Das Buch «A German Lady – Bertha Wehnert-Beckmann / Leben & Werk einer Fotografiepionierin» ist mehr als nur die Biografie der ersten deutschen Fotografin. Es beleuchtet auch die Szene der frühen Fotografie mit der Daguerreotypie, der Talbotypie und dem Kollodiumverfahren bis hin zur Stereofotografie und zu den populären Carte-de visites-Bildchen.
Die Quellforschung der frühen Fotografie dürfte weitgehend abgeschlossen sein, und in der entsprechenden Literatur scheint die Geschichte der Fotografie lückenlos dokumentiert. Und nun kommt ein 400 Seiten dicker und zwei Kilo schwerer Prachtsband daher und enthüllt mit über 340 seltenen Abbildungen das Schaffen der ersten Fotografin in Deutschland: Bertha Wehnert-Beckmann.
Über Bertha Wehnert-Beckmann war bisher relativ wenig bekannt. Die grossen Fotohistoriker Josef Maria Eder, Erich Stenger, Helmut Gernsheim, Beaumont Newhall, Wolfgang Baier oder Rudolf Skopec erwähnen die erste Fotografin kaum, erst Erich Stenger widmet ihr in seinem «Siegeszug der Photographie» einen Abschnitt, bevor Fritz Kempe in seinem Buch «Die frühe Daguerreotypie in Deutschland» etwas ausführlicher auf Bertha Wehnert-Beckmann eingeht.
Das Leben von Bertha Beckmann ist spannend: Sie wurde 1815 in Cottbus geboren und übte im Sommer 1842 die Technik der Daguerreotypie bei Wilhelm Horn in Prag aus, erlernt hat sie das Verfahren vermutlich sogar noch früher. Im Dezember 1842 bot Bertha Beckmann als erste Berufsfotografin Europas ihre Dienste in Dresden an und heiratete 1845 Eduard Wehnert. Die Ehe war von kurzer Dauer, denn ihr Mann verstarb zwei Jahre später, so dass Bertha das Geschäft alleine weiterführen musste. 1849 ging sie nach New York, eröffnete dort ein Fotostudio und galt als «German Lady» mit der Talbotypie als Pionierin der Fotografie auf Papier. Ab Herbst 1851 war sie wieder sehr erfolgreich in Leipzig tätig, bis sie sich 1882 zur Ruhe setzte und 1901 starb.
Ihr Leben war unter zwei Aspekten ungewöhnlich: Erstens war die frühe Fotografie, mit dem hohen Berufsrisiko (z.B. Quecksilberdämpfe) und dem harten Konkurrenzkampf der Wanderfotografen weitgehend Männersache. Es gab nach der Veröffentlichung der Daguerreotypie nur ganz wenige Fotografinnen, wobei nach Bertha Beckmann in Dresden als erste in der Schweiz die in Solothurn tätige Deutsche Franziska Möllinger gilt. Zweitens war es noch ungewöhnlicher, dass eine Frau 1849 alleine nach Amerika übersiedelte und dort mit ihrer Arbeit auf Anhieb anerkannt wurde.
Dass sie in der europäischen Geschichtsschreibung weitgehend übersehen wurde, hängt auch damit zusammen, dass den westlichen Fotohistorikern nachdem Zweiten Weltkrieg die Archive in der damaligen Ostzone praktisch unzugänglich waren, wo ein grosser Schatz einer unbekannten Fotografin schlummerte.
Dieser Schatz wird nun im jüngsten Werk von Jochen Voigt aus der Versenkung geholt. Das Buch zeigt nicht nur das spannende Leben der ersten Fotografin Deutschlands auf und dokumentiert ihr fotografisches Schaffen mit einer repräsentativen Bildauswahl, sondern es gibt gleichsam ein Stimmungsbild der fotografischen Anfänge wieder, in dem der Autor auf die Komplexität der damaligen Fotoverfahren, der Daguerreotypie, der Talbotypie und der Kollodiumfotografie bis hin zu den populären Carte-de visites-Bildern, eingeht. Weiter schildert er auch auf interessante Weise das berufliche Umfeld von Bertha Wehnert-Beckmann mit einer Vielzahl berühmter Fotografennamen im In-und Ausland. Dabei kommen auch die beiden wichtigsten Schweizer Pioniere nicht zu kurz: Johann Baptist Isenring als erster Daguerreotypist der Schweiz und Erfinder der Koloriertechnik und Franziska Möllinger, die bereits im April 1839 – vier Monate vor der Veröffentlichung der Fotografie – durch eine Veröffentlichung ihres Bruders Otto Möllinger über Daguerres Verfahren informiert gewesen sein dürfte.
Das Werk von Jochen Voigt geht weit über die Biografie der ersten Fotografin Deutschlands hinaus und beleuchtet neben ihrer beruflichen Tätigkeit die ersten sechzig Jahre der Fotografie in aussergewöhnlich vollständiger Weise. So beschreibt Voigt die damals üblichen Verfahren, geht ausführlich auf die Anfänge der Fotografie in Amerika ein, wo die Daguerreotypie und die Kalotypie in der Zeit als Bertha Wehnert-Beckmann in New York war einen regelrechten Boom erlebten, und zeigt uns das Bildschaffen aus den ersten fünf Jahrzehnten mit vielen Details, wie sie eben dem Auge eines Bildrestaurators nicht entgehen. Das Buch ist zudem ausgezeichnet recherchiert und verweist auf eine Fülle wichtiger Quellen, welche in vielen Bereichen ein späteres Nachforschen ermöglichen. Es ist in einer leicht verständlichen Sprache verfasst und in einer Qualität gedruckt, welche die vielen Unikate originalgetreu wiedergibt. Es ist ein Buch, das man unbedingt haben sollte, wenn man sich mit den Anfängen der Fotografie befasst und das auch später einmal diese Bedeutung behalten dürfte.
Urs Tillmanns
Buchbeschreibung des Verlages
Bertha Wehnert-Beckmann (1815 – 1901) war die erste professionelle Fotografin Europas und die erste Lichtbildnerin weltweit, von der sich ein fotografisches Schaffen anhand originaler Aufnahmen nachweisen lässt. Als Pionierin der Fotografie gab sie auch ein ungewöhnliches Beispiel emanzipatorischer Bestrebungen im 19. Jahrhundert ab. Mit profundem Text und hunderten Abbildungen widmet sich das Buch nicht nur ‚Berthas‘ Schaffen in Dresden und Leipzig, sondern auch ihrem künstlerischen Wirken in der Megacity New York, wohin sie 1849 für zwei Jahre aufbricht.
In ihrem Atelier auf dem Broadway macht sie die New Yorker mit der in den USA nahezu unbekannten Papierfotografie vertraut. 1850 empfängt sie den Präsidenten der USA, seine politischen Weggefährten, Künstler aus New York sowie Vertreter der dortigen Fotografieszene in ihrem kleinen Studio. Das American Institute ehrt das Pioniertum der Leipzigerin mit Auszeichnungen. Als «German Lady» geht Wehnert-Beckmann in die Erinnerungen amerikanischer Fotografiepioniere ein. «In der Geschichte der Fotografie nimmt ihr Werk wegen der exzellenten bildnerischen Qualität international eine herausragende Stellung ein.» (Ulrich Pohlmann)
In Leipzig zurück, entwickelt sich Wehnert-Beckmann zur führenden Fotografin, in deren Atelier regierende Souveräne, Verleger, Politiker, Schauspieler und Musiker ein und aus gehen. Der Fall Wehnert-Beckmann hat kaum einen Vergleich in Europa.
Autor Jochen Voigt, Verfasser mehrerer Publikationen zur Frühgeschichte der Fotografie, ist es gelungen, nicht nur die fotografischen Leistungen Bertha Wehnert-Beckmanns ins Licht zu rücken, sondern auch die Umstände zu beleuchten, unter denen sie entstanden. So kommt es, dass sich das Buch auch «als spannende Kulturgeschichte des Mediums Fotografie im 19. Jahrhundert liest.» (Ulrich Pohlmann)
Öffentliche und private Sammlungen aus Europa und den USA steuerten zahlreiche frühfotografische Kostbarkeiten zur Illustration dieses Bandes bei.
Wehnert-Beckmanns faszinierendes Werk geriet fast 100 Jahre in Vergessenheit und feiert nun eine angemessene Auferstehung. Anlass zur Herausgabe dieses Buches ist der 175. Geburtstag der Fotografie.
Das «grosse Wehnert-Beckmann-Buch» ist eine Augenweide für alle Liebhaber der frühen Fotografie, die Druckqualität wie gewohnt exzellent.
Der Inhalt
Zum Geleit
Rätsel & Faszination
Menschen & Orte
Biografische Skizzen zu einer ungewöhnlichen Frau
Eigenherrische Wesen
Fotografierende Frauen zwischen 1839 und 1845
Spiegelnd & seitenverkehrt
Das daguerresche Verfahren
Konkurrenz auf Papier
Das talbotsche Verfahren
Das Lichtbild als Vorlage
Grafiken nach Fotografien
Leder, Samt & Seide
Über Präsentationsformen früher Fotografie
Ankunft in der neuen Welt
Kalotypieren in New York City
Broadway Galleries
Das berufliche Umfeld einer Aussenseiterin
Plastischer als die Natur selbst
London 1851 und die Folgen
Fotografie auf Glas
Das nasse Kollodiumverfahren
Ein neues Format
Cartes de Visite von Bertha Wehnert-Beckmann
Zeittafel
Atelier & Ausstattung – ein Wegweiser
Personenverzeichnis (Auswahl)
Literaturverzeichnis (Auswahl)
Der Autor
Jochen Voigt, geboren 1957 in Chemnitz (Sachsen), ist Restaurator und Ausstellungsdesigner, er lehrt als Designprofessor an der Westsächsischen Hochschule Zwickau, für die er auch die hochschuleigene Galerie für Angewandte Kunst im Barockschloss Lichtenwalde leitet. In Chemnitz betreibt er mit seiner Frau, der Fotografikerin May Voigt, seit fast 15 Jahren ein eigenes Restaurierungsatelier für Daguerreotypien. 2004 begründeten sie gemeinsam die Website www.daguerreotype-gallery.de, mit der das Interesse und Verständnis für frühfotografische Objekte im deutschsprachigen Raum geweckt bzw. vertieft werden sollte. Seit 1988 veröffentlichte Voigt zahlreiche Bücher über historisches Kunsthandwerk und Fotografiegeschichte (u.a. Für die Kunstkammern Europas. Reliefintarsien aus Eger; Ritus und Symbol; Sächsische Innungsladen aus fünf Jahrhunderten; Der gefrorene Augenblick; Daguerreotypie in Sachsen 1839-60; Spiegelbilder; Europäische und amerikanische Porträtdaguerreotypie). Er war ausserdem Kurator zahlreicher Ausstellungen.
Jochen Voigt – A German Lady
Bertha Wehnert-Beckmann / Leben & Werk einer Fotografiepionierin
400 Seiten, gebunden, fester Umschlag
345 Abbildungen, durchgehend in Farbe
Verlag Edition Mobilis, Chemnitz
ISBN 978-3-9813691-2-0
Preis: CHF 69.00 / EUR 49,90
Bestellbar beim Verlag oder im Buchhandel
Was für eine interessante Entdeckung! Den Namen Bertha Wehnert-Beckmann sollte man sich nach neustem «State of the Art» der Fotografiegeschichte nun wohl hinter die Ohren schreiben 🙂