Gastautor/-in, 25. August 2019, 10:04 Uhr

Rote Schuhe in Hamburg

Es war irgendwann an einem lauen Sommerabend bei Christian und Zaboo. Auf dem Grill brutzelten duftige Fleischstücke und in den Gläsern gab es köstlichen Rotwein von der Insel Elba. Elba spielt im Leben der Beiden eine wichtige Rolle: Zaboo hat dort einen Teil ihrer Jugend verbracht, und beide führen seit bald zwanzig Jahren Fotokurse auf Elba durch. Wir diskutierten über die Trends in der Fotografie, vor allem über das Quadrat, das sich in vielen Fällen als optimales und harmonischstes Format erweist. «Da fällt mir unser Erlebnis mit den Roten Schuhen in Hamburg ein» sagt Zaboo zu Christian «das sind doch auch alles Quadrate, eigentlich mein liebstes Format …»

 

«Rote Schuhe in Hamburg» war dann das Stichwort des Abends, und Zaboo erzählte eine ebenso lustige wie eigenartige Geschichte. Es gibt Ereignisse, die müssen einfach geschehen – sie müssen offensichtlich so ablaufen, wie sie vorbestimmt sind …

 

 

«Wir waren für vier Tage in Hamburg. Kaum angekommen und das Gepäck abgelegt, gingen wir mit einem langjährigen Freund in die Stadt, ein humorvoller HNO-Arzt, der schon das Unmöglichste gesehen und erlebt hat. Er wollte uns Hamburg zeigen und führte uns zum Flohmarkt. Dort haben wir ein paar alte Brillen fürs Studio gekauft und waren gerade dabei, langsam wieder rauszugehen – laaangsam mit dem Blick seitlich auf die ausgelegte Ware gerichtet – was durchaus zu Kollisionen mit anderen Besuchern führen kann.

 

Plötzlich sprach mich eine jüngere Frau an, die nur wenige Gegenstände auf dem Boden vor sich liegen hatte – darunter ein paar knallrote Damenschuhe mit hohen Absätzen. «Ich hab’ ein paar Schuhe für Sie» sagte sie und hielt mir das Paar hin. Als ich abwinkte und sagte, ich trüge keine roten Schuhe und schon gar nicht mit hohen Absätzen, wurde ihr Tonfall bestimmter: «Bitte nehmen Sie diese. Sie müssen sie nehmen, denn sie sind für sie bestimmt!»

 

 

Ich bedankte mich ablehnend, denn ich hätte dafür keine Verwendung, und zu ihr würden sie ja besser passen. Als ich dann versuchte weiterzugehen, stand sie auf. Mit «Sie müssen diese Schuhe haben …» drückte sie mir das rote Paar in die Hände. Ich wagte einen weiteren Versuch einer Widerrede, wurde unsicher, zögerte, fing an zu überlegen – steht da eine Liebeskummer-Geschichte dahinter? Trotzdem wehrte ich mich noch: «Ich möchte sie aber nicht kaufen! Sie sehen mich ja, ich würde doch nie solche Schuhe tragen – und schon gar nicht in Grösse 41 … ich, mit meiner 38er-Fussgrösse!»

 

Ihr Gesichtsausdruck wandelte sich von Aufdringlichkeit zu Gewissheit: «Doch, Sie nehmen die Schuhe! Sie sind für Sie bestimmt. Ich weiss das – und deshalb schenke ich sie Ihnen …» Irgendwie spürte ich, dass da etwas passiert, was ich nicht begreifen konnte, was aber offensichtlich einen tieferen Sinn haben musste. Ich nahm die Schuhe, bedankte mich – und die Dame war verschwunden …

 

Jetzt standen wir da, mitten in Hamburg, mit einem Paar roten Schuhen, die mir viel zu gross waren, und mein Rucksack zu klein, um sie darin zu verstauen. Was machen wir nun damit? Es waren schöne Schuhe – auffällige Schuhe! Ich nahm sie in die Hand und wir gingen weiter … Es war sonnig und warm. «Wir könnten sie doch spazieren führen und sie fotografieren» sagte ich Christian, der mich zuerst verdutzt musterte, bis sich sein Gesicht erhellte … Da an der Alster, dort in einem Geschäftsviertel, im Hafen, in der Speicherstadt, als Dekor in einer Einkaufsstrasse, vor dem Springer-Gebäude, wo ich einen Schuh unzählige Male hochwarf, bis ihn Christian so im Kasten hatte, wie er wollte. Die Schuhe gehörten nun plötzlich dazu – und sie zeigten mir, wo sie gerne eingebettet sein wollten. Sie wurden zum Spiel zwischen Christian und mir: wohin wollen die Schuhe geführt werden? Was wollen sie sehen, was wollen sie erleben? 

 

Einmal wollten sie mit einer Flugzeug-Werbung abgelichtet werden. Dann galt es, sie hochzuschaukeln, während Christian das gemeinsame Porträt abdrückte. Ein anderes Mal wollten sie sich einfach mal ohne uns ausruhen und mit anderen Leuten in Kontakt treten. Einmal blieb eine Familie stehen und meinte, das Paar sei wohl vergessen worden, bis sie auf uns aufmerksam wurden. «Das ist Kunst!» sagte der Vater, und die Familie zog weiter. Christian und ich schauten uns an: Na, ist das so? Was ist denn Kunst?

 

 

Ich glaube, man darf nicht zu viel «Kunst machen wollen», aber es ist gut, eine Situation auf sich wirken zu lassen, zu horchen, zu beobachten, und einfach dem zu folgen, was man spürt. Gewisse Situationen drängen sich auf, Wege öffnen sich, es passt einfach: dann drückt Christian ab.

 

 

Ob es wirklich Kunst ist, werden andere später, viel später entscheiden. Für uns sind die roten Schuhe in Hamburg zu einem spannenden Projekt geworden, das uns einfach so zugelaufen ist. Die roten Schuhe, die unbedingt für mich bestimmt waren, obwohl Grösse und Farbe nicht passten, wurden zu einem eindrücklichen Erlebnis. Sie haben uns Hamburg auf eine ganz besondere Art gezeigt, und wir konnten damit eine faszinierende Arbeit realisieren, die uns viel Freude machte. Danke, der geheimnisvollen Dame, dass sie so auf ihrer Überzeugung bestanden hatte … und uns dadurch eine neue Dimension offenbart hat»

 

Welcher ist wohl der nächste Ort, den wir gemeinsam erkunden? Welcher Begleiter wird uns führen? Kommen die Roten Schuhe auf eine neue Reise mit?

 

Text und Fotos:
Zaboo und Christian Herbert Hildebrand, fotozug.ch

 

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