieren liessen, wurden immer weniger, dafür machten die von Disdéri erfunden «Cartes-de-visit» die Runden. Ebenso in der Landschaftsdarstellung, wo die fotografischen Impressionisten in Mode kamen und die Malerei immer mehr in neue Stilrichtungen trieb.
Robert Zünd konnte diesen neuen Tendenzen widerstehen, sowohl dem Impressionismus und Surrealismus wie auch der Fotografie. Zwar soll er sich sehr für die neuartige fotografische Technik interessiert, doch diese Technik nie für seine Werke praktisch genutzt haben. Das Skizzenbuch und seine persönliche Erinnerung an Situation und Stimmung waren seine Werkzeuge.
Ob es Tobias Madörin heute mit seiner Grossformatkamera heute einfacher hat? Nicht wirklich, denn Landschaftsfotografie ist mit viel Aufwand und einer gehörigen Portion Glück verbunden. Mehr als die Malerei, die im Nachhinein eine gewisse Interpretation zulässt, muss sich der Fotograf intensiv mit dem besten Aufnahmezeitpunkt der passenden Lichtsituation und den Wettereinflüssen auseinandersetzen, muss den Aufnahmestandort unter Umständen mehrmals aufsuchen, bis ihm das perfekte Bild gelingt, welches in seiner Art einmalig ist. Madörin ist Perfektionist. Er geht in seiner Arbeitsweise langsam und behutsam vor, wählt den besten Standort, stellt die Kamera ein, misst die Belichtung, kontrolliert nochmals die Schärfe auf der Mattscheibe, legt die Kassette ein und wartet. Nichts bringt ihn aus der Ruhe. Die Landschaft läuft nicht davon, und gespannt verfolgt er das kleinste Detail, das hinterher das Bild stören könnte – die Autos, die gerade aus dem Bildfeld fahren, die Leute, die langsam entschwinden, die Wolken, die eine immer schönere Formation annehmen … Dann drückt er den Auslöser. Die konzentrierte Arbeitsweise lohnt sich, denn die grossformatigen Planfilme sind nicht nur teuer sondern lassen – im Gegensatz zur trendigen Digitalfotografie – keine nachträgliche Korrektur zu. Madörin konnte der digitalen Versuchung bisher widerstehen. Seine Welt ist analog – die «einzig richtige Fotografie». Genauso, wie sich Robert Zünd nicht von der konkurrenzierenden Fotografie beeinflussen liess.
«Bellevue» ist ein spannender Dialog zwischen zwei Künstlern zu unterschiedlichen Zeitepochen, jedoch mit gleichen Zielsetzungen einer realistischen Darstellung von Landschaften der Zentralschweiz. Die Werke nebeneinander zu sehen und diese vergleichen zu können, ist ein beeindruckendes Experiment, das uns nicht nur den Wandel der Landschaft auf faszinierende Weise vorführt, sondern noch mehr die persönliche Ausdrucksweise der beiden Künstler – in einem spannenden Dialog.
Urs Tillmanns
Die Ausstellungsbeschreibung des Kunstmuseums Luzern
Robert Zünd (1827–1909), in der Zentralschweiz auch «Meister des Buchenblatts» genannt, wird nicht einfach in seiner ganzen Schönheit gezeigt, sondern seine Präzision soll auch uns, die heutigen Besucherinnen und Besucher des Kunstmuseums, zum genauen Hinschauen verführen. Daher werden Robert Zünds Gemälden die Fotografien von Tobias Madörin (*1965) gegenübergestellt. Aufgrund des Titels oder der dargestellten Landschaft ist bei vielen Werken Zünds der Standort des Künstlers bekannt (auch wenn er in der freien Natur nur skizzierte und seine Sujets anschliessend im Atelier malte). Tobias Madörin ist seit Frühling 2016 draussen unterwegs, um mit seiner analogen Grossformatkamera dieselben Ansichten wie Robert Zünd einstmals festzuhalten. Dank der Langsamkeit wie auch des Detailreichtums, die der Arbeit mit der Grossformatkamera eigen ist, haben die Fotografien Madörins eine mit Zünds Gemälden vergleichbare Intensität, wenn es um die Genauigkeit des Blicks geht. Das Schauen, der Blick, kurz die Bildkompetenz sind das eigentliche Thema der Ausstellung von Robert Zünd und Tobias Madörin. > Webseite
Die Buchbeschreibung des Verlages
Eichenwald, Pilatus und Vierwaldstättersee: Der Maler Robert Zünd (1827–1909) begeistert uns noch immer mit seinen naturgetreuen Darstellungen sommerlicher Landschaften. Auch «Meister des Buchenblatts» genannt, malte Zünd Motive, die ihn faszinierten – die Krienser Schellenmatt etwa – in mehreren Varianten: detailreich und harmonisch komponiert.
In diesem Buch werden Zünds Landschaften den seit Frühling 2016 aufgenommenen Fototableaus von Tobias Madörin (*1965) gegenübergestellt. Der Künstler durchstreifte mit seiner analogen Grossformatkamera die Schweiz und suchte dabei auch – aber nicht nur – die Standorte des Malers auf. Mit ihrer Intensität und ihrem Detailreichtum stehen Madörins Fotografien auf Augenhöhe mit Robert Zünds Gemälden. Fanni Fetzer und Dominik Müller beleuchten in ihren kunsthistorischen Betrachtungen die Begegnung von Zünd und Madörin, der amerikanische Historiker Jonathan Steinberg greift die politische Kultur der Schweiz damals und heute auf. In Bild und Text regt das Buch zum Dialog über die vergangene und die gegenwärtige Landschaft um Luzern an. > Webseite
Der Inhalt
«Spazieren» (Walks) von Fanni Fetzer
«Unter freiem Himmel» (In the Open) von Dominik Müller
«Luzern damals: Erinnerungen und Veränderungen» (Lucerne in the Past Memories and Changes) von Johann Steinberger
Biografien und Werkbeschreibungen
Die Autoren und Herausgeber
Fanni Fetzer (*1974), Direktorin des Kunstmuseums Luzern. 2006–2011 Leiterin des Kunsthaus Langenthal.
Dominik Müller (*1981), Kunsthistoriker und seit 2015 Exhibition Manager am Kunstmuseum Luzern. Davor wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum Tinguely in Basel.
Johann Steinberger (*1934, New York City), Historiker der Neuzeit sowie profunder Kenner der Schweiz und ihrer Geschichte. Professor für moderne europäische Geschichte an der University of Pennsylvania.
Bibliografie
Bellevue – Robert Zünd (1827–1909) – Tobias Madörin (1965)
Malerei und Fotografie im Dialog über Landschaft
Herausgegeben vom Kunstmuseum Luzern. Mit Beiträgen von Fanni Fetzer, Dominik Müller und Jonathan Steinberg
2017, 24 x 32.5 cm, gebunden, broschiert
Texte Deutsch und Englisch
130 Seiten, 78 farbige und 2 sw Abbildungen
mit 3 Ausklappseiten
Preis CHF 49.00 | EUR 48.00
ISBN 978-3-85881-555-2
Das Buch ist im Shop des Kunstmuseums Luzern erhältlich kann hier online bestellt werden.