Pressespiegel zum Wochenende vom 26./27. Dezember 2009
Nach dem tragischen Zwischenfall im Berner Bärenpark (wie der Bärengraben nun euphemistisch „gebrandet“ wird,) ersetzt Bär Finn im Blick die festtagsbedingte Lücke bei der Cervelat-Prominenz. Er soll, wenn er will (und kann) Vater werden und dann gibt es härzige Bärli zum Fotografieren, – und alles „tiergerecht“ nach Berner Art.
Um die Gerechtigkeit gegenüber von Nutztieren bemüht sich seit mehr als zwanzig Jahren Erwin Kessler mit dem Verein gegen Tierfabriken (vgt). Kessler setzt seit Beginn seiner Kampagnen die Amateurfotografie als entscheidenden Informationsträger ein. Die von Aktivist/innen geschossenen Bilder von Käfighühnern und Käfigkaninchen haben in der Schweiz politisch mehr bewirkt als stundenlange politische Debatten.
Nun hat eine Mitstreiterin wiederum zugeschlagen und der Zürcher Oberländer Vertriebsorganisation natürli arg zugesetzt. Mit einer billigen Taschenkamera „besuchte“ jemand die Schweineställe der kleingewerbelichen Käsereien und hielt die Haltungsbedingungen fest. Dass die Tiere sonst „glücklich sind“ und nur durch das Blitzlicht aufgeschreckt wurden, wirkt als Gegenargument hilflos.
natürli produziert von Biosuisse zertifizierten Bio-Mozzarella und verkauft ihn mit Labelgarantie im Zürcher Hauptbahnhof. Das ist korrekt, denn die Zertifizierung beschränkt sich auf das Endprodukt, den Käse. Dass mit der anfallenden Schotte in der Käserei Schweine unter Bedingungen gemästet werden, die man als urbane Biokäuferin lieber nicht sehen würde, ist nicht Teil des Labelprogramms.
Das Bewusstsein für den gesamten Zyklus der Nahrungsmittelproduktion zu schaffen, können nur Bilder. Der Beobachter hatte sich vorerst bereit erklärt, die Reportage des VgT im Bild zu bringen, doch mit Rücksicht auf natürli hat man sich offensichtlich ausgeklinkt. Mag sein, dass Kessler auch Inserenten verärgert hätte. In seinem eigenen Vereinsorgan kombiniert er die Werbung für „glückliche Hühner“ von Migros und Coop mit arg zerzaustes Federvieh, das seine Getreuen auf Biobetrieben aufgestöbert haben.
Noch mehr Tierisches erwünscht? Die Bauernzeitung hat einen Fotowettbewerb lanciert, der die Erwartungen weit übertrifft. Die Preise sind bescheiden, und zumeist sind es Kinder und Jugendliche, die ihre Bildli einsenden. Technisch und gestalterisch sind die Aufnahmen verbesserungsfähig, doch spontan, oft originell im Ansatz und heben sich von der Bilderflut der Agenturen ab.
Wie Promis Weihnachten gefeiert haben, interessiert drei Nächte nach dem Heiligen Abend in der Sonntagspresse kaum mehr. Die Zeitungen von heute sind mangels Primeurs im Jahrestief. Die meisten Geschichten und Reportagen wurden bereits vor zehn Tagen vorproduziert, und wer danach an den Redaktionstischen sass, hatte nicht das Privileg, sich rechtzeitig aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen. Weihnachtsferien in der Zürcher Presseszene erinneren an Ferragosto in Italien.
Am billigsten verkauft sich der SonntagsBlick. Topstory und Editorial befassen sich mit dem Abnehmen. Das Bild stammt aus dem Film „La Grande Bouffe“ (1973). Unter „Aktuell“ werden Luftbilder von Prominentenvillen in Gstaad präsentiert, die nicht einmal in diesem Winter entstanden sind. Aufhänger ist, wen Roman Polanski zu sich einladen könnte (!), da er das Haus nicht verlassen darf. Niveaumässig schliesst sich der nicht gezeichnete Beitrag nahtlos an das Interview von Beat Kraushaar mit Polanski an, das mindestens im Raum Zürich „Pressegeschichte“ geschrieben hat (Inhalt zur Erinnerung: Polanski hatte am Telefon höflich aufgelegt).
Vertröstet wird man mit einem SonntagsBlick Magazin, das Prominente und Betroffene über Ereignisse des zu Ende gehenden Jahres schreiben liess. Die Bildauswahl ist hervorragend und berücksichtigt im eigenen Verlagshaus entstandene Fotografien. Unser Lieblingsbild: Der Appenzeller Nacktwanderer in der winterlichen Landschaft (Christoph Bangert, Laif).
In sonntag.ch erträumt Georges Müller als Gastkolumnist Ideen von prominenten Schweizer Werbern zur Umsetzung von Information in real verkaufbare Produkte. Er unterschiebt Pius Walker „Wer eine Schoggi kauft, kann auf der Innenseite die Exklusivgeschichte der Mittelland-Zeitung lesen…“. Die Satire endet mit bestechender Logik beim Toilettenpapier, das von einem (Welt-)Wochenmagazin bedruckt werden könnte. Das hatten wir doch schon, beim Plumpsklo.
Kaum „Glamour“ aus fotografischer Perspektive strahlt die Seite (20) Glamour von sonntag.ch aus. Die Bilder sind im Kontrast nicht ausgeglichen, und man fragt sich, ob das Blatt über ein Qualitätsmanagement in der Druckvorstufe verfügt? Gut zu wissen, dass man diese Seite auch inhaltlich überblättern kann. Nostalgisch erinnert man sich an die alten Drucker im Aargau, die für ihre herausragenden Produkte auch in Zürich und Lausanne geschätzt wurden.
Man findet an diesem Wochenende kaum aktuelle Aufnahmen von Party-Bildagenturen, wie tillate.com in der Printpresse. Ist ihre Zeit abgelaufen, oder sind ganz einfach die Budgets der Printmedien ausgeschöpft?
Die Homestory zum Abschluss eines ereignisarmen Wochenendes findet sich in der SonntagsZeitung. Vera Dillier ist mit ihrem Smart nicht in St. Moritz, sondern an der Zürcher Storchengasse mit Blick auf das Grossmünster. In der gemeinsam mit ihrem Ehemann bewohnten Wohnung finden sich weit über hundert goldene Fotorahmen mit Bildern von Freunden. Sie wechselt die Leute gelegentlich aus (durch „Aufschrauben“). Der Beitrag von Martina Bortolani ist sympathisch-witzig. (Aufnahmen Philipp Rohner).
Unser nächster Pressespiegel erscheint pünktlich am 3. Januar 2010. Wir wünschen Ihnen und Ihren Lieben schon heute nur das Beste zum Neuen Jahr.
Der Schwindel mit Tier-KZ-„natürli“-Produkten ist hier mit wenigen Worten sehr treffend und richtig zusammengefasst worden – eine Fähigkeit, die sonst bei Journalisten immer seltener anzutreffen ist.