Heute vor 175 Jahren wurde die Fotografie zwar nicht erfunden, doch wurde das erste kommerzialisierbare Verfahren von Louis Daguerre öffentlich verkündet und von der französischen Regierung der ganzen Welt zum Geschenk gemacht. Deshalb wird am heutigen Tag die Fotografie in vielen Ländern gefeiert – auch in der Schweiz.
Die Fotografie wurde nicht von einer einzigen Person an einem bestimmten Tag erfunden, sondern sie lag in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewissermassen «in der Luft». Seit über 300 Jahren war die Camera obscura ein beliebtes Zeichengerät, und Naturwissenschaftler, Forscher und Zeichner versuchten mit allen Mitteln das virtuelle Bild mit chemischen Mitteln festzuhalten.
Dies gelang erstmals dem Franzosen Joseph Nicéphore Niépce (1775 – 1833) 1826, als er auf einer mit einer hauchdünnen Asphaltschicht überzogenen Zinnplatte nach einer achtstündigen Belichtung den Innenhof seines Gutes in Saint-Loup-de-Varennes abbilden konnte.
Der Landsitz von Nicéphore Niépce in St.Loup-de-Varennes und die erste Fotografie, die ihm dort 1826 glückte
In Paris befasste sich Louis Jacques Mandé Daguerre (1787 – 1851), Landschaftsmaler und Inhaber des Pariser Lichtspieltheaters «Diorama», mit ähnlichen Versuchen. Die Kameras und Objektive dazu beschaffte er sich beim Pariser Optiker Charles Chevalier, von welchem er von Niépce‘ Versuchen erfährt. Daguerre und Niépce gehen in der Folge am 1829 einen Zusammenarbeitsvertrag ein und gründen damit die erste fotografische Gesellschaft der Welt.
Die Geburtsstunde der Fotografie
Die Stimmung am 19. August 1839 im Institut de France muss spannungsgeladen gewesen sein. Naturwissenschaftler, Gelehrte, Künstler, Maler, Zeichner, Architekten und viele Interessierte waren gekommen, um Einzelheiten über das Verfahren von Daguerre zu erfahren. Bereits am 7. Januar, hatte der berühmte Physiker François Arago (1786 – 1853) vor der Akademie der Wissenschaften über Daguerres Verfahren berichtet und der französischen Regierung empfohlen, die Erfindung zu kaufen und der ganzen Welt zu schenken. Damit schien das Rätsel der haltbaren Bilder gelöst, was schnell in Tageszeitungen und Magazinen rund um die Welt verbreitet wurde. Und jetzt am 19. August sollte man endlich mehr darüber erfahren.
Am 19. August 1839 im Institut de France in Paris. Arago (stehend) erklärt das Verfahren von Daguerre, der in der Mitte des Tisches sitzt infolge Heiserkeit nicht sprechen will. Isidore Niépce, als Rechtsnachfolger seines verstorbenen Vaters Nicéphore, sitzt daneben und schweigt. Beide werden eine lebenslange Rente vom französischen Staat erhalten.
Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt. Daguerre war sehr nervös und Heiserkeit hinderte ihn am Sprechen. Arago übernahm seinen Part und trug die Verfahrensweise vor. Im Saal herrschte absolute Ruhe, denn niemand wollte ein vielleicht wichtiges Detail überhört haben. Am Schluss die freudige Botschaft: Die Deputiertenkammer hatte am 30. Juli 1839 dem «Gesetz zum Ankauf der Daguerréotypie durch den französischen Staat» fast einhellig zugestimmt, und ab heute durfte jedermann die Fotografie ausüben, ohne jemandem Lizenzen zahlen zu müssen. Den beiden Erfindern wird eine lebenslange Rente zugesprochen: Daguerre erhält jährlich 6000 Francs und Niépce 4000. Kaum war die Sitzung fertig, wurden die Optikgeschäfte und Chemikalienhandlungen in ganz Paris bestürmt, denn jeder wollte eine Kamera und die zum Fotografieren erforderlichen Utensilien haben.
Louis Jacques Mandé Daguerre und die von Alphonse Giroux und den Gebrüdern Susse konstruierte Kamera
Der Schweizer Erfinder der Fotografie
Mit dem Bekanntwerden von Daguerre’s Verfahren meldeten sich in vielen Ländern meist Naturwissenschaftler, denen es offensichtlich schon früher gelungen war das Bilder Kamera festzuhalten: Der englische Privatgelehrte Wilhelm Henry Fox Talbot, dem bereits im August 1835 ein negatives Papierbild glückte, welches er als Positiv umkopieren konnte, dann Hippolyte Bayard, der am 20. Mai 1839 Arago fantastische Ansichten von Paris zeigte und dafür ein Schweigegeld von 600 Francs kassierte, weiter der norwegische Rechtsanwalt Hans Thøger Winther oder der in Brasilien lebende Franzose Hercules Florence … Und nicht zu vergessen Andreas Friedrich Gerber (1797 – 1872), Professor für Tierheilkunde in Bern, dem bereits 1836 «mit Hilfe des Sonnenmikroskops» ersten Bilder von Präparaten gelangen.
Gerber wurde 1797 in Eggiwil geboren und erhielt in Bern einen Lehrstuhl für Tierheilkunde. Gerber war sehr vielseitig begabt. Er vertiefte sich in Probleme der Chemie und der Mechanik, konstruierte eine Turbine und befasste sich mit lichtempfindlichen Substanzen. Erfolgreich, wie wir heute annehmen müssen, denn im Vorwort zu seinem «Handbuch der allgemeinen Anatomie des Menschen und der Haussäugethiere» schreibt Gerber 1840, dass er bereits 1836 Bilder des Sonnenmikroskops «mittels der zarten Hand der Natur selbst – gleichsam durch einen blossen Lichthauch herzauberte». Das war fast vier Jahre bevor die Erfindung Daguerres in Paris öffentlich verkündet worden war. Gerber berichtete in einem Artikel am 19. Januar 1839 im «Schweizerischen Beobachter» über seine Erfindung, mit dem Hinweis, dass ihm auch Bilder mit der Camera obscura gelungen seien.
Die Meilensteine bis heute
Nach 1839 hatte sich die Fotografie in Windeseile über alle Kontinente verbreitet. Zwar wollte sich Daguerre zusammen mit seinem Schwager Alphonse Giroux und dem Kamerahersteller Susse Frères die Rechte sichern, die Kamera und Utensilien für 400 Francs (das war etwa das Jahreseinkommen eines Arbeiters) weltweit exklusiv zu vertreiben, doch schnell waren andere Kameratischler zur Stelle, welche billigere und ebenso gute Kameras anboten.
Die technische Entwicklung machte rasche Fortschritte und trug dazu bei, dass die Fotografie sehr schnell populär wurde. Hier die wichtigsten Meilensteine, welche massgeblich zur Popularisierung der Fotografie beitrugen:
1841 Henry Fox Talbot erfindet die Kalotypie und lässt sie patentieren. Die Papiernegative hatten gegenüber der Daguerreotypie den Vorteil, dass davon eine beliebige Anzahl Positive angefertigt werden konnten.
1847 Abel Niépce de Saint-Victor gelingt es eine lichtempfindliche Eiweissschicht auf Glas haften zu lassen; die Schlüsselerfindung für lichtempfindliche Fotoplatten.
1851 Frederick Scott Archer gibt das nasse Kollodiumverfahren bekannt und leitet daraus zusammen mit Peter Fry die Ambrotypie ab. Die günstigen Metallbilder geben der teuren Daguerreotypie den Todesstoss.
1854 André Adolphe Eugène Disdéri lässt die Carte-de-visite patentieren. Er belichtet mehrere Aufnahmen auf eine Glasplatte und kann dadurch sehr günstige visitenkartengrosse Porträts anbieten. Die Bildchen sind nicht nur äusserst beliebt zum Verschenken, sondern jedermann konnte sich solche leisten.
1871 Richard Leach Maddox erfindet die Bromsilber-Gelatine Trockenplatte und schafft damit das chemisch grundlegende Verfahren für die Fotografie bis heute.
1873 Hermann Wilhelm Vogel mischt der Emulsion Farbstoffe bei uns erweitert damit die spektrale Empfindlichkeit in den Grünbereich.
1888 George Eastman lanciert die «Kodak No. 1»-Kamera, eine einfache Box, die nur 25 Dollar kostet. Mit ihr schaffte die Amateurfotografie den Durchbruch.
1892 Samuel Turner erhält ein Patent für den Rollfilm mit lichtdichtem Schutzpapier. Damit ist das Ende der schweren und zerbrechlichen Glasplatten angesagt.
1895 Auguste und Louis Lumière melden den Kinematographen zum Patent an. Die Bilder lernen laufen …
1907 Auguste und Louis Lumière stellen die ersten Autochrome-Farbplatten her. Die ersten Farbfotografien finden Verbreitung.
1924 Die Ermanox-Kamera mit dem lichtstarken 1:2,0 Objektiv ermöglicht Aufnahmen bei wenig Licht.
1925 Die Leica ist eine der ersten Kamera mit Kleinbildfilm und wird auf der Frühjahrsmesse in Leipzig der Öffentlichkeit präsentiert. Das neue Bildformat 36 x 24 mm revolutioniert die Fotografie.
1935 Leopold Godowsky und Leopold Mannes entwickeln im Auftrag von Kodak den «Kodachrome»-Diafilm. Besonderheit: Die Farbkuppler sind nicht im Film, sondern in den Entwicklern enthalten. Der Film wurde von 1935 bis 2009 produziert und war der meistverkaufte und beliebteste Diafilm.
1936 Gustav Wilmanns und Wilhelm Schneider sind die Väter des «Agfacolor»-Film, dem ersten Dreischichtenfilm mit eingelagerten Farbkupplern.
1942 Der «Kodacolor»-Negativ-Positiv-Prozess und die «Ektachrome»-Diafilme werden zunächst für militärische Zwecke genutzt und ab 1946 auch für den zivilen Markt freigegeben.
1947 Dr. Edwin Land präsentiert das erste Sofortbildverfahren unter dem Markennamen «Polaroid»
1950 in Köln wird die erste Photokina zunächst als deutsche Fotomesse eröffnet. 1951 wird sie international: Es sind daran bereits 340 Aussteller aus 70 Länder beteiligt.
1963 Mit Kodak «Instamatic» Kassettenfilmen wird das Filmeinlegen wesentlich vereinfacht. Der Film besteht aus einem Rollfilm-ähnlichen 35mm-Film mit Spezialperforation, der in einer lichtdichten Kassette untergebracht ist. Im gleichen Jahr stellt Agfa den «Rapid»-Film vor, der von einer Patrone in eine zweite transportiert wird; dadurch entfällt das Rückspulen des Films.
1974 Der Kassettenfilm 110, «Pocket»-Film genannt, basiert auf 16mm-Film für das Bildformat 13×17 mm und ermöglicht die Konstruktion von kleineren Kameras. Super-8 Filme mit Magnetton-Spur kommen auf den Markt: zum bewegten Bild kommt der Ton.
1975 stellte Steven J. Sasson bei Eastman Kodak den Prototyp einer ersten Digitalkamera her. Sie wiegt 3,8 Kilogramm und hat eine Auflösung von 10‘000 Pixel. Kodak war an einer Weiterentwicklung dieser Technologie vorerst nicht interessiert.
1981 stellt Sony in Japan die «Mavica» vor, die als erste kommerzialisierte elektronische Kamera gilt. Noch erfolgte die Bildaufzeichnung nach den Magnetverfahren auf einer Video-Floppy.
1982 kommen die «Disc»-Filme auf den Markt. 15 Negative in der Grösse 8 x 10,5 mm sind auf einer Filmscheibe angeordnet. Die neuartigen Filme hatten gewaltige Investitionen in den Labors zur Folge. Die Bildqualität war zu schlecht um die Pocket-Filme abzulösen, so dass Disc-Kameras bald wieder vom Markt verschwanden.
1984 gelingt die erste Bildübertragung einer Aufnahme mit der Canon RC-701 von den Olympischen Spielen in Los Angeles in eine japanische Zeitungsredaktion. Sie dauert für die 187‘200 Pixel 30 Minuten.
1988 erfindet Fujifilm die Speicherkarte, mit der die Daten erstmals digital und nicht mehr, wie zuvor, magnetisch abgespeichert werden.
1990 präsentiert Kodak in Zusammenarbeit mit Nikon die erste digitale Spiegelreflexkamera DSC-100. Sie hatte eine Auflösung von 1,3 Megapixel und kostete 20‘000 Dollar.
1992 zeigen auf der Photokina viele namhaften Kameramarken Prototypen von elektronischen Kameras, die noch mit unterschiedlichen Verfahren arbeiten, doch einen klaren Trend aufzeigen. Die Filmindustrie nimmt die Herausforderung an und reagiert mit einem neuen Filmsystem:
1996 bringen Canon, Fujifilm, Kodak, Minolta und Nikon zusammen das APS-System auf den Markt. Das «Advanced Photo System» bestand aus einer geschlossenen Filmpatrone, die nach der Verarbeitung des Films auch zur Aufbewahrung der Negative diente. Neu war, dass man teilbelichtete Filme der Kamera entnehmen und wieder einlegen konnte. Zudem konnte man drei verschiedene Bildformate bestellen.
1996 Die Pixelmanie beginnt: Polaroid zeigt die PDC-2000 mit einem Megapixel Auflösung, die Olympus Camedia C-2000 hat zwei Megapixel und die Canon EOS-1D brilliert bereits mit sechs Megapixel.
2002 setzten sich die Digitalkameras gegenüber den Kameras mit Film mengenmässig erstmals durch. War das Marktverhältnis 2002 noch rund hälftig, gewannen die Digitalkameras enorm an Popularität. Das konstante Wachstum dauerte bis zum Spitzenjahr 2010 an und erlitt dann, vor allem durch das Aufkommen der Smartphones, einen konstanten mengen- wie wertmässigen Rückgang.
2004 Facebook startet und dient zunächst dem Datenaustausch unter Studenten, bevor es zur wichtigsten Sozialplattform im Internet wird. Das Sharp GX30 ist 2004 das erste Fotohandy mit einer 1-Megapixel-Kamera. Ein Jahr später wird das Samsung SCH-V770 mit einer 7-Megapixel-Kamera gezeigt. 2012 präsentiert Nokia das 808 PureView mit einer integrierten 41-Megapixel-Kamera.
Die Digitaltechnologie hat der Fotografie im letzten Jahrzehnt zu einer enormen Popularisierung verholfen. Mit dem Aufkommen der Mobiltelefonen mit integrierter Kamera wird jederzeit und überall fotografiert. Letztes Jahr wurde weltweit mehr fotografiert als in den 175 Jahren zuvor! Das verdeutlichen auch die Zahlen im Internet: Pro Sekunde werden mehr als 3’000 Bilder alleine auf Facebook hochgeladen – das ergibt rund 91 Milliarden Fotos alleine auf Facebook in diesem Jahr. Die Fotografie hat in den letzten zehn Jahren mit der Digitaltechnologie eine revolutionäre technische Entwicklung vollzogen und ist heute eine allgegenwärtige, unverzichtbare Bildersprache.
Text: Urs Tillmanns
Bildmaterial: Archiv des Autors / Kameramuseum Vevey
Heute, am 19. August 2014, findet im Kursaal Bern eine Jubiläumsfeier zu 175 Jahren Fotografie statt. Der Anlass kostet mit Jubiläumsdiner CHF 75.–. An der Abendkasse sind noch wenige Plätze verfügbar. Weitere Informationen dazu finden Sie auf www.fotohistory.ch.