David Meili, 7. November 2010, 10:27 Uhr

Überzeugende Magazine, Ganzkörper-Porträts im Trend und Heuballen-Hefte

Pressespiegel zum Wochenende vom 6./7. November 2010
Es ist ein Wochenende der Magazine. Sowohl DAS MAGAZIN wie das SonntagsBlick Magazin überzeugen durch sehr gute Auftragsfotografie. Das Produkt von der Werdstrasse hatte wieder einmal den Mut, den Auftrag für ein ganzes Heft an einen einzigen Fotografen zu erteilen, und Dan Cermak löste diese Aufgabe zum Thema „Familie“ beispielhaft. (Bildnachweis: Goran Basic versucht in unserem „Bild der Woche“ Sven Epinay mit dem SF-Logo ins gleiche Bild zu bringen),

Man spürt, dass Dan Cermak als Familienvater eigene Erfahrungen in das Themenheft einbringt.Es macht Spass, die aktuelle Ausgabe von DAS MAGAZIN zuerst durchzublättern, sich die Fotografien anzuschauen und dann die einzelnen Beiträge in kleinen Dosen zu lesen. Leider ist die aktuelle Ausgabe zu diesem Zeitpunkt noch nicht online verfügbar.

Im SonntagsBlick Magazin findet man im gleichen Heft einige der führenden Reportage-Fotografen unserer Szene. Christian Lutz begleitete den früheren SBB-Manager Ulrich Landolt auf seinem Weg als Laienbruder in ein Kloster nach Albanien. Erwin Koch schrieb den Text, einst Edelfeder beim anderen Magazin.

Markus Bühler-Rasom bringt mit einem Text von Michael Merz im SonntagsBlick Magazin eine Vorschau auf sein Buch „Der lange Weg nach Kaltbach“. Kaltbach ist die Prestigemarke des grössten (inländischen) Schweizer Milchkonzerns Emmi. Bühler-Rasom hat für den Gschäftsbericht der Emmi-Gruppe Bilder geliefert. Das Buch ist, bei hervorragender fotografischer Qualität, sozusagen eine Seitenlinie der Unternehmens-Kommunikation.

Der Beitrag im SonntagsBlick Magazin vermittelt die Image-Kampagne von Emmi mit braunen Kühen (leider ohne Hörner) und kräftigen Käsern. Dass die manuelle Käsepflege im Stollensystem vor allem für den Fotografen inszeniert wird, weil Roboter die gesundsheitsschädigende körperliche Arbeit schrittweise ablösen, passt nicht die Kampagne. Doch auf das Buch werden wir zurückkommen.

In Sachen People zeigt uns Sabine Wunderlin die „Ewige Eisprinzessin“ Denise Bielmann. Der Trend bei Home-Stories ist offensichtlich, direkter Kontakt zu den Personen mit Weitwinkel und perfektem, losgelöstem Blitz. Das ist State of the Art.  Im Paris der siebziger Jahre war es – analog – der Hype, mit Nikon.

Faszinierend sind die nackten Füsse von Denise Bielmann. Man sieht die Belastung durch unzählige Sprünge und viele Stunden Training pro Tag, über drei Jahrzehnte. Soviel Mut zeigte eine Sportlerin bis anhin kaum, und Sabine Wunderlin hat die Geschichte des Körpers von Bielmann mit Respekt festgehalten.

Ganzkörper-Porträts liegen im Trend. Dominic Büttner zeigt den Unternehmer Peter Spuhler am Flughafen Kloten. Schade, dass der Titel über das Bild hinweggezogen wurde. Es ist vermutlich das beste Bild von Spuhler seit Jahren.

Pionier der Ganzkörper-Darstellung ist Der Sonntag. Stargast an diesem Wochenende ist Thilo Sarrazin mit seinen abstrusen Thesen zur Vermischung der Völker. Nur lässt sich Sarrazin nicht so einfach vorführen. Der Sonntag musste daher auf Pressebilder des Verlegers Ullstein zurückgreifen. Mit  dem Ausflug des Enfant Terrible in die Presse- und Politlandschaft der Deutschschweiz ( sie seien „tüchtiger als die Anderssprachigen im Land“) bleibt auch Chef-Redakteur Patrik Müller keine Peinlichkeit erspart.

Nur 3/4 porträtierte Christian Schnur die arg gebeutelte Justizministerin Simonetta Sommaruga für die Sonntags-Zeitung, und zudem im Breitformat. Steht sie Black in Black vor einem Panneaux im Bundeshaus? Es erinnert an ein Kunstwerk, doch die Erklärung fehlt. Schnur hat die Aufgabe hervorragend gelöst. Doch Frau Bundesrätin braucht etwas Beratung. Ihr Deux-Pièce ist nach Lehrbuch „panic“. Der Moirée-Effekt eines kreuzgestreiften Rasters (und zudem schwarz/weiss)  ist der Albtraum von Mann und Frau hinter der Kamera.

Mikols Gimes hat uns empfohlen, ein eigenes Bild von seinem Film Bad Boy Tom Kummer zu machen, solange er im Zürcher Kino RiffRaff zu sehen sei. Tatsächlich war am Freitagabend der kleine Saal spärlich belegt, und wir wissen nicht, wie lange der Film noch auf dem Programm steht. Doch dann haben wir bis um Mitternacht angeregt darüber diskutiert, und wer sich für People interessiert, muss den Film sehen.

Der Plot ist nur auf den zweiten Blick erkennbar, denn die Geschichte ist in ihrem Ablauf längst bekannt. Der Berner Tom Kummer hebt sich aus der trendigen Münchner Journalistenszene ab, um aus L.A. über Stars zu schreiben. Die Pressekonferenzen der Agenturen, zu denen er erst nach Monaten zugelassen wird, bringen nichts. Da der Druck steigt, beginnt er persönliche Begegnungen zu erfinden und hat bei führenden deutschsprachigen Magazinen als Edelfeder durchschlagend Erfolg. Kummer schreibt gut, verkehrt in seiner Fantasie mit ganz grossen Stars, an die man sonst nicht herankommt und schafft eine Brücke zu einer intellektuellen Leserschaft im deutschen Sprachraum.

Miklos Gimes und sein Team haben tiefgründig recherchiert und präsentieren alles nur mögliche Foto- und Bildmaterial. Kummer war Mitte der achtziger Jahre einer der jungen wilden Videofilmer in der Berner Kunstszene und hat ein uferloses Archiv an persönlich gedrehten Videos. Im Mittelpunkt des Films stehen die Gespräche mit Kummer und mit  seinen damaligen Auftraggebern, zu denen auch Gimes für das Tages-Anzeiger Magazin gehörte. Während sich die Chefredaktoren aus der Distanz von nahezu fünfzehn Jahren abgeklärt geben, wird es im Laufe des Films immer schwieriger, von Kummer ein Bild zu gewinnen. Vermutlich liegt darin die wesentliche Aussage des Films.

Nicht explizit erwähnt wird die tragenden Rolle der People-Fotografie in den Reportagen. Offensichtlich liess man Kummer nie durch einen Fotografen begleiten, denn hervorragende Aufnahmen von Charles Bronson und Mike Tyson (der klassische Literatur liest!) hatte man auf den Redaktionen als Agenturbilder in Hülle und Fülle. Als Leser der damaligen Presse muss man sich fragen, weshalb man diese Märchen mit Vergnügen las. Gimes verzichtet auf ein Urteil über seine Leserschaft.

In Sachen People. Selbst Silvia Schaub muss in Der Sonntag gestehen, dass die Promi-Dichte der Charles Voegele Fashion Night etwas mager ausfiel.  Partyerfahrenen Kolleg/innen hatten Mühe, bis zum Redaktionschluss attraktive Bildli nach „Houston“ zu übermitteln. Organisatorisch ging die von IMG  organisierte Veranstaltung technisch perfekt über die Bühne. Das Bild des Vertreters des Hauptsponsors, André Maeder (CEO Charles Voegele AG) mit Monica Cruz (tillate.com) ist originell. 

Die Medienkritik kennt eine neue Kategorie: Heuballen-Hefte. Sie vermüllen die Kioskauslagen mit Kochrezepten, Tipps zur Haltung von Hamstern und ob ein Schaf wirklich eine Alternative zum Rasenmäher sei. Dem früheren Agrar- und Gartenjournalismus haben sie längst das Wasser abgegraben und erfreuen sich bei Stadtmüden offensichtlich grosser Beliebtheit. Der grosse Erfolg der neu gestalteten Tierwelt ist ein Gradmesser für den Boom in unserem kleinen Markt in der Deutschschweiz. Es genügt, die Hefte aus Deutschland am Kiosk kurz durchzublättern.

Nun hat den Heuballen-Heften Der Spiegel einen Beitrag gewidmet.  Leider öffnet der Boom für die Fotografie keine neue Perspektiven. Kein einziges dieser Blettli pflegt die Fotografie oder vergibt relevante Aufträge für Reportagen. Sie entstehen nicht auf dem Land, sondern in tristen Grossraumbüros in Hamburg oder München, zusammengeschustert aus abgehangenen Beiträgen und Agenturbildern.

Tierisches findet man in LeMatinDimanche. Tristan Cerf begleitete Makumba, den weissen Löwen von René Strickler zur Hirnoperation ins Tierspital Zürich. Leiter des delikaten Unternehmens war Professor Jean-Michel Hatt. Für die Bilder, die auch online verfügbar sind, zeichnet Yvain Genevay. Dass Makumba in der Klein- und nicht in der Grosstierklinik aufwachte, sollte man ihm erklären. Er ist, genetisch ganz einfach eine etwas grössere Katze.

Nichts neues über Steve Lee an diesem Wochenende, und Weisse Karte für Moritz Leuenberger. Nachdem als letztes Medium im Umzug auch die Weltwoche seine  staatsmännische Leistung würdigen wollte, winkte er ab. Nun publizierte die Weltwoche eine weisse Seite, immerhin mit einem fotografischen Porträt des Late Statesman als Aufmacher. Somit hatte Leuenberger sein letztes Medientor erzielt.

5 Kommentare zu “Überzeugende Magazine, Ganzkörper-Porträts im Trend und Heuballen-Hefte”

  1. Und was genau ist nun so «beispielhaft» an den überbelichteten, unvorteilhaften hauptsächlich bunten Helgen im MAGAZIN mit Schlagschatten, abgesoffenen Hintergründen und dergleichen? Beispielhaft für den tagilastigen Zürcher Medien-Teig, wo die immer gleichen Leute die immer gleichen Leute lobpreisen und fotografisch eine Bildermasche inszenieren, die bestenfalls noch als «Fastfood» durchgeht, belanglos, austauschbar und fad, 20minutenfotografie.

  2. Über den Geschmack kann man sich streiten. Doch immerhin hat DAS MAGAZIN Dan Cermak die Chance gegeben, ein Thema durch eine Nummer durchzuziehen. Sonst hat man viel zu oft nur Agenturbilder eingepflegt. Die Idee mit den Boys und ihren Ritterspielen und dem Cover, das ich noch aufschalten werde, gefällt mir persönlich.
    Hoffe, Dan präsentiert es irgendwann als eigene Arbeit.

  3. @Christian Ich hatte oft Gespräche mit Kamera-Leuten, die digital und vorzugsweise immer noch analog arbeiten.
    Dann kam ich auf die Idee, dass vielleicht die Verarbeitung der Textilien auch entscheidend ist. Einerseits ist es das Muster, andrerseits sind es die Reflexe der „Fabrics“, mit sythetischen Fasern.
    Seit einigen Tagen weiss ich, dass die Innenverspiegelung der Objektive (bei digitalen Kameras) sehr entscheidend ist. Der analoge Film dämpft sie, der Sensor wirft sie zurück.
    Das fasziniert mich. Mit der Fotorafie lernt mar nie aus.

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