Pressespiegel zum Wochenende vom 13./14. Juni 2007
Was erwartet man heute von einer Tageszeitung? Während die Chefredaktoren kamen und gingen, führte Eva Uhlmann beim Tages-Anzeiger ihr Sekretariat. Nach dem Eintritt in den Ruhestand vermittelte sie mit einer Kolumne viel Kluges und Wissenswertes. Ihr letzter Beitrag ist keine Folge des Sparprogramms, sondern eine weise Entscheidung angesichts des umfassenden Strukturwandels.
Eva Uhlmann beschreibt in ihrem persönlichen Schlusswort, wie sie oft nach vielen Überstunden voller Ungeduld frühmorgens zum Briefkasten ging, um das Produkt „Tages-Anzeiger“ in den Händen zu halten.
Heute ist dieser Zauber verloren. Newsnetz bringt Primeurs der kommenden Printausgabe bereits am Vorabend gratis auf dem Internet, und nicht nur die eigenen, sondern auch die der Konkurrenz. Bevorzugte Informationsquelle ist der Blick am Abend, dem man kein gleichwertig aktuelles Medium aus dem gleichen Haus gegenüberstellen kann. Mit 20Minuten ist man am Morgen als Pendler schneller und oft sogar präziser informiert als mit dem Tages-Anzeiger, der zunehmend an Terrain als Erstzeitung verliert.
Sehr spät haben bestandene Journalistinnen und Journalisten am Samstag gegen der Verlust des Tages-Anzeiger als Qualitätszeitung in einem offene Schreiben an den Verlag protestiert. Die meisten der Unterzeichneten sind mit grosszügiger Rente in Pension gegangen und sehr weit vom wirtschaftlichen Druck einer sich rasch verändernden Medienlandschaft entfernt. Für sie galt noch das Klischee, um halb elf die Rämistrasse hinterunter zu schlendern, in der Helvti hängen zu bleiben und dann vielleicht zwei Tage später jenen Beitrag zu publizieren, der bei Kollegen entweder Neid oder Schulterklopfen hervorrief, – Tempi passati.
Wie die abonnierte Qualitätszeitung neu definiert werden kann, zeigen Beispiele aus dem angelsächsischen Raum und in der französischsprachigen Schweiz, Le Temps. Diese Zeitungen liest man wegen der fundierten Exklusivbeiträgen, kompetenten Kommentare und den qualitativ hochwertigen Fotografien. Mit der angekündigten Übernahme von Beiträgen aus der Süddeutschen Zeitung befindet sich der Tages-Anzeiger auf dem Holzweg. Da kauft man die Süddeutsche besser im Original, denn in München hat man in einem viel härteren Wettbewerb bereits erkannt, welche Qualitäten bei Leser/innen ankommen.
Wie man mit verhältnismässig wenig Mitteln eine gute und gut illustrierte Zeitung machen kann, zeigt Sonntag CH. Aus dem Mittelland überrascht man wöchentlich durch Exklusivbeiträge dank einem gut vernetzten Team von Journalist/innen, die den Riecher hatten, aus bequemen Positionen in Zürich rechtzeitig abzuspringen.
Zudem weist die übersichtlich gestaltet Zeitung ein überzeugendes Szenario mit einem abwechslungsreichen Bühnenbild, – sprich Layout auf. Es macht Spass, sich in Sonntag CH einzulesen. Da die Zeitung nicht zu umfangreiche ist, findet man nach der Lektüre auch noch Zeit für den Familienbrunch. An diesem Wochenende überzeugt Sonntag CH im Bund „Menschen“ durch ein Interview mit Alex Capus. Das fotografische Porträt von André Albrecht muss man sehen. Wenn man Vorurteile über Capus hatte, soll man das Interview von Mario Guetg und Sabrina Sturzenegger lesen, und dann unbedingt seinen Bestseller „Der König von Olten“.
Hype des Wochenendes sollte eigentlich die Hochzeit von Boris Becker sein. In den führenden Blättern der Deutschschweiz stahl ihm Pascal Couchepin mit seinem Rücktritt die Show. Wie beim Domino fielen auch die teuer aufgekauften Geschichten des Sieges von Roger Federer bei den Blattstrategen hin. Doch Federer ist schneller als Becker, seine Frau Mirka ist sichtbar schwanger, und er kämpft im Sport zum SonntagsBlick wie ein Stier um die Privatsphäre seines Kindes. Der „stärkste“ Sportteil des Wochenendes hat sich mehrfach abgesichert. Die Reportage mit Didier Défago und Silvan Zurbriggen über Grasgymnastik in Kitzbühel mit Fotos von Christof Birbaumer ist ein frühsommerliches Highlight für den Nischensport Alpinski.
Wie Boris Becker „sein“ Kind medialisieren wird, kündigt der Blick am Sonntag bereits an, während die grosse Schwester Bild am Sonntag mit einem romantischen Hochzeitsbild titelt. Alle publizierten Aufnahmen der Vor-, Während- und Nach-Hochzeit in St. Moritz sind sehr gut abgestimmt und müssen teuer erkauft werden. Dies erklärt auch die Rempelei während der übrigens lange angekündigten „privaten“ Veranstaltungen der Hochzeitsgesellschaften. Ein „Sicherheitsdienst“ schirmte mit zum unschweizerischen Methoden jene Medienleute, die unter Vertrag standen, von der „Meute“ ab.
So kam es zu unangenehmen Rempeleien und einigen Schlägen, die bei einer Veranstaltung auf öffentlichem Grund in der Schweiz strafrechtliche Konsequenzen haben könnten. Nur hat niemand Interesse, aus der Hochzeitszeitsposse juristisch Kapital zu schlagen. Für Becker und seine Agenturen bedeutet „nach der Hochzeit“ = „vor der Hochzeit“. Doch bitte, die Nächste nicht mehr im Ober-Engadin, sonst müsste Mountain Wilderness Einspruch erheben.
Die NZZ ist etwas spät im Jahr bereits im Tessin. Ihre Beilage „Reisen und Freizeit“ ist ein bekanntes Vehikel zum Generieren von Inseraten durch die hauseigene Agentur. Nur wussten die Inserenten bei der Buchung vermutlich nicht, dass die Beilage erst nach der margenstarken Vorsaison erscheinen würde.
Bereits die Titelseite der Ausgabe vom 12. Juni verspricht nichts Gutes. Als Appetizer: „Bei einem Streifzug durch die Sonnenstube der Schweiz stösst man auf Überraschungen. Das Leben erscheint leichter, fröhlicher und bunter als in anderen Teilen des Landes.“ Da muss jemand sehr lange an einem Bleistift gekaut haben.
Die Beiträge im B1 genannten Bund folgen dem gleichen Muster. Barbara Hofmann macht mit ihrem Vergleich zwischen Lugano und Locarno Reisejournalismus wie vor vierzig Jahren. Unsere Aufmerksamkeit gilt den fotografischen Illustrationen von Christian Beutler. Er hat die Panonoramakamera entdeckt, mit Hoch- und Querformat. Die Fotos hat man jeweils aufs Layout gestreckt. Schon beinahe kultverdächtig ist auf Seite B9 der Schwan vor dem Monte San Giorgio. Ein so elegantes Tier hat man noch selten zu Gesicht bekommen. Barbara Hofmann klärt uns im Text auf: „Das Südtessin besteht geologisch aus Teile des früheren Kontinents Godwana – des heutigen Afrika.“ Dass sich ihre Zielgruppe (70+) längst nach der Wikipedia orientiert, dürfte in der Redaktionskonferenz an der Falkenstrasse nie zur Sprache gekommen sein.
Kann man Archäologie und Erotik zusammenbringen? Das Magazin zum SonntagsBlick hat es gewagt, mit einer überzeugenden Leistung. Michael Merz hat sich in die „Kunst der Kelten“ eingearbeitet. Die gleichnamige Ausstellung findet ab dem 16. Juni im Historischen Museum Bern statt. So innovativ wie die Ausstellung ist die Vorschau
Juventino Mateo zeigt die Preziosen auf viel nackter Haut, und dies mit Geschmack und Stilgefühl. Die bis zu 2 500 Jahre alten Schmuckstücke wirken sehr modern und man gewinnt einen Eindruck, wie sie getragen wurden. Das Aufnahmeteam, dessen weitere Mitglieder samt Model leider nicht erwähnt sind, hat sorgfältig gearbeitet. Das Styling arbeitet mit dem Kontrast zwischen archäologischen Schätzen und dem modernen Stilempfinden.
Für das Model muss es ein aussergewöhnliches Erlebnis gewesen sein, einige der wertvollsten Kulturgüter aus der Zeit der Kelten auf der eigenen Haut zu spüren. Vielleicht ist die Unbekannte selbst Nachfahrin einer keltischen Prinzessin und trägt immer noch Gene einer rotblonden und blauäugigen Urahnin in sich. Gut gemacht und sehenswert. Wir wünschen uns ein Making-of.
Daumen hoch… Liest sich toll 🙂