Pressespiegel zum Wochenende vom20./21. September 2008.
Die Coopzeitung setzt in ihrer Nummer 38 voll auf Bio. Im 127 Seiten starken Heft finden sich neben der üblichen Werbung fast ausschliesslich Bekenntnisse zu Bioprodukten und einem nachhaltigen Lebensstil. Star des Hefts und Cover-Woman ist Melanie Winiger. Starfotograf, der sie in Szene setzt, Michel Comte. Winiger und ihr Partner, der Softrapper Stress scheinen exklusiv für die Werbung von Coop aufzutreten.
Das Resultat kann sich sehen lassen. Nachdem Matthias Zehnder sich in die schwierige Aufgabe als Chefredaktor eingearbeitet hat, wirkt eine der am meisten gelesenen (und sogar mehrsprachig produzierten) Zeitschriften der Schweiz inhaltsreicher und konsistenter. Das Interview mit Melanie Winiger ist etwas seicht, und im Modeprospekt von Coop Naturaline hätte man von Michel Comte innovativere Bilder erwartet. Doch Coop muss ja primär Kleider verkaufen und keine politischen Botschaften. Übigens, soweit aus dem Making-of erkennbar, fotografiert Comte mit einer (natürlich digitalen) Hasselbad der neusten Generation.
Während Coop laufend neue Marken lanciert, – in diesen Tagen nicht ohne Seitenhieb gegen die Konkurrenz ironisch eine Linie „B-Plan“, deckt Konkurrentin Migros ihre neue Strategie noch nicht auf. Fest steht, dass der Markenwald bei der Migros zur Zeit durchforstet wird und zahlreiche Kampagnen sistiert wurden. Für Fotografen bedeutet dies, dass zahlreiche Aufträge in Wasser fallen dürften.
In diesem Vakuum entstehen seltsame Dinge, wie eine Bildreportage zum Erntedankfest im Walliser Weiler Ammern ob Blitzingen für das Migros-Magazin. Als Modell dient Loulu von Brochwitz aus Berlin. In einem Pseudodirndl legt sie sich für eine Bauernfamilie bei der Heuernte mächtig ins Zeug und gibt Weisheiten über Nachhaltigkeit preis. Man lernt noch einen Zuchthirsch und ein Barthuhn kennen. Im vermutlich kitschigsten Bild sitzt die schöne Berlinerin beim Segen von Pfarrer Pascal Venez in der reich geschmückten Kapelle brav und adrett in der zweiten Reihe. Sie trägt nun nicht mehr das Heu- sondern das Sonntags-Dirndl. Die technisch perfekten Bilder stammen von Lucas Peter, der am Missgriff der Redaktion zweifellos keine Schuld trägt. Bezeichnenderweise wirbt die Mogros mit dem Beitrag vor allem für Convenience-Wild. Wir haben jedoch Zweifel, ob auf der Walliser Festtafel nur Süssmost und roter Traubensaft stand.
Sonntags-Blick schlachtet in der Zeitung wie im Magazin seine Stars an diesem Wochenende nochmals gnadenlos aus. Das Magazin wird dominiert von den Miss Schweiz-Kandidatinnen. Die Bilder von Nicolas Righetti überzeugen ebenso wenig wie das Layout. Man den Eindruck von einem aufgeschnipselten Modemagazin. Karl-Heinz Hug hat den Abschied von Ruedi Rymann („Schacher-Sepp“) mit Bildern der Trauerfamilie dokumentiert. Unter anderem ist ihm, leider erst im Briefmarkenformat publiziert, auch Samuel Schmid im Trauerzug, isoliert zwischen zwei Bodyguards, vor die Linse geraten. Vielleicht findet das Bild mit seiner Symbolkraft bald anderweitig Verwendung.
Wenn man keinen Emo in der Familie oder im Freundeskreis hat, lernt man die seltsamen Wesen in einem Beitrag von Michèle Roten in Das Magazin (Ausgabe Nr.38) kennen. Emos sind sensible, gestylte Jugendliche, die mit ihrem Weltschmerz am Abend im Hauptbahnhof Zürich oder so herumhängen. Weit deutlicher wird ihre Welt aus der Bildreportage von Rico Scagliola und Michael Meier, die in einem Langzeitprojekt Jugendkulturen begleiten und dies auch auf ihrer Website festhalten. Zur Zeit studieren sie noch Fotografie an der Hochschule der Künste in Zürich, aus deren Fotoabteilung in den vergangenen Jahren schon mehrere derartige Projekte hervorgegangen sind.
Originell ist die Idee des Magazin-Kolumnisten Reeto von Gunten, ihm für einen Diavortrag das peinlichste Bild aus dem persönlichen Album zuzustellen. Von Gunten muntert uns auf, bei unseren Eltern und in alten Schuhschachteln nachzuschauen. Er lädt uns danach zu seinem Diaabend ein. Einsenden kann man die Bilder an meinpeinlichesbild@reetovongunten.com.
Doch auch bekannte Fotografen publizieren zuweilen peinliche Bilder. Der Tages-Anzeiger befasste sich diese Woche vertieft mit der Strassenprostitution am Sihlquai. Wie illustriert man das delikate und traurige Thema? Thomas Burla hat für die Print- und Online-Version ein Bild geliefert, das falsche Zeichen setzt. Im Hollywood-Stil sieht man eine vermutlich schöne, zumindest laszive junge Frau mit einem wartenden Auto im Hintergrund. Man könnte das Bild als Werbung für den Stadt-Slogan „Wir leben Zürich“ deuten. Doch die realen Verhältnisse in der Szene sind geprägt von Unterdrückung, Ausbeutung und alltäglicher Gewalt. Unsere geschätzten Kollegen vom Tages-Anzeiger haben sich für eimal vergriffen.