Urs Tillmanns, 22. Oktober 2023, 11:52 Uhr

Mining Photography: Wie nachhaltig ist die Fotografie?

Im Gewerbemuseum Winterthur ist derzeit eine Ausstellung zu sehen, die sich mit der Nachhaltigkeit der Fotografie befasst. «Mining Photography. Der ökologische Fussabdruck der Bildproduktion» deckt viele interessante Fakten auf, die von den Anfängen der Bildverfahren bis in die Zeit der Smartphones reichen.

Wie nachhaltig ist die Fotografie? Seit ihrer Erfindung ist sie von der Gewinnung und der Ausbeutung natürlicher Rohstoffe abhängig. Im 19. Jahrhundert waren es Kupfer, Silber und Salz, die für die ersten Fotografien auf Kupferplatten und für Salzpapierabzüge genutzt wurden. Nach dem Aufkommen der Silbergelatineabzüge wurde die Fotoindustrie im späten 20. Jahrhundert mit über der Hälfte des weltweiten Verbrauchs zur wichtigsten Abnehmerin für Silber. Im Zeitalter der digitalen Fotografie und der Smartphones ist die Bildproduktion auf Metalle wie Kobalt und Coltan sowie solche der Seltenen Erden angewiesen. Die Speicherung der Bilder und ihre Distribution produzieren zudem grosse Mengen an CO2.

Anhand von rund 170 Arbeiten – zeitgenössische künstlerische Positionen, historische Fotografien und Expert/inneninterviews – zeigt die Ausstellung «Mining Photography – Der ökologische Fussabdruck der Bildproduktion» den Zusammenhang zur Geschichte des Rohstoffabbaus, der Entsorgung und des Klimawandels in fünf Kapiteln auf.

 

Kupfer, Gold und die Daguerreotypie

Versilberte Kupferplatten waren in den 1840er- und 1850er-Jahren die ersten Bildträger der Fotografie. Sie wurden im industriellen Massstab vornehmlich in Paris produziert und weltweit vertrieben. Angetrieben durch fossile Brennstoffe wurde Kupfer im walisischen Swansea verarbeitet. Aus allen Teilen der Welt wurden Erze nach England transportiert und dort verhüttet, um weltweit gehandelt zu werden. Die Fotografie war vom Kupferhandel abhängig und ihre schnelle Verbreitung wäre ohne fossile Brennstoffe, koloniale Expansion und Ausbeutung von Bodenschätzen nicht denkbar gewesen. Die Fotografien aus der Ära des Goldrausches geben ein deutliches Bild von den Auswirkungen der extraktiven Bergbauindustrie. Sie dokumentieren sowohl die Zerstörung der Landschaft als auch die Selbstinszenierung der Goldgräber, die sich als Entrepreneure stolz der Kamera präsentieren. Als weibliche Pendants repräsentieren die sogenannten Grubenfrauen aus Wigan die unsichtbare Arbeit, die mit einem industrialisierten Produkt wie der Fotografie einhergeht.

Eine anlässlich der Ausstellung von Ignacio Acosta eigens angefertigte Arbeit untersucht die Rolle der Schweiz im Kontext seines seit 2010 laufenden Projekts «Copper Geographies», in dem der Künstler die internationalen Handelswege des aus seinem Herkunftsland Chile stammenden Kupfers verfolgt.

 

Fossile Brennstoffe wie Kohle und Bitumen für die Druckverfahren

Hier widmet sich die Ausstellung Russ und Kohle als Pigmente, die als Beimischung von Farbpigmenten in den fotografischen Edeldrucken zum Einsatz kommen, etwa in Arbeiten von Anaïs Tondeur, Oscar und Theodor Hofmeister oder Susanne Kriemann. Auf der Motivebene werden etwa Berner Moorlandschaften aus den 1940er-Jahren gezeigt, in denen der für die Fotografie genutzte Brennstoff Torf abgebaut wird. Der bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen entstandene Russ wird den Pigmenten beigemischt. Ein weiterer fossiler Brennstoff ist das lichtempfindliche Bitumen, ein natürlich vorkommender Asphalt, der über Jahrzehnte in der Reproduktionsfotografie eingesetzt wurde.

 

Silber für die weitverbreiteten Silbergelatineabzüge im 20. Jahrhundert

Dieses Edelmetall ist die Grundlage des fotografischen Bildes und wird dafür noch heute benötigt. Unter den in der Ausstellung behandelten Rohstoffen ist die Fotoindustrie für Silber zumindest zeitweilig der weltweit grösste industrielle Abnehmer. Hier zeigt sich die schiere Menge an benötigtem Material am deutlichsten. Die Arbeiten von Daphné Nan Le Sergent und dem Kollektiv Optics Division of the Metabolic Studio berühren die Zusammenhänge des Rohstoffabbaus, seiner kolonialen Hintergründe und der Verarbeitung von Silber. Sergent beschäftigt sich auch mit dem Einfluss des Marktwerts des Edelmetalls, der technische Innovationen vorangetrieben und lukrativer gemacht hat.

 

Das Trägermaterial Papier und seine Beschichtung

Die Materialien Flachs, Baumwolle und Gelatine werden näher beleuchtet. Papier wurde im 19. Jahrhundert zunächst auf Basis von Lumpen, die aus Baumwolle oder Flachs bestanden, vornehmlich in Europa produziert. Die Baumwolle pflanzte und erntete man um 1860 in den amerikanischen Südstaaten mithilfe von Sklaven und Sklavinnen, verschiffte sie nach Europa, um sie dort zu Stoffen zu verarbeiten, die dann als Lumpen den Hauptanteil von Papier ausmachten. Erst im 20. Jahrhundert wurde Holz in Form von Zellulose in der Papierproduktion eingesetzt. Die Fotograf/innen Alison Rossiter und F&D Cartier thematisieren die unterschiedliche Materialität historischer Fotopapiere in poetisch abstrakten Bildfindungen. Tierische Produkte waren für die Beschichtung dieser Papiere unabdingbar. Im 19. Jahrhundert waren es Eier, im 20. Jahrhundert Gelatine, die hauptsächlich aus Rinderknochen hergestellt wurde, welche für die Herstellung von Fotomaterial erforderlich waren. Die brutale Realität der industrialisierten Fleischproduktion dokumentieren und reflektieren Madame d’Ora und James Welling, die sich auf unterschiedliche Weise den Materialien der fotografischen Beschichtung widmen. Für die Ausstellung hat Tobias Zielony eine Arbeit geschaffen, die auf Recherchen in der ehemaligen Agfa-Filmfabrik Wolfen basiert und auf die Aspekte von Arbeit und Ökologie in der Fotoindustrie fokussiert.

 

Das Gewicht der Cloud – Metalle der Seltenen Erden, Metalle, Energie und Abfall

Es werden die Ressourcen thematisiert, die benötigt werden, um digitale Bilder zu produzieren, auszustellen und zu speichern. Der Abbau von Metallen der Seltenen Erden, die in unseren Smartphones und Datenspeichern zur Distribution von Bildern verbaut werden, verbraucht grosse Mengen Energie. Schliesslich landen die Seltenerdmetalle auf ständig wachsenden Bergen von Elektroschrott im globalen Süden, die ebenso schnell anschwellen wie der Hunger nach neuen Geräten. Den Aspekt des Recyclings behandelt Lisa Barnard in ihrem forschungsbasierten Werk «The Canary and the Hammer» über das Edelmetall Gold. Mary Mattingly verfolgt in einer wandgrossen Kreidedarstellung die komplizierten, oft undurchsichtigen Lieferketten von Kobalt, die sie kartografiert und deren Abbild sie fortwährend an das Marktgeschehen anpasst. Lisa Rave widmet sich in ihrem Videoessay dem Seltenerdmetall Europium.

Situationsbilder: Urs Tillmanns

Ein Rundgang durch das Gewerbemuseum

Das Gewerbemuseum Winterthur zeigt Ausstellungen an den Schnittstellen von Design, Kunst und Gesellschaft. In Dauer- und Wechselausstellungen wird Gewohntes auf ungewohnte Weise inszeniert, relevante Fragen werden gestellt und es präsentiert überraschende und sinnliche Einblicke in aktuelle Themen. Besonders interessant ist die Materialiensammlung des Gewerbemuseums, das in einem interaktiven Experimentierlabor vor allem Jugendliche einlädt, sich mit verschiedensten Materialien zu befassen.

 

In der begehbaren Camera Obscura kann mit zur Verfügung gestelltem Mattpapier der Effekt der Lochkamera studiert werden. Warum steht das Bild auf dem Kopf und ist erst noch seitenverkehrt?

Zur Zeit beherbergt das Gewerbemuseum eine begehbare Camera Obscura. Dazu wurde ein Raum verdunkelt, an dessen Aussenwand mehrere Öffnungen angebraucht sind. Die Besucher/innen können sich Mattpapieren bedienen, mit denen sie verschiedene Bilder sichtbar machen können, welche durch die von aussen einfallenden Lichtstrahlen erzeugt werden. So lässt sich das Prinzip der Kamera erklären, das seit der Antike bekannt ist, doch gelang es erst im 19. Jahrhundert, das Bild mit chemischen Mittel zu konservieren. Und damit schliesst sich der Kreis wieder zur Ausstellung «Mining Photography – Der ökologische Fussabdruck der Bildproduktion», welche noch bis 21. Januar 2024 im Gewerbemuseum Winterthur zu sehen ist.

 

Kurz das Wichtigste:

Was? «Mining Photography – Der ökologische Fussabdruck der Bildproduktion»
Wo? Gewerbemuseum Winterthur, Kirchplatz 14, CH-8400 Winterthur
Wann? noch bis 24. Januar 2024,
Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Montag geschlossen
Wie viel? Eintritt CHF 12 / CHF 8
Info: www.gewerbemuseum.ch

Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg. Kuratiert wurde sie von Esther Ruelfs un Boaz Levin. 

Das Buch zur Ausstellung

Die Ausstellung ist umfassend in einem Buch dokumentiert, welches sämtliches Bildmaterial und die Texte der Ausstellung enthält und zudem mit interessanten weiteren Beiträgen, Dokumenten und Essays erweitert ist. Es ist besonders jenen Leser/innen empfohlen, die sich mit der Thematik der Ausstellung intensiver befassen oder eine Erinnerung an diese bewahren möchten.

176 Seiten, 94 Abbildungen, eingeschlagener Softcover, Fadenheftung,
Format 16 x 25 cm, Juli 2022
Sprachen: Deutsch oder Englisch
Herausgeber/innen: Boaz Levin, Esther Ruelfs und Tulga Beyerle
Verlag Spector Books, Leipzig
ISBN 978-3-95905-632-8
Preis: CHF 44.00 / EUR 36,00

Das Buch kann im Shop des Gewerbemuseums Winterthur erworben oder im Buchhandel bestellt werden.

 

 

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