Urs Tillmanns, 22. April 2023, 16:31 Uhr

Buchtipp: Luc Debraine «Les Garde-Temps»

In diesem Buch geht es um Uhren – um ganz besondere Uhren: Um Uhren, die in einem schicksalshaften Augenblick stehengeblieben und so zum Zeitdenkmal geworden sind. Luc Debraine hat sie rund um den Globus aufgesucht und erzählt ihre Geschichten, in Wort und Bild.

Im Friedensmuseum in Hiroshima ist die Armbanduhr von Jiro Hataguchi in einer Vitrine ausgestellt. Das Glas ist mit dem Zifferblatt verschmolzen. Dennoch sind die Zahlen und Zeiger deutlich zu erkennen: 8 Uhr 15 Minuten! Der Augenblick, in dem die amerikanische Atombombe am 6. August 1945 die Welt veränderte. Jiro Hataguchi war ein Spezialist für Morse-Kommunikation und hatte die Uhr an einem Wettbewerb in Tokyo gewonnen. Jetzt ist sie unvergänglich geworden und wird täglich von Hunderten von Museumsbesuchern bestaunt – auch von Luc Debraine, der seit zwei Jahrzehnten solche geschichtsträchtigen Uhren zu seinem fotografischen und journalistischen Thema gemacht hat.

Fünfzig dieser Beispiele hat Debraine nun in einem Buch zusammengefasst. So ist eine Sammlung von 50 legendären Zeitmessern entstanden, die alle ihre eigene Geschichte erzählen, Geschichten, die präzise fotografiert und eindrücklich textlich beschrieben sind und an natürliche und menschgemachte Katastrophen erinnern. Viele der Namen beeindrucken, weil sie unmissverständlich einem geschichtlichen Ereignis zugeordnet werden können: Auschwitz, Titanic, Hiroshima, Oradour-sur-Glane, New York 11. September 2001 … andere erzählen spannende Geschichten, von Uhren, die plötzlich stehen blieben, als wollten sie die Zeit anhalten und an eine Episode erinnern: Die «Lille Shamrock» in einer Bar in San Francisco, die seit dem Erdbeben vom 18. April 1906 um 5 Uhr 12 keinen Tick mehr von sich gab; die prachtvolle Wanduhr im Haus von Albert Einstein in Bern, die um 7 Uhr 50 stehenblieb – und niemand weiss weshalb; die Bahnhofuhr von Pithiviers um null Uhr, die 1942 mitansehen musste, wie Tausende Juden nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden; die Armbanduhr von J.C. in London, der am 7. Juli 2005 in der Metro einen Sprengstoffanschlag überlebte, woran ihn die Zeitanzeige von 8 Uhr 50 für immer erinnern wird; oder die Digitaluhr im Automuseum Petersen in Los Angeles, welche im Film «Zurück in die Zukunft» eine wichtige Rolle gespielt hat und ein Uhr 22 Minuten am 26. Oktober 1985 zeigt.

Dass Luc Debraine Uhren fotografierte, die stehen geblieben sind, um uns an ein Ereignis zu erinnern, kommt nicht von ungefähr: Luc sieht darin eine Parallele der Zeitmesser zu seiner Kamera, die mit einem Bild die Zeit festhält.

Für wen ist dieses Buch? Das Buch ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie man sich über längere Zeit einem bestimmten fotografischen Thema widmen und dabei eine aussergewöhnliche Dokumentation erstellen kann. Luc Debraine ist zudem als Journalist ein hervorragender Textautor, der die 50 speziellen Bilder mit spannenden und aufschlussreichen (französischen) Texten versehen konnte, in die man sich gerne vertieft.

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlages

Zeitmesser sind Uhren, die eine kostbare Zeit aufbewahren: die Zeit der Erinnerung. Sie wurden durch natürliche oder menschliche Katastrophen gestoppt, von der Titanic bis Hiroshima, von Buchenwald bis zu den Türmen des World Trade Centers. Sie zeigen noch immer schicksalhafte Momente. Einige wurden absichtlich gestoppt, um eine Revolution, eine Befreiung oder ein einzigartiges Ereignis zu markieren. Andere Zeitmesser sind manchmal nicht mehr in Betrieb, aber ihr Schweigen sagt viel über ein aussergewöhnliches Schicksal aus. Sie werden an öffentlichen Orten, in Museen oder in Privathaushalten aufbewahrt. Sie zeugen von einem Willen: nicht zu vergessen.

Luc Debraine stellt mithilfe von Fotografie und Text ein Fresko dieser stummen Zeugen der Geschichte zusammen. Er nutzt seine Suche, die er zwei Jahrzehnte lang auf der ganzen Welt verfolgt hat, um die Natur der Fotografie und der Zeit zu hinterfragen. Die Aufnahme eines Standbildes von einer angehaltenen Uhr bedeutet, die Zeit zweimal zu unterbrechen. Die Geste macht deutlich, dass die Fotografie und die Uhrmacherei, zwei Künste der Zeit, viel gemeinsam haben. Roland Barthes sagte: «Ein Fotoapparat ist eine Uhr, die man sehen kann».

 

Der Inhalt

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Etienne Klein

Einleitung von Luc Debraine

Bildteil
Venedig / Pithiviers / Prag / Nôtre-Dame-de-Lorette / Detroit / Dresden / Paris /

Uhr «T-Oxy Concept» / Zurück in die Zukunft / Nowaja Semlja / Sankt Petersburg / Paris / Schloss Chillon /

San Francisco / Camp des Milles / Auschwitz / Titanic / Reschensee /

Bern / Berlin / Hiroshima / London / New York / Toulose / Bologna /

Montignac-Lascaux / Sachsenhausen / Paris / Arles / London Bridge Station /

Amsterdam / Genf / New York / Port Arthur / Bataville / Buchenwald / Le Mans /

Oradour-sur-Glane / London / Sankt Helena / Bern / London /

Tsanfleuron / Schweiz / Paris / New Orleans / Abruzzen / Kopenhagen

Danksagungen / Impressum

 

 

Der Fotograf

Luc Debraine, Direktor des Schweizer Kameramuseums in Vevey und Journalist, hat vormals für die Tageszeitung «Le Temps» und das Magazin «L’Hebdo» gearbeitet. Er ist Lehrbeauftragter für visuelle Kultur an der Akademie für Journalismus und Medien der Universität Neuenburg. Er hat mehrere Fotoausstellungen organisiert, darunter «Tous photographes» (Musée de l’Elysée, Lausanne, 2007), «Jeune photographie suisse» (Salon du Livre, Genf, 2014) sowie «Chaplin Personal» (Chaplin’s World, Corsier-sur-Vevey, 2019).

 

Bibliografie

Luc Debraine «Les Garde-Temps»

124 Seiten, 50 Fotos, gebunden, broschiert mit Einklappumschlag, Format 16 x 21,5 cm,
Sprache: Französisch
mit Texten von Luc Debraine und einem Vorwort von Etienne Klein
Verlag Editions Noir sur Blanc, Lausanne
Preis: CHF 39.00 / EUR 29.00

ISBN 978-2-88250-839-3

Das Buch wird über den regulären Buchhandel vertrieben.

 

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