Pressespiegel vom 14./15 März 2009
Die gewalttätigen Ereignisse dieser Woche haben den Tagesjournalismus überschattet und dazu geführt, dass weitgehend Bilder grosser Agenturen visuell dominierten. Weit aus dem Fenster gelehnt hat sich die Aargauer Kantonspolizei mit eigenen Bildpublikationen und voller Namensnennung, die offensichtlich auch den Presserat alarmiert haben. Soweit hätte sich selbst der Blick nie vorgewagt.
Wie rasch sich Behörden und Amtsstellen beim Wettbewerb um die Medienpräsenz täuschen können, zeigt das tragische Massaker in Winnenden. Ein wesentlicher Teil über Vorgeschichte und das Persönlichkeitsprofil des Täters war offensichtlich falsch und von Polizeisprechern aus den Fingern gesogen. Man muss der Boulevard-Presse zu Gute halten, dass sie zumindest im deutschsprachigen Raum in den vergangenen Jahren niemals derartige Fehlleistungen erbracht hat. Sind Reporter doch die besseren Rechercheure?
Es gibt keine Hierarchie bei Opfern, doch der Tod von Céline Franck wurde selbst in den Medien im Grossraum Zürich eine Randerscheinung. Abgehakt unter „Kosovare erschiesst Gymnasiastin“. Cécile wurde auf dem Parkplatz beim McDonalds in Volketswil von ihrem „Freund“ brutal erschossen, soweit heute bekannt ist. Da die Untersuchungsbehörden im Kanton Zürich im Gegensatz zum Aargau sehr zurückhaltend sind, hat die Familie das Porträt der jungen Frau selbst publiziert. Doch dies dürfte auch politische Gründe haben. Die Zürcher Justizbehörden sind „auf Bewährung“.
Somit dominieren in der Sonntagspresse Gewaltereignisse, und die Berichterstattung geht wenig über das hinaus, was man bereits vor dem Gang zum Kiosk auf dem Internet fand. Für den Blick ist der Fall Lucie offensichtlich Chefsache, denn fotografisch hat nicht mehr Ralph Donghi den Lead, sondern Karl-Heinz Hug. Bei Sonntag.CH drückt und verdrückt man sich vor den hausgemachten Problemen und versucht sie auf Seite 2-3 krampfhaft zu generalisieren (Bild A. Felber). Heute, um 07.58 kam auf www.sonntagonline.ch ein rabenschwarzes Fenster. Zufall oder Mene Tekel?
Eine positive Überraschung und Bereicherung in der Schweizer Fotoszene ist Bolero Men. Das Heft wird gemeinsam mit der Redaktion von cash herausgegeben, und allein diese Zusammenarbeit zeigt, dass man an der Dufourstrasse konstruktiv über Synergien nachdenkt, selbst wenn es die Printausgabe von cash einmal nicht mehr geben soll.
Selbst wenn man sich als Mittfünfziger nicht mehr direkt angesprochen fühlt, ist das Magazin eine Lektüre wert. Ernst Wirz porträtiert fotografisch Hakan Yakin, der auch als Model eine gute Figur macht. Dann erfährt man, was ein Latin Lover trägt, dank Shootings von Joachim Baldauf und einer Realisation von Martina Riebeck. Ob Model Aeneas mit Bildern, die im Haus von Piero Fornasetti in Mailand entstanden sind (wie im „Frauen“-Bolero) mehr Männer und Männer oder Frauen anspricht, ist nicht relevant.
Erkenntnis aus Bolero für ältere Herren: Dieses Jahr wird in Rimini dezente Brustbehaarung wieder angesagt sein. Seltsam im Product Placement: An einer Kamera von Canon werden Gorillapod und SanDisk fürs Shopping positioniert, die Kamera selbst nicht.
Der Blick rätselt über den Verbleib von Whitney Toyloy, die man eigentlich gerne hie und da in der Öffentlichkeit sehen möchte. Die Begründung, sie habe viele Termine in der Westschweiz, ist fadenscheinig. Die vielleicht zu junge und sensible Miss Schweiz wird auch dort nicht wahrgenommen, wenn man einen Blick in die regionale Presse wirft. (Bildnachweis: Werbung Beldona, Fotograf nicht erurierbar.)
Immerhin brachte Whitney Toyloy in den Opernball in Zürich ganz kurz einen Hauch von Glamour. Der von Alexander Pereira in der „Provinz“ für Sponsoren inszenierte Abklatsch des Wiener Opernballs mochte nicht zu begeistern. Doch Pereira ist ein Meister der Kommunikation und schuf Medienpräsenz. Konkurrenziert wurde eine Themenummer der Schweizer Illustrierte von einem Beitrag von SF DRS über die Klatschkolumnistin Hildegard Schwaninger (die am Montag als Pflichtübung auch im TA darüber berichtete, und von Constantin Seibt anschliessend parodiert wurde). Die Bildreportagen entstanden in einem Kraftakt der Teams. Der Opernball fand am Samstag statt, die SI musste am Sonntag gedruckt werden und der Film auf SF DRS wurde auch in Nachtschicht geschnitten. Wenn beim Fernsehen Schichtarbeit Regel ist und auch gut honoriert wird, mussten einige Mitarbeiter von Ringier auf den Sonntagsjass verzichten. Doch in beiden Beiträgen fehlt es an guten Bilder.
Während bei der SF DRS Regie und Schnitt weit unter dem Niveau des kommerziellen Fernsehens lagen (verantwortlich war Roland Huber), vermittelt die SI eine ansprechende Nummer. Und überhaupt hat die Zeitschrift unter Nik Niethammer wesentlich an Profil zugelegt, auch was Bildreportagen betreffen. Thomas Buchwalder und Hervé Le Cunff haben am Opernball vermutlich alle Promis abgeknipst, – doch wer die Bilder verzerrt ins Layout eingezwängt hat, dürfte weder von Fotografen noch von den Dargestellten Komplimente erhalten. Offensichtlich entstanden die Bilder in Kooperation mit Tillate, wo die wirklich guten Aufnahmen bereits wenige Stunden nach dem Event auf dem Netz verfügbar waren. (Bildnachweis tillate.ch).
Alain Zucker interviewte für den Tages-Anzeiger vom 14. März Porno-Produzent Larry Flint und gibt interessante Einblicke in die Branche. Die Ansichten von Flint zur Pornographie sind bekannt, doch seine Bedenken gegenüber dem Internet weisen auf eine tiefe Verunsicherung hin. Flint sieht sich als Verleger von Gratisangeboten bedroht, die zumeist werbefinanziert sind oder zur Gewinnung von vermarktbaren Profilen dienen. So befürwortet der Kämpfer für Meinungsfreiheit, dass Pornographie auf dem Internet nur noch durch den Login mit Kredikarte konsumiert werden dürfte mit dem dem scheinheiligen Argument des Jugendschutz.
Wie berechtigt die Ängste von Flint vor Gratisangeboten sind, zeigt sich selbst im harmlosen Bereich der Kontaktbörsen.
Freunde, die nach Spanien ausgewandert sind, gratulierten im Herbst über www.tagged.com spontan zum Geburtstag. Hinter dem Webdienst steht yahoo. Man gibt mit minimalen, anonymisierbaren Daten sein Geburtsdatum ein und verfügt über eine Online-Agenda, die automatisch an die Feste der Lieben erinnert. Soweit so praktisch. Doch dann erhält man selbst als älterer Herr Freundschaftsanträge von jungen Damen, die man sich eher als Schwiegertöchter wünscht. Nur leben sie etwas weit entfernt, wie auf den Philippinen oder in Südchina.
Was die neu gefundenen Freundinnen bewegt, immer wieder Grüsse und durchaus züchtige Bilder (yahoo ist puritanisch) zuzustellen, wird bei einer näheren Betrachtung des Geschäftsmodells deutlich. Die Damen erhalten pro Klick auf der andern Seite der Welt eine minimale Abgeltung, da tagged.com ausschliesslich werbefinanziert ist. Mit der wachsenden Popularität des Dienstes und immer mehr Konsumenten in Europa und den USA steigen auch die Anspüche an gute Bilder und beleben das Geschäft der lokalen Fotografen. (Rebecca hat mir dieses Bild geschenkt, Ort und Fotograf unbekannt.)
Nach wenigen Wochen Sammeltätigkeit auf tagged.com könnte man als Kurator eine grossartige Ausstellung über Porträtfotografie in Makati City aufbauen, ohne zu wissen, wo sich die Stadt befindet oder jemals dort gewesen zu sein.
P.S. Makati City ist ein Vorort südlich von Manila mit 500 000 Einwohnern, Sitz der Börse und mit zwei Metro-Strängen verkehrstechnisch erschlossen.
Soll das ein Witz sein? Keine Kooperation sondern schlicht ein Bild eingekauft. Wirklich gute Bilder? Noch ein Witz? Buchwalders Bilder sind 1A.. Sorry aber Euren Artikel verstehe ich nicht…
„Offensichtlich entstanden die Bilder in Kooperation mit Tillate, wo die wirkklich guten Aufnahmen bereits wenige Stunden nach dem Event auf dem Netz verfügbar waren.“
Danke für den Hinweis, erhellend, dass die SI Fotos von Tillate bereits Stunden nach dem Event kauft, sonst wären sie nicht im Print. Schade, dass bessere Fotos der SI nur auf http://www.schweizer-illustrierte.ch/leute/party/2009/03/opernball-in-zuerich.php zu finden sind.
Ich stehe zu meiner Aussage. Mit abgeschnittenen Füssen möchte ich nicht in der People-Presse sein, vor allem nicht, wenn ich soooviel für meine neuen Schuhe bezahlt habe.