David Meili, 9. Mai 2010, 10:20 Uhr

Rückblick auf eine intensive Fotowoche, Sprayer im Weinberg und ein neuer Mister Schweiz

Die vergangenen Woche war für die Pressefotografie geprägt durch zwei Events. Die ewz.selection als nationaler Wettbewerb der Fotografie und der Nachwuchswettbewerb des vfg brachte die Fotocommunity über die Sprachgrenzen hinweg nach Zürich. Beide von Romano Zerbini und seinem Team perfekt organisierten Anlässe sind ein Lichtblick in der Szene in schwierigen Zeiten.

Doch wie kommt man als Fotograf in die Presse? Die Preisträger/innen haben sehr unterschiedliche Strategien verfolgt. Jacek Pulawski betonte, dass er in Chiasso in direkter Konkurrenz zum bedeutenden Reportage-Journalismus in Oberitalien steht, und einfach besser sein muss, was Themen und Gestaltung bedingt. Gabi Vogt hat ihren Weg über die Kunstszene gewählt. Der Amerika-Schweizer Peter Bohler hat seine aussergewöhnliche Reportage vorerst über das Internet publiziert.

Die Wahl von Pulawski zum Fotograf des Jahres hat zu kritischen Bemerkungen geführt. „Sex sells“, – und vor allem „Transen“. Doch bis anhin hat kaum ein Fotograf in der Schweiz und darüber hinaus die Trostlosigkeit der Prostitution so direkt vermittelt. Bildstrecke auf Tages-Anzeiger.

Es ist zu früh, um eine Bilanz über die Veranstaltungen zu ziehen. Vielleicht könnte man in Zukunft die einzelnen Ausstellungen anfangs Mai zu einem nationalen Anlass verknüpfen, am Beispiel der erfolgreichen Museumsnacht. Dazu zählen wir auch die artbygenève und Photo Münsingen. Die wenigen Sponsoren aus der Branche und die Medien liessen sich zweifellos für ein solches Projekt gewinnen. Und wer weiss, vielleicht könnte eine politische Intervention für die Dachwerbung auch Bundesgeld auslösen?

DAS MAGAZIN bringt eine nunmehr ganzsseitig gestaltete Reportage von Sacha Batthyany mit Aufnahmen von Helmut Wachter über eine Grösse im Schweizer Pornogeschäft, die sich auf Haiti humanitär engagiert. Wachter arbeitet mit viel Weitwinkel und mit Tiefe, wie man sie aus guten Filmreportagen kennt.

Armin Walpen und Sepp Blatter haben Gemeinsamkeiten. Sie sind vorerst Walliser und dann Persönlichkeiten im öffentlichen Leben, die über viele Jahre hartnäckig ihren Kurs und ihre Visionen verfolgen. Nun finden wir in der Sonntagspresse zwei Porträts, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dominik Büttner hat für den SonntagsBlick Sepp Blatter ganz nah porträtiert, aussergewöhnlich. Peter Mosimann zeigt ganzseitig in sonntag.ch Armin Walpen im Zeitungsformat. Es bestehen keine Zweifel. Beide Persönlichkeiten lassen sich so abbilden, wie sie sich selbst sehen möchten.

Über einen müden Sepp Blatter gibt es keine Bilder, über den sensiblen Juristen Armin Walpen auch keine, wenigstens nicht im öffentlichen Bereich. Schade, denn beide Fotografen könnten mehr bieten als Auftragsfotografie.

Der Foto-Wettbewerb der Schweizer Bauern hat viele Fragen offen gelassen. Der Siegerbeitrag von Samuel Sommer ist nach übereinstimmender Meinung von Fachleuten nicht in einem Rebberg am Bielersee entstanden. Location war ein Computer mit Photoshop, und die Jury kannte die Möglichkeiten der Bildverfremdung nicht im Geringsten. Die preisgekrönte Aufnahme passt schlecht zu jenem Image, das die Kampagne des Schweizer Bauernverbandes seit Jahren mit wesentlichen Mitteln des Bundes aufbaut.

Revolutionen können sich auch im Stillen vollziehen. Der SonntagsBlick kündigt eine Auto-Reportage als Erfahrungsbericht von Michelle Heuberger an. „Chapeau!“, lautet das Fazit von „Test the BEST“, einen kleinen 4×4 von Toyota. Chapeau für den SonntagsBlick denn der Beitrag ist deutlich als Publireportage gekennzeichnet, im Gegensatz zum MigrosMagazin. Dort testet Familie Schmucki einen Mitsubishi, den sie als idealen Zweitwagen beurteilt.

In der Schweiz gibt es ausserhalb der Automobil Revue kaum mehr einen unabhängigen Auto-Journalismus und eigenständige Reportagen. Wer Autos kritisiert, wird für eine Testfahrt in Sizilien oder in Andalusien gar nicht eingeladen. Oliver Lang zeigt als Fotograf im MigrosMagazin eine glückliche Kleinfamilie, die sich einen Zweiwagen wünscht. Und dann erfahren wir aus sonntag.ch auch, dass die amtierende Miss Schweiz Linda Fäh heisst und einen Lancia Delta einparkieren kann. (Fiat-Event, nicht als Publireportage gezeichnet)

Jeroen van Rooijen hat als Style-Experte für die NZZ am Sonntag offensichtlich den Land Rover Discovery in Island gefahren, mit Werksbild (Seite 87). Der „Disco“ ist eher ein Auto für Style-Experten als für den Transport zu Gysieren, – allenfalls für Touristinnen 70+. Jeroen, der locker die ewz.selection an der Opening Night kommentiert hat, kennt sich aus in Mode.

Ist die Schweiz um einen Mister Schweiz reicher oder ärmer? Der Neue, Jan Bühlmann zeichnet sich vorläufig durch gepflegte Langeweile aus. André Reithebuch lässt sich im SonntagsBlick (Seite 4) durch einen PR-Brief stilvoll verabschieden. (Bild Karl-Heinz Hug für Blick Online)

André Reithebuch werden wir bald vermissen. Kurt-Emil Merki ist in sonntag.ch anderer Meinung. Die Bildchen von Promis, wie Jürg Marquard etc., die an den Anlass nach Genf gereist sind, wurden offensichtlich von Sacha Ercolani aufgenommen. (People-Seite 18, als GLAMOUR bezeichnet)

Mister Schweiz-Organisator Urs Brülisauer kommt das Verdienst zu, die Wahl des schönsten Mannes des Jahres zu einem nationalen Event aufgebaut zu haben, das die Miss Schweiz-Wahl weit in den Schatten stellt. Auch Männer emanzipieren sich. Doch wer ist nun wieder die amtierende Miss?

Bizarres aus dem VBS berichtet der SonntagsBlick. Im Rahmen von Sparmassnahmen entschied Militärminister Ueli Maurer persönlich, alle Hellraum-Projektoren zu liquidieren. Was machen die Instruktoren und Kommandanten nun mit ihren alten Folien? Der eine oder andere wird seinen privaten Beamer mit in den Kurs nehmen. Der private Laptop und das Privathandy sind in der Armee ja längst treue Begleiter für alle Kader. Man kann die Folien mit der Digicam reproduzieren, so lange noch ein Projektor als Hintergrundbeleuchtung herumsteht, – kleiner Tipp aus der Praxis.

Vor zwei Jahren hat eine mittlere Schweizer Stadt die gleiche Übung durchgezogen und alle Projektoren an ein Erwerbslosenprojekt abgetreten. Die besten Stücke haben Sozial-Animatoren und Beteiligte über eine bekannte Steigerungsplattform unter sich selbst ersteigert und anschliessend weiter verhökert.

2 Kommentare zu “Rückblick auf eine intensive Fotowoche, Sprayer im Weinberg und ein neuer Mister Schweiz”

  1. Lieber Herr Meili, ich lese Ihre Artikel immer wieder gerne. Vor allem, weil sie mich an das berühmte Spiel «Such den Fehler!» erinnern. Ich korrigiere:

    1.

    Der Vfg-Nachwuchsförderpreis ist der kleine Bruder der Selection, wird aber nicht von Romano Zerbini, sondern von den Fotografen Bruno Bolinger, Ferit Kuyas, Christoph Kern, Roman Weyeneth und Susanne Martinez organisiert.

    2.

    Romano Zerbini leistet grosse Arbeit für die Schweizer Fotografie und untermauert dies mit der Lancierung seiner «Photogarage» in Zürich-Wiedikon, die er für die Ausstellung der Nwfp-Siegerarbeiten zur Verfügung stellt.

    3.

    Das Bundesamt für Kultur (BAK) unterstützt die Selection und den Nachwuchsförderpreis, und ermöglicht so die Herausgabe zweier wirklich sehens- und lesenswerter Kataloge, die Sie, wie ich hoffe, beide schon erstanden haben.

  2. Danke für die Ergänzung.
    Man kann nicht alle Beteiligten in diesen Sonntags-Beitrag miteinbeziehen. Für mich war es ein Anliegen, den unternehmerischen Einsatz von Romano Zerbini mit seinem grossem persönlichen Risiko in den Vordergrund zu stellen. Das ist in der Schweizer Kulturszene nicht selbstverständlich.
    Das BAK könnte die Fotoszene weit mehr unterstützen, als „nur“ mit Publikationsbeiträgen. Die Fotografie in und aus der Schweiz ist mindestens so erfolgreich wie der Film. Im Bereich der historischen Kulturgüter (Tag des Denkmals, Museumsnacht) haben sich auf nationaler Ebene finanzierte Programme etabliert und auch bewährt. Sie gelangen mit Plakaten etc. an Menschen, die nicht Insider oder Szenengänger sind.
    Das war meine Anregung. Doch es liegt letztlich an den Organisationen, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln.

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