Urs Tillmanns, 25. Februar 2023, 11:20 Uhr

Buchtipp: Fritz Franz Vogel «Nichts ohne meine Sonne»

Vor rund 150 Jahren kamen die Carte-de-visite-Fotos in Mode. Längst sind die abgebildeten Personen in die Anonymität entschwunden, doch sind die interessant gestalteten Rückseiten sammelnswert. Rund 500 besonders interessante werden in diesem Buch gezeigt.

Ende der 1850er-Jahre erlebte die Fotografie eine bedeutende Evolution: Der Pariser Fotograf André Adolphe Eugène Disdéri (1819 – 1890) kam von den grossformatigen und teuren Porträtaufnahmen ab und ging dazu über Porträts und Ganzpersonenbilder im Taschenformat anzubieten. Diese hatte man meistens bei sich, um sie bei passender Gelegenheit Freunden und Bekannten zu schenken und so in Erinnerung zu bleiben. Für die Herstellung dieser Fotos, belichtete Disdéri mehrere Aufnahmen auf eine grosse Negativplatte und konnte damit die kleinen Bilder effizient und kostengünstig produzieren. Als sich im Mai 1859 sogar Napoleon III von Disdéri im Carte-de-visite-Genre porträtieren liess, kamen die kleinen Taschenbilder erst recht in Mode.

Während die Kunden der perfekt ausgeleuchteten Porträts und Ganzkörperaufnahmen längst in die Anonymität entschwunden sind, haben die Rückseiten der Carte-de-visite an Wichtigkeit gewonnen, weil sie die Fotografen als ihre Werbefläche in Anspruch genommen hatten. Bei besonders frühen Carte-de-visite findet man hier nur gerade den Namen und die Adresse des Fotografen, bis im Laufe der Zeit die Rückseiten immer reichhaltiger und aufwändiger gestaltet wurden. Carte-de-visite- und die grösseren Cabinet-Bilder findet man auch heute noch auf Flohmärkten oder in speziellen Fotoalben, die damals Mode waren. Faszinierend ist einerseits die Grafik dieser Flächen, die mit prachtvollen und originellen Emblemen verziert waren, und anderseits vermitteln die Namen und Adressen der Fotografen aufschlussreiche Hinweise für Fotohistoriker und Sammler.

Angeregt durch seine Gestaltungsarbeit am Buch «Fotografierte Fotografen» (Rezension Fotointern), hat sich Fritz Franz Vogel daran gemacht, einige Hundert Carte-de-visite, Cabinet-Bilder und ähnliche Formate aus jener Zeit einzuscannen. Dabei haben ihn nicht die unbekannten Personen auf der Vorderseite interessiert, sondern ausschliesslich die grafisch und fotohistorisch interessanten Rückseiten. Und so ist das Buch «Nichts ohne meine Sonne – Zur Emblematik des Fotografischen» entstanden.

Wer sich in die «Emblematik» der Rückseiten damaliger Fotos vertieft und dazu auch den interessanten Einführungstext von Fritz Franz Vogel liest, dem wird der besondere kulturelle Wert dieser Fotorückseiten bewusst. Jede Buchseite ist mit den grafisch originellen Motiven eine neue Überraschung, und die Hinweise auf Fotografen und Fotoateliers holen längst vergessene Namen aus der Vergessenheit, was für fotogeschichtliche Nachforschungen interessant und aufschlussreich sein dürfte.

Das Sammeln von Carte-de-visite- und Cabinet-Bilder ist uferlos, und das Buch von Fritz Franz Vogel gibt nur einen kleinen Einblick in ein riesiges Potenzial. Dabei ist die Gliederung nach Motivarten, wie das im Buch realisiert worden ist, durchaus sinnvoll, um bei den vielen Arten grafischer Gestaltung die Übersicht zu behalten.

Für wen ist dieses Buch? In erster Linie natürlich für Photographica-Sammler und speziell solche, die sich bereits mit Carte-de-visite-Rückseiten befassen und diese zu ihrem Sammelgebiet machen wollen. Dann dürfte es aber auch für Leserinnen und Leser interessant sein, die sich mit grafischer Gestaltung, speziell des späten 19. Jahrhunderts, befassen. Kommt hinzu, dass das Buch in einer Kleinauflage gedruckt wurde und deshalb einmal rar sein dürfte.

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Herausgebers

Die Rückseiten von Carte-de-visite- und Cabinet-Fotos in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weisen interessante Merkmale auf, die dem neuen Berufsbild des Fotografen zuzuordnen sind. Nicht nur nutzten die Fotografen (und noch wenigen Fotografinnen) diese Rückseite zur Adressierung ihres Geschäfts; es handelt sich ja letztlich um eine klare Rollenverteilung: auf der Vorderseite das Konterfei des Auftraggebers/Porträtierten, auf der Rückseite die Kennzeichnung des Auftragnehmers/Geschäftsinhabers. Der fotografische Beruf setzte für seine Werbung immer wieder eine historisierende Zeichensprache ein, so emblematische Zeichen (Sonne, Sonnenblume, stilisierte Kamera, Wappen der Papierhersteller), Allegorien (Fotografie als neue Muse und Lichtgöttin) und ein emsiges Dienstpersonal in Form von fotografierenden und Bilder produzierenden Putti, die ihrerseits den fotografischen Produktionsprozess als Kinderspiel taxieren liessen. Anhand von über 500 Bildbeispielen, vorwiegend aus Europa und Amerika, wird vom Schweizer Sammler und Fotohistoriker Fritz Franz Vogel aufgezeigt, dass bestimmte Bildzeichen die barocke Emblematik weiterführen und für den Zweck der in der Mitte des 19. Jahrhunderts disruptiven Fotografierpraxis und deren Berufsbild nutzbar machen.

 

Der Inhalt

Identitätsbildung des Fotogewerbes

Sol lucet omnibus
Zunft- und Gildenwappen
Spiegel und Linsen
Epitheta ornantia
Chemie / Kamera / Malpalette / Malpalette und Kamera / Bilderrausch, Füllhorn

Bildteil
Die Maschine Gottes / Emblem Sonne / Emblem Sonne, Palette, Kamera / Ur-Blitz / Lichtbringer / Lichtmalerin / Sonnenspiegel / Photographia / Lichtsammlerin

Photographia mit Lichtspiegel / Lichtbild / Photographia mit Lorbeerkranz / Füllhorn und Bilderrausch / Bildersammlung / Der künstliche Funken / Magnesiumblitz / Elektrizität / Das Laboratorium des Lichts / Emblem Kamera / Emblem Kamera und Palette

Emblem Strahlenkranz / Emblem Palette / Wappen der Papiermacher / Wappen der Fotografen und Papierhersteller / Engel mit Kamera und Palette / Sonne, Kamera und Palette / Geschäftshäuser / Schriftzüge und Textbänder / Engel fotografieren

Jugendstil-Fotografinnen / Fotografierende Frauen / Fotografinnen und Fotografen / Fotografierende Männer / Fotografierende Kinder / Irdisches Hilfspersonal / Bildprodukte

Photographia und Pittura / Flüchtige Embleme / Bienenfleiss und Weltenbaum / Im Gedenken der Erfinder / Prämien und Auszeichnungen / Medaillensegen / Miszellen

Textteil (Fortsetzung)
Weisse Seiten
Vorbilder der fotografischen Emblematik
Personnagen

Photographia / Malerei und Fotografie im Dialog / Putten, Cherubim, Engel, Kobolde
Allegorie und Fotografie
Lichtmetaphern
Elektrizität / Blitzgewitter

Texte als Werbemittel
Negativ gesetzte Rückseiten / Schriftzüge / Medaillenspiegel
Spezielle Emblematik

Biene, Bienenstock / Eidechse / Eule / Ballon
Souvenir

Der Autor
Impressum

 

Der Autor

Fritz Franz Vogel, geboren 1957 in Luzern, Schulen in Emmenbrücke und lmmensee. Studien an den Universitäten Fribourg (heilpäd. Diplom 1980) und Zürich (lic. phil. 1996 Volkskunde, Dr. phil. 2006/Kunstgeschichte), sowie an der Zürcher Hochschule der Künste (M.A. 2011 / ausstellen und vermitteln). Er arbeitet als Kulturwissenschaftler, Kunst- und Fotohistoriker, Herausgeber und Kurator seit 1992 produktiv, kooperativ und interdisziplinär in den Medien Text, Fotografie und Buch (Gestaltung, Druckvorstufe und Herausgeberschaft). Forschungen, Lehrtätigkeit, Publikationen und Ausstellungen in den Bereichen inszenierte und dokumentarische Fotografie, populäres und freies Theater, Bildwissenschaft und Kunstgeschichte, Exponatik und Visualistik, Alphabete, Körperbilder und Erotica. Er lebt und arbeitet in Diessenhofen, Schweiz.

 

Bibliografie

Fritz Franz Vogel «Nichts ohne meine Sonne»
Zur Emblematik des Fotografischen

192 Seiten, mehr als 500 Bilder, Softcover, Schweizer Broschur,
Fadenheftung, gebunden, Format 24 x 20 cm,

Edition ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ, Diessenhofen
Preis; CHF 20.00 (zzgl. Versandspesen
ISBN 978-3-03858-413-1 (Buch)
ISBN 978-3-03858-413-8 (e-book)

Das Buch kann im Buchhandel oder direkt beim Verlag per E-Mail bestellt werden

 

 

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