David Meili, 5. Oktober 2008, 08:41 Uhr

Gratispresse für Mädels, wie posiert eine Miss und Werbung mit dem Bergdoktor

Pressespiegel zum Wochenende vom 4./5. Oktober 2008

Tagesgespräch bei Werbern und Fotografen im Mikrokosmos von Zürich war die Nullnummer des neuen Gratismagazins „20min Friday“. persönlich.ch hatte offenbar die Exklusivrechte, um das neuen Produkt aus dem TA-Mediaverlag ins Gespräch zu bringen. Ein unter Dominique von Albertini kreativ tätiges Team hat ein Gratisblatt entwickelt, das Werber beglückt, doch Fotografen ins Abseits stellt. Praktisch in jedem Beitrag findet sich Product Placement, zumeist mit Bezugsquelle und Preis. Lieferant für die Bilder sind Werbeagenturen oder Datenbanken.

Ob das neue Produkt noch ein Presserzeugnis ist, bleibt offen. Soweit über die Schamgrenze hinaus hat sich bis anhin nicht einmal der Blick gewagt. Das Zielpublikum sind „Mädels“, die das neuste Handy, den aktuellsten Schuh und die dazu passende Handtasche für die Party spätestens bis zum Samstagabend haben müssen. Neu ist das Konzept nicht, die erwachsene Frauenpresse macht es schon lange vor. Auf alle Fälle sieht sich die Konkurrenz (auch im eigenen Haus) gefordert. Die Fotografie bleibt auf der Strecke. Es dürfte kaum mehr Auftragsreportagen geben, ausser von Werbeagenturen. Der Verlust an Substanz und aktueller Information ist absehbar.

Um Shopping geht es auch im Tages-Anzeiger vom 3. Oktober. Weil der amerikanische Architekt Daniel Libeskind zusammen mit dem trendigen Zürcher Architekturbüro Holzer, Kobler das Einkaufszentrum Westside in Bern Bümpliz erstellt hat, wird das Projekt in sechs reaktionallen Beiträgen auf drei vollen Seiten gewürdigt. Die Bilder hat Doris Fanconi beigesteuert. Der Themenschwerpunkt irritiert, denn weder im Text noch im Bild finden sich kritische Untertöne. Man muss mehrmals zurückblättern, um sicher zu sein, dass man sich noch im Kulturteil und nicht schon in eine Werbebeilage verirrt hat.

Das Magazin überzeugt dieses Wochenende wieder einmal mit zwei Beiträgen, deren Bilder mindestens so stark sind wie die Texte. Olaf Unverzart steuert für den Pressetrailer des Films Nordwand Aufnahmen von Steilwänden bei, wie man sie noch kaum gesehen hat. Veronique Hoegger zeigt die stille Schönheit von behinderten Kindern, die vielleicht nicht hätten auf die Welt kommen sollen und ohne diese unsere Welt ärmer wäre.  Weshalb Max Küng gemäss Editorial „vorübergehend“ ausfällt, gibt zu Spekulationen Anlass. Wir hoffen, dass der Querdenker und gute Kollege von vielen Fotograf/innen nicht in einigen Wochen im Impressum der Weltwoche auftaucht. Das wäre der ultimative „Selbstversuch“ (Name seiner Kolumne).

Der Sonntag tut sich mit Bildnachweisen immer noch schwer. Sie finden sich lediglich dort, wo Agenturen wie Keystone die Hekunft zwingend vorschreiben, doch welcher Fotograf die Aufnahme gemacht hat, erfährt man selten. Erkannt hat man die Wirkung von guten Personenreportagen. Raphael Hünerfauth begleitet ein Interview mit dem 22-jährigen Cédric Wermuth, Präsident der Jungsozialisten. Aus seinem Privatalbum hat Wermuth sogar ein Urlaubsbild beigesteuert, das ihn beim Ritt auf einem heiligen Krokodil in Burkina Faso zeigt. Sehenswert ist auch ein Porträt des Fussballdelegierten Ernst Lämmli nach der peinlichen Niederlage gegen Luxemburg (Fotograf André Albrecht).

Da die neue Miss offensichtlich noch zu wenig hergibt, überbrückt das Magazin zum Sonntags-Blick das Interregnum mit einem glamourösen Beitrag über Amanda Ammann, die jetzt wieder zur Uni geht. Die besten Bilder aus ihrer Amtszeit zeigen Trends in der People Fotografie auf und lassen offen, was man fotografisch in diesem Bereich wirklich noch neu erfinden könnte. Christine Bärlocher fällt durch Porträts zum Thema Sporthilfe auf. Sie präsentiert die angehenden Sportlerinnen und Sportler mit ihren „Paten“ verspielt und beschwingt. Die Sporthilfe hat die gelungene PR verdient.

Nachdem die Bild-Zeitung und insbesondere Bild-Online sich seit Jahren darauf kapriziert haben, Stars beim Einsteigen ins Auto dem Leser näherzubringen, rollt jetzt die Ekelwelle. Amy Winehouse und Pete Doherty im Morgengrauen sind beliebte Sujets. Die Ekelstrecke in der aktuellen Ausgabe schlägt jedoch alles bisher Gezeigte. Nur dürfte es kein Zufall sein, dass die Bilder von Agenturen stammen, die den Stars zumindest nahestehen. Dass solche Bilder gezielt und im Einverständnis mit dem Management zur Imagepflege in die Presse gebracht werden, ist anzunehmen.

Eine der schönsten Reportagen des Wochenendes lag schon beim Altpapier, als uns das Titelbild neugierig machte. Der Werbeprospekt Das Auto (Nummer 1, September 2008) von Volkswagen (sehenswerter Promoclip im Panoramaformat) liegt dieses Wochenende nahezu der gesamten Sonntagspresse bei. Auf dem Titelbild findet sich die Aufnahme einer Passstrasse als Gebirgsfotografie von hohem Niveau. Im Heft selbst begleiten wir den Meiringer Tierarzt Wolfgang Gees mit einem VW Tiguan Allrad auf die Alp Tschingelfeld hoch über dem Brienzersee. Etwas Werbung mischt sich mit Stimmungsbildern von Landschaft, Tieren und Menschen. Schade, dass uns die Agentur den Namen des Fotografen (oder der Fotografin) vorenthält.

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