Vera Rüttimann, 15. November 2020, 17:19 Uhr

Von Luzern nach Berlin – mit Eva Brunner im Gespräch

Die Schweizer Fotografin Eva Brunner lebt seit 1987 in Berlin, ist dort als Autorin und Fotografin tätig und konnte im Rahmen des «Monat der Fotografie Off» ihre jüngste Arbeit «No Escape from Paradise» zeigen. Worum es sich dabei handelt, wie Eva Brunner die Berliner Fotokunstszene wahrnimmt und welche Beziehungen sie zu grossen Fotografen wie Arno Fischer und Sven Marquardt pflegte, wollte Vera Rüttimann in einem Interview erfahren.

Eva Brunner in ihrer Ausstellung «No Escape from Paradise»

Fotointern: Eva Brunner, was haben Sie in Ihrer gerade zu Ende gegangenen Ausstellung «No Escape from Paradise» in der HAZE Gallery in Berlin gezeigt?

Eva Brunner: In der HAZE Gallery an der Bülowstrasse 11 zeigte ich vom 16. Oktober bis zum 8. November 2020 Bilder, die den Garten Eden zum Thema haben. Naturaufnahmen, die zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit oszillieren. Man sehnt sich nach dem guten Schönen und nach einer intakten Natur, aber das ist meist nur eine Illusion. So möchte ich auch die Verletzlichkeit und Vergänglichkeit der Natur zeigen und die Eingriffe des Menschen.

Wo sind diese Bilder entstanden und in welchem Stil sehen Sie sie?

Die meisten in Berlin. So etwa im Botanischen Garten, im Tiergarten oder am Schlachtensee. Andere auch auf Reisen in Länder wie Spanien und Griechenland. Ich vermische gerne Traum und Realität. Das ist in meinem Werk ein durchgehendes Motiv. Ich arbeite eher intuitiv, weniger dokumentarisch. Was ich zeige, sind innere Bilder.

Von wem wird die Figur in Ihren Bildern dargestellt?

Sie wird dargestellt von Bernhard Kempen, meinem Mann, und ja, man kann sagen, meiner künstlerischen Muse und meinem «Lieblingsmodel» seit sieben Jahren.

Das Künstlerpaar Bernhard Kempen, das «Lieblingsmodel» von Eva Brunner. 

Ihre Ausstellung wurde vom «Monat der Fotografie Off» beworben. Was ist das für eine Plattform?

Neben dem Europäischen Monat der Fotografie, der alle zwei Jahre im Oktober stattfindet und von namhaften Foto-Institutionen und Museen getragen wird, gibt es seit einigen Jahren auch den «Monat der Fotografie Off». Anlässlich des 20. Geburtstages des Pariser Mois de la photo-OFF 2014 schlossen sich Paris Photographique, Organisator des Mois de la Photographie-Off Paris, und die ParisBerlin fotogroup zusammen, um beide Festivals parallel in Paris und in Berlin zu organisieren. Für mich ist es ein wichtiges Netzwerk und ich freue mich, dass die Jury meine Ausstellung mit ausgewählt hat.

 

Was macht für Sie die Fotostadt Berlin denn aus?

Die Vielfältigkeit. Faszinierend ist für mich, dass immer wieder neue Leute aus aller Welt dazu stossen und sich künstlerisch einbringen. Das finde ich sehr spannend. Die internationale Durchmischung der Fotoszene Berlin hat in den letzten zehn Jahren stark zugenommen. Das hat wohl auch damit zu tun, dass es hier viele Ausbildungsstätten für Fotografie gibt. Zu nennen wären hier beispielsweise die Ostkreuzschule, die neue Schule für Fotografie. Es gibt für mich fast zu viele Schulen, denn der Markt kann so viele Fotokünstler gar nicht aufnehmen. Aber offenbar zieht die Fotografie und Fotostadt Berlin immer neue junge Leute an.

 

Sie waren auch dabei, als das legendäre Hotel Bogota schliessen musste.

Das kleine Hotel in der Schlüterstraße 45 aus dem Jahre 1911 ist ein Haus mit viel Geschichte. Helmut Newton etwa ging hier bei der Modefotografin Yva in die Lehre. Von 1976 bis zu seiner Schliessung wurde das Haus von der Familie Rissmann geleitet. Für viele war dieser Ort mehr als ein Hotel. Im Jugendstil eingerichtet und mit nostalgischem Flair, stiegen hier viele Künstler ab. So auch der britische Schauspieler Rupert Everett. Joachim Rissmann ist ein grosser Fotofreund. Er organisierte dort in seinem «Photoplatz» viele Ausstellungen, die ein grosses Publikum anlockten. Als das Hotel finanziell in die Bredouille kam, gab es von Fotografen eine finale Ausstellung, die auch als Solidaritätsbekundung mit Versteigerung gedacht war. Dabei waren auch Bilder von mir. Heute wird das «Bogota» als Büro- und Geschäftshaus genutzt. Wolfgang Joop logierte dort zwischenzeitlich mit seiner Modefirma «Wunderkind».

 

Sie haben erst 2006 begonnen, Fotoausstellungen zu machen. Was hat sie aufgehalten?

Nach der Matura ging ich erst nach Rom. Ich studierte dort Medienwissenschaften mit Schwerpunkt Fotografie. Ich arbeitete zu Anfang als Theaterfotografin. Meine erste Ausstellung fand in einem Theaterfoyer statt. Dann entdeckte ich aber das Schreiben und begann mit dem Verfassen von Theaterstücken.

 

Wie hat Ihre Ausstellungstätigkeit in Berlin begonnen?

Durch das vom Berliner Fotografen Christian Reister betriebene «Fenster 61» an der Torstrasse in Berlin-Mitte, wo ich erstmals meine Bilder öffentlich zeigen konnte. Zuvor hatte ich schon mal in einem Café in Spanien, wo meine Mutter wohnte, ausgestellt.

 

Wie kamen Sie eigentlich von Luzern nach Berlin?

Ich suchte eine Stelle als Regieassistentin und schrieb alle deutschsprachigen Theater an. Nach einem Zwischenhalt am Stadttheater Luzern bewarb ich mich 1987 für das «Aufenthaltsstipendium für junge deutschsprachige Autoren» des Berliner Senats. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass es klappen könnte! Als es dann soweit war, musste ich innerhalb kürzester Zeit in Luzern meine Wohnung aufgeben. So fuhr ich von Luzern nach Berlin. Am Stadttheater Luzern hatte ich zuvor einen Beleuchter kennengelernt, der in Berlin-Charlottenburg eine Parterrewohnung hatte. Sie war dunkel und sperrig, aber ich konnte dort für 250 D-Mark wohnen. Etliche Jahre habe ich dann Fernsehserien ins Deutsche übersetzt. Vor etwa 12 Jahren merkte ich immer mehr, wie sehr mir die Fotografie im Leben fehlte.

 

Wie hat sich Ihr Wiedereinstieg in die Fotografie gestaltet?

Ich habe mich an der Ostkreuzschule bei Arno Fischer beworben. Ich wollte gleich oben einsteigen und wurde tatsächlich angenommen. Fischer war ein Meister der ostdeutschen Dokumentarfotografie und mit seinen Modeaufnahmen stilbildend für Zeitschriften wie «Das Magazin» und «Sibylle». Schon bei den Portfolio-Reviews merkte ich, welch fotografisches Gedächtnis und welchen Kennerblick er hatte. Im Kurs an der Ostkreuzschule, wo er bis zu seinem Tod 2011 lehrte, konnte er auf jeden einzelnen eingehen und dessen Stärken und Schwächen genau benennen. Und das auf eine sehr emphatische Art.

Was hat Ihnen Arno Fischer mitgegeben?

Arno Fischer wollte nicht, dass jemand wie er fotografiert. Nein, jeder sollte seine eigene Bildsprache finden. Er sagte zu uns immer: Ich habe Moden kommen und gehen sehen. Schaut nicht drauf, was gerade in ist. Versucht herauszufinden, was eure Stärken sind und wer ihr wirklich seid. Er war ein Meister darin, uns auf diesem Weg zu unterstützen. Es gibt wenige, die diese Gabe haben. Arno Fischer hatte eine grosse Menschenkenntnis. Ihm war egal, woher jemand kam und wie er aussah. Ihm war der Mensch wichtig und was für Fotos er auf den Tisch legte. Für mich war er zum Schluss ein väterlicher Freund.

 

Sie kamen zwei Jahre vor dem Mauerfall nach Berlin. Wie haben Sie diese Stadt als Schweizerin damals wahrgenommen?

Die Kulturszene in West-Berlin blühte, da sie hoch gefördert wurde. Für Kulturschaffende gab es alle möglichen Stipendien. Im Kunstbereich ging es den meisten gut. Es gab tolle Partys mit spannenden Leuten. West-Berlin, war zudem voll von Kriegsdienstverweigerern, Studenten und Menschen, die sich hier kreativ verwirklichen wollten. Es war wirklich eine «Insel der Seligen». Es war für mich als Schweizerin zudem spannend, dass ich über den Grenzübergang Checkpoint Charlie rüber nach Ost-Berlin gehen konnte. Das war zwar immer ein Abenteuer, das mit einem Gefühl des Ausgeliefertseins verbunden war. Die DDR war schliesslich eine komplett andere Welt. Doch ich habe dort die Solidarität der Menschen untereinander immer bewundert.

Sie lernten auch den weltbekannten Berliner Fotografen Sven Marquart kennen.

Ja. Eine tolle Persönlichkeit. Ich besuchte bei ihm Workshops. Bei ihm lernte ich erstmals, ein Thema konzeptionell umzusetzen. Im Film «Schönheit und Vergänglichkeit», in dem er eine tragende Rolle spielt, sieht man mich übrigens von hinten in unserer gemeinsamen Seminarabschlussausstellung. Zu Sven Marquart als Person: Ich sehe ihn ganz in der Tradition der Ost-Fotografen. Er hat eine eigene, unverwechselbare Sprache. Ich finde es toll, wie er seinem Stil bis heute treu geblieben ist und sich dennoch immer wieder verändert.

Bilder aus der Ausstellung «No Escape from Paradise» von Eva Brunner

Interview: Vera Rüttimann, Berlin

 

Weitere Informationen:

• zu Eva Brunner: www.evabrunner.net

• Film über die Ausstellung «No Escape from Paradise»  

• Dokumentarfilm «Schönheit und Vergänglichkeit»

• Dokumentarfilm «Hotel Bogota – Eine einmalige Geschichte» von Ilja Richter | ONE

• zu Arno Fischer 

 

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