«Die Stätte der Jugendlichen» – Teen City – wird wohl nie aufhören uns zu faszinieren, uns zu verwirren und Fragen aufzuwerfen. Vom 15. Juni bis 26. Oktober 2008 zeigt das Musée Elysée in Lausanne die Jugend in der Fotografie auf eine völlig ungewohnte Art und Weise. «Weshalb hat die Figur des Jugendlichen in den Bereich der Kunst Einzug gefunden? Die Bilder der Jugendkultur sind zahlreich in der zeitgenössischen Fotografie. Das Thema erlaubt es den Künstlern so diverse Fragen wie die biologische Verwandlung, die Identität, die Sexualität oder die Gewalt anzugehen.»
Von allen Lebensphasen, ist wohl zweifellos die Jugend jene, die die meisten Fragen aufwirft. Die Cliquenbildung der Jugendlichen ist in allen Leuten Munde und es kommt nicht selten vor, dass die Erwachsenen ihre Beunruhigung angesichts dieses Phänomens ausdrücken. Die diesbezügliche Sachliteratur beschränkt sich oft auf die Erwähnung der Schwierigkeiten, welche die Jugendlichen durchleben oder deren Ursprung sie sein können. Die Soziologen sind sich darin einig, dass die Jugendlichen Fähigkeiten, Vorlieben und kulturelle Verhaltensweisen vorweisen, welche eine Einheit an genügend stabilen und kohärenten Merkmalen aufzeigen, um sie als eine Gruppe von der restlichen Bevölkerung zu unterscheiden. Die Medien und die Werbung haben diese Wahrnehmung stark beeinflusst. Mit dem Wachstum der Kaufkraft seit der Nachkriegszeit haben sich spezifische, auf die Jugendlichen und ihre Gier nach neuen Produkten abgestimmte Märkte entwickelt.
Jugend und Jugendlichkeit werden von der heutigen Gesellschaft idealisiert. Trotzdem tut diese sich schwer damit, bestimmte Schwierigkeiten dieser Realität, deren Darstellungen ständig neu geschaffen werden, zu erkennen. Auch die Künstler arbeiten an diesem ständigen Wandeln mit: die Jugend-Fotografie – es kann sogar von einem eigenen fotografischen Genre gesprochen werden – ist in den letzten Jahren mehr und mehr anzutreffen. Dieses Alter zu studieren kommt der Betrachtung einer Form von «Andersartigkeit» gleich. Kein Kind mehr, aber noch nicht Erwachsener; nicht Mann, nicht Frau, sondern häufig androgyn; die Vergangenheit zurückweisend und von seiner Zukunft träumend, ist der Jugendliche auf der Suche nach sich selbst. Er überwacht sein Image aufmerksam und nimmt die Ästhetik seines Universum sehr wichtig: er versucht sich einen charakteristischen Stil zugeben, um eine eigene Identität zu schaffen. Er benutzt und arbeitet unterschiedliche Codes aus. Wie bildet er seine Identität, ausgehend von den verschieden ihn darstellenden Bildern? Jenen von den Massenmedien abgezeichneten und seinen eigenen?
In der Fotografie hat die Abbildung von Jugendlichen ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit den Arbeiten von Vorreitern wie dem Amerikaner Bruce Davidson und Larry Clark, rasant zugenommen. Ihre Bilder enthüllen eine zerrissene, ausschweifende und straffällige Jugend. Seit den 1990er Jahren hat die niederländische Künstlerin Rineke Dijkstra, bekannt geworden durch ihre die Verletzlichkeit aufzeigenden Fotografien von jugendlichen Körpern, den Genre tiefgreifend beeinflusst und zahlreiche Künstler auf dieses Thema aufmerksam gemacht. Das Musée de l’Elysée hat beschlossen, sich von diesen Pionierarbeiten abweichende Vorgehensweisen zu zeigen. Nicht ein übergreifendes Porträt der Jugend, sondern eine Ansammlung von Bildern der vergangenen zehn Jahre und von Fotografen realisiert, welche unterschiedlichste Problemstellung angehen: die Schule als autonomer und in sich geschlossener Raum; das schwierige Abwägen zwischen Individualität und Gruppenzugehörigkeit; das Zusammenleben mit anderen Generationen, die sich an den Normen stossende Suche nach Authenzität; das Ende der Unbeschwertheit und der Übergang zur harten Wirklichkeit des Erwachsenenlebens; die Wunschvorstellungen und Träume, Zufluchtswerte fernab der von der Gesellschaft auferlegten Regeln; die Bildung einer neuen Körperlichkeit, das sexuelle Erwachen.
Da diese Arbeiten stets den Blick des Erwachsenen wiedergeben, wollten wir ebenfalls von Jugendlichen, Primarschülern (Lausanne: Elysée und Béthusy, Yverdon, Genolier) und Gymnasiasten (Morges) aus dem Kanton Waadt, realisierte Bilder zeigen. Die Allgegenwärtigkeit des digitalen Bildes stellt ihnen heute, via Mobiltelefon und Blog, ein neues Kommunikations- und Kontaktknüpfungsmittel zur Verfügung. Das Musée de l’Elysée hat hundert von ihnen eingeladen, für die Dauer dieser Ausstellung Fotografen zu werden.
«Die Stätte der Jugendlichen» – Teen City – wird wohl nie aufhören uns zu faszinieren, uns zu verwirren und Fragen aufzuwerfen.
Im Rahmen der Ausstellung sind verschiedene Führungen, Diskussionen am Runden Tisch und andere Höhepunkte geplant.
Foto: Hanne van der Woude. Katinka and Annabel, Oosterbeek – Holland, 2007 © van der Woude
TEEN CITY PROPOS DER KUENSTLER
Julia Fullerton-Batten (Grossbritannien)
«Die Jugend ist eine komplexes und sensibles Alter, vor allem, wenn die jungen Mädchen anfangen ich im gesellschaftlichen Zusammenhang zu sehen und ihre Identität hinterfragen. Dieses Alter arkiert eine Zeitspanne wichtiger körperlicher und psychologischer Veränderungen, aber auch des Unwohlseins und der Hoffnung, genauso wie der erwachenden Freiheit. In meinen Bildern versuche ich diese Veränderung festzuhalten. »
Dana Popa (Rumänien)
« Seit 1989 ist der Sexhandel eines der rentabelsten illegalen Geschäfte in Ost- und Westeuropa. Die Republik Moldavien wurde zu einem der Hauptzulieferstaaten von Sexualsklaven für den ganzen Kontinent. Wir haben uns daran gewöhnt Bilder von Sexualsklaven in geschlossenen Häusern oder auf dem Gehsteig zu sehen. Ich habe entschlossen eine andere Geschichte zu zeigen, in dem ich junge Frauen, Opfer dieses neuen Sklavenhandels, welche in ihre Heimat zurückzukehrten, fotografierte. Ich wollte sehen, wie es ihnen gelang das Trauma zu überwinden, welches sie in einer Welt, die das ihnen zugefügte Leid ignoriert, erlitten haben. Sämtliche Prostutierten des Ostens werden Natascha gerufen. Sie alle hassen diesen Uebernamen. »
Marion Poussier (Frankreich)
«Mein Projekt ist aus meinen Erinnerungen an die Sommerferienlager entstanden. Diese Ferienlager waren eine Art von Intermezzo in meinem restlichen Leben. Da mich niemand kannte, war ich frei, die von mir gewünschte Rolle zu spielen. Die Zeit – ausgesetzt – und der Raum – geschlossen – formten eine andere Dimension. Die Frage des Scheins, des Erscheinungsbildes, die der Jugendzeit innewohnt, ist das Herz dieser Arbeit. Wenn diese Bilder uns die theatrale Seite der jugendlichen Haltung zeigen, so lassen sie auch ihre eigene, zerbrechliche und verletzliche Persönlichkeit
durchscheinen.»
Ewen Spencer (Grossbritannien)
«Ich sträube mich gegen die Idee, dass Jugend mit Drogen und Kriminalität einhergehen. Im Innersten sind die Jugendlichen immer noch was sie immer waren – eine Hormonexplosion und eine heftige Unruhe. Es ist eine sehr aufregende und wilde Zeit. Ich denke, dass dies seit Erscheinen des Wortes „Jugendlicher“ in den fünfziger Jahren immer so war. Auszubrechen bedeutet alles für einen Jugendlichen. Ein Pausenhof in dem er seine Hosentaschen lehrt.»
Lena Maria Thüring (Schweiz)
«Mein Projekt ist den Gruppen von Jugendlichen gewidmet, welche die Vorliebe für die Hip Hop-Musik teilen. Die jungen Männer, die ich fotografiere, befinden sich, vor allem durch ihre Posen und ihre Gestik, in einer ständigen Situation der Selbstdarstellung. Die Frage stellt sich, wie die Welt der Medien die Wirklilchkeit der jungen Männer, die Wahrnehmung ihrer selbst und die Entwicklung ihrer Identität beeinflusst. »
Nicolas Savary (Schweiz)
«Im Rahmen dieser Untersuchung habe ich mich für eine Kategorie von Personen, die Jugendlichen, und einen Architekturtypus, die Schule, interessiert. Zurückgeschoben aus der Welt der Erwachsenen, welcher sie noch nicht angehören, haben die Jugendlichen ihre Mühe einen identitären Raum zu finden. Insofern stellt die Schule nur einen Ersatz in dem Sinne dar, dass dieser von den Erwachsenen auserwählte Ort sie beschäftigen soll. Wenn man die Schulen besucht, stellt man sehr schnell fest, dass die räumliche Organisation der Priorität der funktionellen Logik gehorcht. Die Bewegungen, die Körperhaltungen und die Posen sind durch die schulische Autorität choreographiert.»