David Meili, 6. September 2009, 09:39 Uhr

Zur Zukunft der Print-Presse, Hannibal in Fotokopie und Moneygirls als Nackedeien

Pressespiegel vom Wochenende zum 5./6.September 2009
090905_zuercher_oberlandNun sieht sich auch das frühere freisinnige Traditionsblatt Der Zürcher Oberländer zu einschneidenden Sparmassnahmen gezwungen. Nach dem Übergang von einer eigenständigen Regionalzeitung zum Kopfblatt im Konglomerat der Zürcher Landzeitungen muss die eigene Berichterstattung nochmals stark reduziert werden. Diese Entwicklung ist symptomatisch für den raschen Strukturwandel in der Tagespresse.

Die Zeitung erscheint seit 1870 und hat als Hochburg der Liberalen mehrere Chefredaktoren und Verwaltungsräte in hohe politische Ämter geführt, unter ihnen auch Bundesrat Rudolf Friedrich. Schrittweise wurden Konkurrenten einverleibt, als letztes Beutestück nach einem zermürbenden Kampf mit dem Tages-Anzeiger der Anzeiger von Uster (gegründet 1846 und bis 1991 in Familienbesitz).

Als aufstrebende Wirtschaftsregion mit hoher Wohnqualität und entsprechendem Preisniveau wäre das Zürcher Oberland für eine qualitativ hochstehende Regionalzeitung ein ideales Biotop. Doch der Zürcher Oberländer hat sein eigenständiges Profil im Kampf gegen die Konkurrenz von Tages-Anzeiger und Gratisblättern schrittweise verwischt. Man versuchte es mit einem teuren Internetauftritt, der jedoch keinesfalls die Cash-Cow des abonnierten Printmediums konkurrenzieren durfte. Auf das angedachte Abenteuer eines Lokalradios verzichtete man. Dann folgte mit regio.ch der Versuch einer Gratiszeitung in jenen Monaten, in denen sich der Inseratemarkt generell verdünnte.

Die Zwischenbilanz: Arbeitsstellen werden abgebaut, die Redaktionen kommt in einen „Newsroom“, und eigenständige und eigenwillige Beiträge dürften kaum mehr gefragt sein. Dazu zählen auch exklusive Bilder, die kaum mehr honoriert werden, – von der Leserschaft zweifellos, – doch nicht für die Fotografen. Doch immer noch tickt die Zeitbombe. Neuabonnenten sind kaum zu gewinnen, und die treuen Alten scheiden aus demographischen Gründen Jahr für Jahr aus.

090905_magazinWie man mit Tageszeitungen durchaus erfolgreich sein kann, zeigt der Beitrag von Sacha Batthyany, Martin Beglinger und Finn  Canonica in DAS MAGAZIN. Vielleicht liegt man nicht falsch, wenn man ihn auch als Appell an das eigene Medienhaus versteht. Vorgestellt werden innovative Print-Medien aus Portugal, Holland und Schweden, die neue, zahlende Leser gewinnen. Ihr Rezept: Hohe Qualität.

Gemeinsame Nenner sind: Konzentration auf wesentlich Themen, aussergewöhnliche und exklusive Text-/Bildreportagen und ein durchdachtes, ansprechendendes Layout. Die Herausgeberin des Svenska Dagbladet bringt es auf den Punkt: Junge Menschen sind nicht Nicht-Zeitungskäufer, weil sie „dumm“ oder „unbebildet“ sind. Dann erfährt man, wie der Staat in Schweden die Presse fördert, und macht sich Gedanken zur Informationskultur in der Schweiz.

0909005_hannibalNachdem die People-Presse kaum über Fotos von Hannibal Ghadaffi verfügte, publizierte die Tribune de Genève das bei der polizeidienstlichen Einvernahme erstellte Porträt. Sobald die Zeitung auslag, wurde ein Verfahren eingeleitet, um das Leck in der Verwaltung zu finden. Polizei wie Justizbehörden erklärten sich als unschuldig. Personenfotos werden in Genf längst digital und in Farbe aufgenommen. Die wahrscheinlichste Hypothese: Irgend jemand konnte beim Fotokopieren der Akten nicht wiederstehen und hat sich das Blatt herausgenommen und nochmals durch die Maschine gelassen.

90905_algarve_zvgBlick-Online ist einer brisanten Story auf der Spur. Da prügelt sich ein Ostschweizer nach Discobesuch auf der Strandpromenade an der Algarve, weil seine portugiesische Freundin im Vorbeigehen als „Schlampe“ bezeichnet wird. Dann wird er von „mindestens einem Dutzend Polizisten“ überwältigt und „zusammengeschlagen“. Blick Online bringt die Leserfoto des Paars und den Beitrag ohne irgendwelche Rückfragen, und weiss auch nicht, was „Schlampe“ auf Portugiesisch heisst. Dies fiel auch Lesern auf, die sich fragten, ob nicht Täter und Opfer verwechselt wurden.

Nachdem sich die Money-Girls der umstrittenen Sendung „Deal or no Deal“ von SF DRS immer mehr als laszive Models in den Medien zeigen, versucht die Abteilungs-Verantwortliche Gabriela Amgarten die Situation unter Kontrolle zu bringen. Auftritte in „Herrenmagazinen“ sollten gemäss SonntagsBlick nicht mehr erlaubt sein. Unser Vorschlag: Die Girls in der von Endemol AG produzierten Sendung füdliblutt auftreten zu lassen. Dann wären Sendung und Darsteller/innen auf Augenhöhe.

An diesem Wochende vermissen Sie Hinweise auf gute Fotoreportagen, wir auch.

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