Pressespiegel zum Wochenende vom 5./6. Dezember 2009
Es war absehbar, dass nach der Annahme der Anti-Minarett-Initiative die Kopftücher jeglicher Couleur thematisiert würden, und dies nicht etwa von den Parteien und verirrten Populisten, sondern von der „seriösen“ Tagespresse. Dazu braucht man Pressefotos als Teaser. Wie man als Fotograf und als Bildredaktor damit umgeht, ist nicht nur eine Frage der Ethik sondern auch des guten Geschmacks.
Die NZZ am Sonntag hat sich zu einer Gratwanderung entschieden und bringt heute auf der Titelseite den Ausschnitt aus einem Pressebild über die Demonstration gegen das Minarettverbot in Zürich am 5. Dezember. Zu sehen sind nicht Grossmütter aus Ost-Anatolien, die ihren Männern „Einkaufstaschen nachschleppen“ (Zitat Julia Onken). Es sind Mädchen, die sich in Nichts aussser einem Seidenschal von den mitdemonstrierenden Gleichaltrigen unterscheiden. Über den gleichen Pass dürften sie alle verfügen.
Als Pressefotograf/in verliert man inhaltlich rasch die Kontrolle über sein Produkt. Das dürfte sich jener Kollege auch gedacht haben, als sein Bild als Teaser (Dateiname mainteaser.jpg !) auf Tages-Anzeiger/Newsnetz ins Rampenlicht kam. Der Textbeitrag greift die „Befürchtungen“ auf, dass die Schweiz mit der Aufhebung der Visapflicht nun von Arbeitswilligen aus dem Balkan überschwemmt werde. Familien mit grossen Taschen stehen beim Bus-Parkplatz am Zürcher Sihlquai.
Die Aufnahme zeigt schon bei oberflächlicher Betrachtung etwas ganz Anderes. Es ist Ferienbeginn oder Saisonschluss. Menschen, die ihren Beitrag an unsere Volkswirtschaft geleistet haben, gehen zu ihren Familien zurück, mit prall gefüllten Einkaufstaschen von Denner und Mediamarkt, nicht unbedeutenden Werbekunden der Tamedia (Bildnachweis Newsnetz/Keystone).
Wie man aus einer No-Story eine Story machen kann, beweist Beat Kraushaar im SonntagsBlick etwas gequält. Tatsächlich hat Roman Polanski am Samstag das Telefon persönlich abgenommen , doch dann nur kurz erklärt, er spreche nicht mit Journalisten. An Stelle von Polanski sieht man im Bild den Star-Interviewer Kraushaar selbst (Jeans, Pullover, weisses Hemd, Handy, Füller und Block). Und man erfährt, dass das Gespräch auf Französisch geführt wurde. Oh là-là.
Wer bei „Baggerkalender“ an die Abenteuer des Zürcher Millionärssohns Carl Hirschmann denkt, hat in den vergangenen Tagen zuviele Zeitungen gelesen oder hat keine Bodenhaftung zum Untergrund von echten Kerls. Baggerkalender gibt es tatsächlich, und sie sind gar nicht schlecht.
Star auf dem Markt ist der Heavy Equipment Calender von Hitachi. Den in Finnland aufgenommenen EX3600-8 (360 Tonnen) stellte man in einen mit PhotoShop dramatisierte Landschaft. Da wirkt selbst der von Terry Richardson gestaltete Pirelli-Kalender banal.
In Sachen Hirschmann präsentiert Paolo Foschini in sonntag.ch ein Porträt unter dem Lead „Ich bin kein Psychopath“. Der Bildtitel im Footer sollte die offensichtlich vom PR-Berater ausgeklügelte Botschaft verdoppeln. Tut sie auch, mit unfreiwilliger Ironie.
Die Schweiz hat nur wenig Blauhelme, doch viele Blauhemden. Der Schweizer Bauernverband hat einen weiteren Schritt in seiner Kampagne abgeschlossen, und nun wurden aus dem Publikum die Superstars gekürt. Die beiden Schönen gibt es nur im Doppelpack, und wer möchte nicht mit ihnen abheben. Doch ob der Wolkenhintergrund wirklich das Gelbe vom Ei oder das Weiss der Milch ist, lassen wir offen. Dank reichlich fliessender Lobbyarbeit im Parlament darbt die weitgehend öffentlich finanzierte Agrarwerbung nicht und lässt immer wieder auch Spielraum für mehr oder weniger kreative Fotografie offen.
Wer die Bildlegende zur Wahl als etwas zu schlüpfrig empfindet, darf ohne Vorurteile die Weihnachtskarte des Landwirtschaftlichen Informationsdienstes loben. Auch hier kennt man keine Berührungsängste. Star in diesem Jahr ist das Schottische Hochlandrind. Im Gegegensatz zu unserer Super-Rasse Brown Swiss darf es die Hörner noch tragen. Kühe ohne Hörner sind ebenso wenig Sympathieträger für die Landwirtschaft, wie Landmädchen mit Top und Nabelschau.
Hans-Peter Brendler war mit seinem Hund zehn Stunden im Schnee am Gotthard-Nordportal gefangen,und hat für den Blick sein Abenteuer im Bild festgehalten. Gerne hätten wir den Labrador beim Gassi-Gehen an der Leitplanke zwischen Wassen und Göschenen auch noch gesehen, doch vermutlich blieb die Kamera im warmen Auto. Immerhin hatte Brendler soviel aufgetankt, dass er zehn Stunden durchhalten konnte. „Driving into a blizzard“ oder so erhält man als Checkliste noch heute, wenn man in den Rocky Mountains ein Auto mietet.
Bei Newsnetz und News.ch dürfte am Weihnachtsessen schon vor dem Apero Katerstimmung aufgekommen sein. Am gleichen Freitag wurde unwiderruflich bekannt, dass News ab sofort nicht mehr erscheinen wird. Spätaufsteher unter den Pendlern werden sich die Augen reiben. Nach acht Uhr morgens hatte man im Zürcher S-Bahnnetz noch News als Alternative zu einer mit Red Bull-Flecken dekorierten Secondhand-Ausgabe von 20Minuten. Die News stammten allerdings vom Vortag, die Bilder aus dem Archiv und das Engagement der Redaktion hielt sich in Grenzen. Kaum jemand in der Fotoszene dürfte Tränen über den neusten Verlust in der Presselandschaft verlieren.
Mit dem Auftakt zu den Jahresessen ist die Ballsaison endgültig vorbei. Aus fotografischer Sicht ist die Bilanz nicht überzeugend. Der Deutschschweiz fehlt eine People-Presse, die Köpfe, Kleider UND Ereignisse als solche lustvoll hinüberbringt. Glanz&Gloria versucht es, doch auch den engagierten Kolleg/innen eines zeitgemässen Newsjournalismus im Schweizer Fernsehen gelingt es nicht, eine Brücke zwischen den Feiern der Happy Few und dem „einfachen“ Medienkonsumenten zu bauen.
Vermutlich zum letzten Mal auf dieser Site erwähnen wir Michel Comte. Seit mehr als 40 Jahren hat nun seine Werkschau im Zürcher Museum für Gestaltung die Marke von 40 000 Besucher/innen überschritten. Christian Brändle überreichte der Jubiläumsbesucherin Simone Cartier einen vom Comte signierten Migros-Sack. Von einem anschliessenden Mittagessen in der Kronenhalle erfahren wir aus dem SonntagsBlick (als Medienpartner) nichts.
Da kommen Erinnerungen an die eigene Zeit als Museumsdirektor auf, als man mit dem Pressefotografen hinter der Kasse auf eine visuell vermarktbare Familie im Anschlag stand, die sich in Szene setzen liess. „Die nehmen wir.“ Eine japanische Reisegruppe etc. liessen wir durchgehen, – und wie man weiss, glaubt man nur an jene Statistiken, die man selbst konsolidiert hat.