Der Name «Wolgensinger» war in den 1950er- bis 70er-Jahre so etwas wie ein Inbegriff für perfekte Sach- und Werbeaufnahmen. Michael und seine Frau Luzzi Wolgensinger betrieben in Zürich ein Fotoatelier, und die bekanntesten Firmen und Markennamen waren ihre Kunden. Weniger bekannt sind ihre freien Arbeiten sowie die unzähligen Reportagen und Bildgeschichten, die in Bild- und Themenbänden zu finden sind. Kürzlich ist ein Bildband erschienen, der das reichhaltige Schaffen von Michael und Luzzi Wolgensinger dokumentiert und mit mehr als 200 grössenteils unbekannten Bildern illustriert ist.
Schon der Titel «Mit vier Augen» bringt zum Ausdruck, dass Michael und Luzzi Wolgensinger ihr Leben intensiv zusammen geteilt haben, zwar mit einer klaren Aufgabenteilung bei der täglichen Arbeit im Atelier, jedoch mit gegenseitiger Inspiration und enger Kooperation im kreativen Bereich. Die beiden hatten sich 1933 in der Fotoklasse der Kunstgewerbeschule Zürich, die unter der Leitung von Hans Finsler stand, kennengelernt, eröffneten zusammen ein Fotoatelier 1936 und heirateten zwei Jahre später. Seit dann haben sie ihre Geschäfts- und Privatzeit gemeinsam verbracht, auf unzähligen Reisen und Ausflügen, bei denen die Fotografie immer die zentrale Rolle spielte, aber ebenso im täglichen Arbeitsleben.
Das Buch ist auf Initiativen von Lea Wolgensinger, der Tochter des Fotografenpaares, und ihres Sohnes Balz Strasser entstanden, welche sich während Jahren intensiv mit dem gigantischen fotografischen Nachlass Wolgensingers befasst hatten. Es deckt die gesamte Schaffensperiode des Fotografenpaares ab, von frühesten Reise- und Reportagebildern über beispielhafte Architekturfotos, beeindruckende Industrieaufnahmen bis hin zu perfekt gestalteten Sachaufnahmen, die Spezialität der Wolgensingers. Unverkennbar sieht man in den Aufnahmen die Schule von Hans Finsler und seiner Neuen Sachlichkeit, bei welchem Michael Wolgensinger als Assistent arbeitete.
Auffallend im Buch ist einmal die originelle Gestaltung mit viele doppelseitigen Darstellungen von Fotoalben, Ringbüchern und Kontaktbogen sowie Bildern aus den verschiedenen Ateliers der Wolgensingers, der «Dunkelkammern» und den damaligen Arbeitsräumen. Anderseits entdeckt man in dem Bildband eine Menge unbekannter Bilder der Wolgensingers von ihren Reisen, besonders interessanten Aufträgen, aber auch aus dem Theaterleben Zürichs, welches Michael mit grosser Vorliebe dokumentierte. Die Menge dieser Bilder zeigen das vielfältige Schaffen und die unendliche Kreativität der beiden, die weit über die Sach- und Werbeaufnahmen hinausging, für welche der Name Wolgensinger in erste Linie bekannt war.
Der Bildband wird von sehr informativen Texten von Katharina Lang, Guido Magnaguagno und Lea Wolgensinger begleitet, welche uns einen tiefen Einblick in das Werk und die Philosophie des Fotografenpaares gewähren. Besonders der Text von Lea Wolgensinger führt uns in das Privatleben der beiden, mit ihren Erinnerungen aus der Jugendzeit und den spannenden Kontakte zu den Freundes des Hauses, insbesondere Franz Wurm, César Kaiser und Margrit Läubli, aber auch bekannten Fotografen, wie Werner Bischof, Emil Schulthess, Gotthard Schuh, Max Bill, Walter Herdegg oder Robert Frank, der wohl der bekannteste Lehrling der Wolgensingers war. Sie alle gingen im Haus Wolgensinger ein und aus, das zu einem Treffpunkt der Kreativität und der Freundschaft wurde.
Für wen ist dieses Buch? Als beispielhafte Biografie und Schaffensdokumentation der Wolgensingers gehört es in die Bibliothek von Geschichtsinteressierten und Fotoliebhabern. Es dürfte dereinst ein wichtiges und wahrscheinlich rares Werk zur analogen Zeit und der Fotoszene Zürichs werden. Dann ist es eine vielfältige Sammlung von hervorragendem Bildmaterial, das besonders für angehende Berufsfotografen bezüglich Motivwahl und Bildgestaltung vorbildlich und lehrreich ist. Es bringt uns in eine Zeit zurück, als viel gute Fotografie entstand, die in diesem Bildband über das Leben und Wirken von Michael und Luzzi Wolgensinger perfekt dokumentiert ist.
Urs Tillmanns
Buchbeschreibung des Verlages
Michael Wolgensinger (1913–1990) gehört zu den wichtigsten Schweizer Fotografen der Nachkriegszeit. Mit Reportagen, Porträts, Reise-, Sach-, Industrie- und Architekturaufnahmen sowie mit Theaterfotografie schuf er bis um 1980 ein reiches Werk; ab 1940 entstanden auch preisgekrönte Filme. Ohne die fruchtbare Zusammenarbeit mit seiner Frau Luzzi Wolgensinger-Herzog (1915–2000) wäre das vielseitige Œuvre jedoch nicht entstanden. Die beiden lernten sich während einer Hospitanz an der von Hans Finsler geleiteten Fotoklasse der Kunstgewerbeschule Zürich kennen und eröffneten 1936 ein Atelier, das zum Treffpunkt der Zürcher Künstler- und Theaterszene wurde.
Die von ihrer Tochter Lea Wolgensinger und ihrem Enkel Balz Strasser herausgegebene Monografie stellt Michael und Luzzi Wolgensingers Zusammenarbeit erstmals umfassend und mit vielen bislang unveröffentlichten Bildern vor. Neben einer Einführung von Guido Magnaguagno präsentiert die Kunsthistorikerin Katharina Lang das Werk in thematischen Kapiteln. Lea Wolgensinger gibt einen Einblick ins Atelier- und Familienleben.
Der Inhalt
Erfindergeist und Lebensmut
Text von Guido Magnaguagno
Auf Reisen
Text von Katharina Lang
Von Bauten
Text von Katharina Lang
Erzählen im Film
Text von Katharina Lang
An der Arbeit
Text von Katharina Lang
Von Dingen
Text von Katharina Lang
Im Theaterfotografie
Text von Katharina Lang
Zu Hause unterwegs
Text von Katharina Lang
Geborgenheit und Inspiration – Im Familien- und Freundeskreis
Text von Lea Wolgensinger
Zeugnisse gelebter Solidarität
Text von Guido Magnaguagno
Biografien
Publikationen und Filme
Herausgeber, Autorinnen und Autoren, Bildernachweis
Dank
Impressum
Die Autorinnen und Autoren
Lea Wolgensinger {*1943, Zürich) ist Feldenkrais-Lehrerin und Lehrbeauftragte in Zürich und Tegna {Ti). Befasst sie sich mit dem fotografischen und dokumentarischen Nachlass ihrer Eltern, liess das Gesamtwerk inventarisieren und gestaltete mit ihrem Sohn Balz Strasser eine Homepage (michaelwolgensinger.ch). 2012 liess sie das gesamte filmische Werk von Luzzi und Michael Wolgensinger digitalisieren und übergab es der Cinematheque Suisse.
Balz Strasser {*1973, Zürich), Sohn von Lea Wolgensinger, ist Agrarökonom ETH und hält ein Diplom in Wissensmanagement sowie ein Doktortitel der Universität Zürich im Bereich Humangeografie. Leitete verschiedene Unternehmen und war Generalkonsul des EDA in Bangalore, Südindien. War seit Kindheit fasziniert von den verschiedenen Fotobüchern seiner Grosseltern und assistierte bei verschiedenen Projekten des Wolgensinger-Archivs.
Katharina Lang (*1985, Glarus) ist Kunst-, Sozial- und Wirtschaftshistorikerin. Lizenziat und Publikation über den Fotografen Roger Humbert. Wissenschaftliche Mitarbeit in der Fotostiftung Schweiz, der Kunstsammlung des Kantons Zürich und der Graphischen Sammlung I Fotoarchiv der Zentralbibliothek Zürich. Parallel dazu Kuratorin diverser Ausstellung im Glarnerland und in Zürich. Seit 2018 zudem Jurymitglied und Mitkuratorin der Jungkunst in Winterthur.
Guido Magnaguagno (*1946, St. Gallen) ist Kunsthistoriker und verfasste eine Lizenziatsarbeit über den Beginn des Fotojournalismus in der Schweiz. Kurator (1980-2001) und ab 1987 Vizedirektor am Kunsthaus Zürich. Jahrzehntelanges Mitglied der Schweizerischen Stiftung für die Fotografie. Kuratierte diverse Ausstellungen und verfasste Bücher z.B. über Ernst A. Heiniger, Herbert Matter, Werner Bischof, Jakob Tuggener, Hans Staub, Paul Senn, Robert Frank und andere. Heute ist er als freischaffender Ausstellungsmacher und Publizist tätig.
Bibliografie
Das Fotoatelier Luzi und Michael Wolgensinger «Mit vier Augen»
1. Auflage, 2019, 228 Seiten, 82 farbige und 132 sw Abbildungen
gebunden, fester Umschlag, Format 24 x 32 cm
Herausgegeben von Lea Wolgensinger und Balz Strasser.
Mit Beiträgen von Katharina Lang, Guido Magnaguagno und Lea Wolgensinger
Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich
Preis: CHF 65.00, EUR 58.00
ISBN 978-3-85881-479-1
Das Buch kann im Buchhandel erworben, beim Verlag bestellt und hier im Ausland online bestellt werden.