Urs Tillmanns, 1. Februar 2020, 11:35 Uhr

Die Fotopioniere der Suisse Romande

Über die Anfänge der Fotografie in der Schweiz ist recht viel bekannt, mit Namen wie Andreas Gerber, einem der Erfinder der Fotografie, dann Johann-Baptist Isenring, dem ersten Berufsfotografen der Schweiz oder Franziska Möllinger, der ersten Fotografin in unserem Land, um nur einige Namen von vielen zu nennen. Während die Geschichte der Fotografie in der Deutschschweiz weitgehend erforscht und Gegenstand vieler Publikationen ist, wissen wir relativ wenig über die Anfänge der Fotografie in der französischen Schweiz. Dem schafft die gegenwärtige Ausstellung «Pionniers de la Photographie en Suisse Romande» Abhilfe, die noch bis 31. März 2020 im Museum Tavel in Genf zu sehen ist.

Die Ausstellung war Dank der Kooperation der Stadt Genf mit der Stiftung Auer Ory möglich, die wahrscheinlich die grösste Privatsammlung zur Fotogeschichte sein dürfte. Michel und Michèle Auer sammeln seit mehr als sechs Jahrzehnten fotografische Raritäten, pflegen ein einzigartiges Archiv und verfügen über ein immenses Fachwissen. Dies bietet Gewähr, dass in der Ausstellung im Museum Tavel in der Genfer Altstadt nur originale Exponate von höchster Güte gezeigt werden, die in ihrer Einmaligkeit die ersten 25 Jahre der Fotografie (1839 bis 1874) in der Westschweiz eindrücklich und umfassend darstellen.

 

Der Ausstellungsraum ist mit Bildvorhängen, welche eine Szene aus dem alten Genf zeigen, so unterteilt …

… dass einzelne Kojen entstehen, in welchem die Exponate nach Epochen und Themen geordnet präsentiert werden. Inserts © Fondation Auer Ory

Die Ausstellung ist in fünf Bereiche unterteilt und bringt so dem Besucher die Anfänge der Fotografie in der Suisse Romande aus verschiedenen Aspekten näher:

«Lichtempfindliche Phänomene» erklärt die Primärverfahren der Fotografie theoretisch und anhand von für die Westschweiz typischen Originalen: die Daguerreotypie (benannt nach dem französischen Erfinder Louis-Jacques Mandé Daguerre), sowie die Kalotypie (als erstes Negativ-Positivverfahren von Hippolyte Bayard und William Henry Fox Talbot).

 

Ein nachgestelltes Atelier aus der Frühzeit vermittelt einen Eindruck, wie damals fotografiert wurde. Objekte Fondation Auer Ory

«Beim Fotografen» entführt uns mit einem nachgestellten Atelier aus der Frühzeit in das Umfeld des Fotografen, mit seinen grossen Holzkameras, den Stativen, den Kopfhaltern, damit während der langen Belichtungszeit das Stillsitzen einfacher war, den gemalten Hintergründen und einem vielfältigen Dekor, das je nach gesellschaftlicher Stellung des Porträtkunden zum Einsatz kam.

 

Ein besonderes Juwel ist die Daguerre-Kamera aus der Fondation Auer Ory. Sie soll die älteste Kamera der Schweiz sein. Objekt Fondation Auer Ory

«Die perfekte Zeichnung» führt uns die Bedeutung der Fotografie zur Erfinderzeit vor Augen. Während bisher Porträts und landschaftliche Darstellungen den Zeichnern und Malern vorbehalten war, trat nun plötzlich ein chemischer Prozess an ihre Stelle, welcher ein viel genaueres, schnelleres und vor allem billigeres Abbild zum Vorschein brachte. Die Maler bangten zurecht um ihre berufliche Zukunft, und Fotografien konnte sich – vor allem in späteren Epochen – jedermann leisten.

 

Das  Wissen um das räumliche Sehen ist älter als die Fotografie. So kamen schon zur Erfinderzeit die ersten stereoskopischen Bilder auf den Markt und wurden bald sehr populär. Inserts © Fondation Auer Ory

«Die Suche nach der räumlichen Darstellung» erklärt uns das stereoskopische, räumliche Betrachten von Doppelbildern, die gleichzeitig mit einer Kamera mit zwei Objektiven aufgenommen und in einem augengetrennten Gerät – dem Stereoskop – betrachtet werden konnten. Die Ausstellung zeigt sehr eindrucksvolle Bildbeispiel aus dem alten Genf und umliegenden Regionen.

 

Drei Daguerreotypien um 1850 aus der Ausstellung (v.l.n.r.):  Jean-Gabriel Eynard «Le photographe avec deux enfants»,  Samuel Heer «Petit chien assis sur une caisse» und Auguste Garcin «Enfant sur son cheval de bois». © Fondation Auer Ory

«Die Pioniere der Westschweiz» zeigt eine einmalige Bildersammlung von Daguerreotypien, Ambrotypien, Kalotypien und späteren Cartes-de-visites, die von den ersten Fotografen der Suisse Romande aufgenommen worden sind. Namen wie Jean-Gabriel Eynard, Auguste Garcin, Samuel Heer, Paul-Louis Vionnet, Jean Walther und viele andere begegnen uns immer wieder.

Der beginnenden Fotografie fiel eine zunehmend wichtige Rolle der sozialen Information zu. Wer etwas auf sich hielt und es sich leisten konnte, liess sich beim Fotografen porträtieren und verschenkte die Bilder guten Freunden oder Liebhaberinnen. Gruppenfotos waren zu Beginn selten, weil Daguerreotypien Unikate waren und keine weiteren Abzüge davon hergestellt werden konnten. Bilder der heimischen Landschaft waren ebenfalls kaum verkäuflich, weil man sie eigentlich nicht brauchte. Hingegen waren die Fotos ferner Länder der Welteroberer gefragt, damit man sich – nicht zuletzt auch im Schulunterricht – eine Vorstellung von den Städten und dem Leben in weit entfernten Kontinenten machen konnte.

 

Auguste Garcin  «Église russe, Genève», vers 1865, Tirage albumine, © Fondation Auer Ory

Interessant ist auch das Gebäude, in welchem die Ausstellung noch bis 31. März 2020 gezeigt wird. Das Haus Tavel ist das älteste ehemalige Privathaus der Stadt Genf, geht auf das 13. Jahrhundert zurück und beherbergt seit 1886 das Museum für Stadt- und Alltagsgeschichte. Es ist in der Altstadt nahe der Kathedrale gelegen und auch abgesehen von der temporären fotogeschichtlichen Ausstellung sehr sehenswert.

Als bleibendes Dokument dieser Ausstellung hat die Fondation Auer Ory eine umfassende Dokumentation zum Thema in Form eines 224-seitigen Buches auf Französisch herausgebracht, das im Museum oder im Buchhandel für CHF 39.00 (ISBN-978-2-8399-2703-1) erworben werden kann. Es ist hervorragend recherchiert und bietet viele Hintergrundinformationen, nicht nur zur Entwicklung und Bedeutung der Fotografie in den Anfängen, sondern auch zu den Biografien der ersten Fotografen in der Westschweiz. Es enthält Texte von Michèle und Michel Auer Ory, von Alexandre Fiette, Mayte Garcia, Marie Gaitzsch und Kathia Reymond. Zudem ist der Band mit auserwählten Bildbeispielen vorbildlich illustriert und in höchster Qualität vierfarbig gedruckt.

Text und Situationsfotos: Urs Tillmanns
Exponate und historische Bilder:
© Fondation Auer Ory, Hermance 

Ausstellung «Les Pionniers de la Photographie» ist noch bis noch bis 1. März 2020 zu sehen im
Maison Tavel
Rue du Puits-Saint-Pierre 6
CH-1204 Genève
Tel. 022 418 37 00
Es ist täglich, ausser Montag, von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet CHF 10.00 / 5.00 und ist kostenlos für Jugendliche bis 18 Jahre

Weitere Informationen finden Sie unter http://institutions.ville-geneve.ch/fr/mah/

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