Urs Tillmanns, 18. März 2010, 15:37 Uhr

Michael von Graffenried erhält Dr.-Erich-Salomon-Preis 2010 der DGPh

Der Schweizer Fotograf Michael von Graffenried wird mit dem Dr.-Erich-Salomon-Preis der «Deutschen Gesellschaft für Photographie» (DGPh) ausgezeichnet. Die Preisverleihung findet im Rahmen der Photokina 2010 statt. Dort wird Michael von Graffenried in der Visual Gallery auch Arbeiten aus seinem umfangreichen Werk zeigen.

Der seit 1971 für «vorbildliche Anwendung der Fotografie in der Publizistik» vergebene Preis erinnert an Dr. Erich Salomon, den grossen Fotografen der Weimarer Republik, dem der moderne Bildjournalismus starke Anregungen verdankt. Der Preis besteht aus einer Urkunde sowie einer Leica M-Kamera mit Namensgravur und wird – als neben dem Kulturpreis höchste Auszeichnung der DGPh – jährlich verliehen.

Mit dem 1957 in Bern geborenen Michael von Graffenried ehrt die DGPh einen der eigenständigsten und engagiertesten europäischen Photographen, der seit über 30 Jahren ein konsequenter Grenzgänger des Mediums ist. Michael von Graffenried lebt und arbeitet seit zwanzig Jahren in Paris und ist kein Fotojournalist im klassischen Sinn. So hat er es von Anfang an abgelehnt, sich an eine Redaktion oder eine Agentur zu binden, und wählt seine Reiseziele, Themen und Präsentationsformen selbst. Viele sprechen von einer Kontroll-Obsession, er nennt es lieber Kohärenz. Wie für eine zunehmende Anzahl seiner Kollegen verwischen sich für ihn die Grenzen zwischen Photojournalismus und Kunst immer mehr. Als einer der Ersten publizierte er seine Langzeitprojekte medienübergreifend und präsentiert sie immer öfter auch im öffentlichen Raum.

Ungewöhnlich und aufsehenerregend war schon Graffenrieds erste grosse Fotoreportage. Für «Nackt im Paradies», verbrachte er über 10 Jahren lang jeden Sommer bei den «Lichtfreunden», diskreten Naturisten am Neuenburgersee. Seine Geschichten findet Graffenried praktisch überall. Der Alltag schreckt ihn dabei nicht ab, auch die banalsten Orte strahlen für ihn Exotik aus. Allerdings meidet er Plätze, an denen Fotografen dicht an dicht gedrängt um das beste Bild kämpfen. Andere Risiken des Berufes scheut er indes nicht. Fasziniert durch den Einfluss islamischen Fundamentalismus auf unsere westliche Gesellschaft reiste er 1995 in den Nord-Sudan, zu einer Zeit als der Süden des Landes im Focus der Medien war. Dort photographierte er Sekretärinnen, die sich nach der Arbeit im Büro in grimmige Miliz-Kriegerinnen verwandeln. Auch den algerischen Bürgerkrieg, in dem Intellektuelle, Journalisten und Ausländer gezielt ermordet wurden, machte er zu seinem Thema. Seine dramatischen Bilder photographierte er häufig unbemerkt mit seiner Panoramakamera aus Brusthöhe. Our Town, das Porträt der US-amerikanischen Provinzstadt New Bern, die 1710 von seinem Vorfahren Christoph von Graffenried gegründet wurde, löste in der lokalen Presse eine intensive Kontroverse aus.

Für seine Arbeit Cocainelove begleitet er über zwei Jahren Astrid und Peter, ein drogenabhängiges Paar, auf der Strasse. Die Bilder zeigen einen schwierigen und unsicheren Alltag unter Drogen, zwischen Dealen, Gefängnis, Prostitution und Tod. Mit seinen Bildern hat Michael von Graffenried zwei von der Gesellschaft ausgeschlossene Menschen ein Gesicht gegeben. Dabei ist sein Blick oft hart, mitunter zärtlich, aber immer ehrlich und bezeugt ein tiefes Vertrauensverhältnis mit den abgebildeten Menschen. Etwas, das man im heutigen Journalismus allzu oft vermisst. Die Serie aus dreissig Panoramaphotographien im Format 270 x 128 cm plakatierte von Graffenried in den grossen Schweizer Städten auf kommerziellen Plakatflächen. Diese Aktion wurde als ein Manifest zur Erneuerung des Bildjournalismus aufgenommen, der durch die Veränderung des Zeitschriftenmarktes immer weniger Publikationsmöglichkeiten findet.

Als in Kairo seine Bilder für eine Ausstellung zensiert werden sollten, stellte er sie kurzerhand auf dem Dach über dem 12. Stock seines Wohngebäudes aus. Für sein Projekt eye on africa porträtierte er die Einwohner Kameruns und plakatierte die Panoramen abermals in den großen Schweizer Städten auf kommerziellen Werbeflächen, um so eine «Begegnung» der Schwarzafrikaner mit den Bürgern des helvetischen Kleinstaates zu provozieren.

«Michael von Graffenried ist in gewisser Weise der ‚Junge Wilde‘ unter den Schweizer Fotografen. Seine Themen, Bilder und formalen Lösungen sind immer an der Grenze.“ So kommentierte 2005 der heutige Intendant der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, Robert Fleck, das Werk Graffenrieds. Auch im Einsatz der fotografischen Technik hat Graffenried buchstäblich Grenzen erweitert. Als erster Fotograf setzt er eine Panoramakamera systematisch für Reportagen ein. Seit dem algerischen Bürgerkrieg fotogra iert er einen grossen Teil seiner Arbeiten im Panoramaformat und präsentiert sie, abgezogen auf klassischem Baryth-Papier und fast drei Meter gross, dem Publikum auf Augenhöhe. Diese Ausstellungsform im Cinemascoop-Format ermöglicht es ihm den Betrachter direkt ins Bildgeschehen einzubeziehen.

Zurzeit arbeitet Michael von Graffenried am Portrait des Stadtteils Whitechapel in East London, wo mehrheitlich Muslime aus Bangladesch wohnen. Eine Woche nachdem die Schweizer per Volksabstimmung das Minarett-Bauverbot in ihre Verfassung aufgenommen hatten, filmte er dort die Aufrichtung eines Minarettes und stellte den Film auf YouTube ein – als individuellen Protest gegen die seiner Meinung nach menschenrechtsmissachtende Verfassung seines Heimatlandes.

Weitere Informationen zur Michael von Graffenried finden Sie unter www.mvgphoto.com und unter www.ewgalerie.com

Auszeichnungen

2006 Ritter der französischen Ehrenlegion

1989 World Press Photo-Preis

Wichtige Einzelausstellungen

2010 Maison Européenne de la Photographie, Paris

2009 Zentrum Paul Klee, Bern

2007 Auf dem Dach eines 12-stöckigen Gebäudes in Downtown Kairo

2006 Bank of the Arts, New Bern, North Carolina (USA)

2005 Landesmuseum, Zürich

2004 Kornhausforum, Bern

2003 Stadtbibliotek Bordeaux

Kunstmuseum, Bern

Museum für Gestaltung, Zürich

UMAM, Beirut

Musée d’arts et d’histoire, Neuchâtel

2000 Nationalbibliothek Algier

1999 Fotomuseum Winterthur

Kloster und Kalkfabrik in Saint Ursanne

1998 L’abbaye de l’Epau, Le Mans

Centre National et Musée Jean Jaurés

Castres, Pavillon Delouvrier, Paris

1997 Witkin Gallery, New York

Galerie Scalo, Zurich

Museum Zündorfer Wehrturm, Köln

Galerie Agathe Gaillard, Paris

Museu Nogueira da Silva, Braga, (Portugal)

Galerie Focale, Nyon

1995 Maison de la Culture, Amiens

Pariser Sénat auf Einladung von Danielle Mitterand

Völkerkunde-Sammlung, Lübeck

Arche de la Défense, Paris

Musée de l’Elysée, Lausanne

1994 Hong-Kong Arts Center

1991 Visa pour l’image, Perpignan

Palais de la Culture, Algier

Bildbände

«eye on africa». Fotografien aus Kamerun. Text von Albertine Bourget. Schwabe, Basel 2009

«Cocainelove». Benteli, Bern 2005

«Risk». Contact statt Ausgrenzung. Contact Netz, Bern 2004

«Im Herzen Algeriens». Museum für Gestaltung Zürich. Benteli, Bern 2002

«Swisspanorama». mvgphoto.com, Paris 2002

«Du Jura au vaste monde parcours d’un photographe». Editions Ferme Asile, Sion 2000

«Jura. Visages d’une jeune république hors image». Editions Arts Vivants, Saint-Ursanne 1999

«Weltpanorama». Mit einem Geleitwort von Franz Hohler. Weltwoche-ABC, Zürich 1998

«Algerien». Der unheimliche Krieg. Benteli, Bern 1998

«Nackt im Paradies» (mit Texten von Harald Szeemann und A.D. Coleman). Benteli, Bern 1997

«Sudan» Der vergessene Krieg. Benteli, Bern 1995

«Algerien». Der Traum von der Demokratie. Benteli, Bern 1993

«Swiss People». Genf/Steffisburg 1991

«Swiss Image». Benteli, Bern 1989

«Mich trifft keine Schuld». Dokumentation zum Sturz von Frau Kopp. Ringier, Zürich 1989

«Markt im Bernerland». Text von Ueli Schmezer. ED, Langnau 1988

«Bundeshaus-Fotografien». Grafino, Bern 1985

«Kramgasse Bern». VDB, Bern 1983

«Berner Beizen-Porträts». VDB, Bern 1982

«Unter Berns Lauben». Text von Sergius Golowin. VDB, Bern 1980

Filme

2009 Brick Lane, 10’

2005 Cocainelove, 19’

2002 Guerre sans images – Algerien, ich weiss, dass Du weisst. Dokumentarfilm von Mohammed Soudani, 90’

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