Pressespiegel zum Wochenende vom 10./11. April 2010.
Karl-Heinz Hug ist einer der unbestritten besten verbleibenden Reportagefotografen in der Presseszene der Deutschschweiz. Nun lässt er sich selbst porträtieren, auf seinem Refugium im Freiburgischen. Die Home-Story eines Home-Story-Fotografen. Die Bilder hat Karl-Heinz Hug selbst gemacht, offensichtlich auch jenes mit dem Selbstauslöser. Sie sind weit besser als der schmalzige Text von Kollegin Gabrielle Kleinert. Das magazin zum SonntagsBlick testet vermutlich eine neu Serie. Mangels Themen setzen die Mitarbeitenden auf Selbstdarstellung.
Andri Pol hatte einen Traumauftrag gefasst. Für ein Promo-Heft von DAS MAGAZIN für die arg gebeutelte Zürcher SP durfte Pol den Herrn Bundesrat Moritz Leuenberger in einer von ihm offensichtlich selbst einstudierten Trauerpose ablichten. Die Nummer schliesst auf Seite 38 mit einem Porträt der Bundesweibelin Katja Beck. Die Aufnahme von Anja Schori ist ungewollt banal. Man hätte Frau Beck doch lieber auf dem Fahrrad gesehen, wie sie am Morgen zur Arbeit fährt. Das von Katja Beck im Interview erwähnte „Gspüüri“ hat weder die Fotografin noch die Bildredaktion begriffen.
Es ist ein alter Hut, dass Manuel Bauer den Dalai Lama als Fotograf begleitet. sonntag.ch ist das Interview eine Seite mit Bildern von Bauer wert. Sein persönliches Projekt wird von der Volkart-Stiftung finanziert. Die aktuellen Bilder „Seiner Heiligkeit“ sind entweder brutal beschnitten oder einfach mittelmässig. (sonntag.ch Seite 15)
sonntag.ch greift Themen zunehmend nicht selbst auf und setzt auf Follow-Ups im Kampagnen-Journalismus. Die Armuts-Kampagne der Caritas hat ihre Berechtigung, doch an Stelle eines blassen PR-Texts (Claudia Marinka) wünscht man sich mehr Nähe und bessere Bilder.
Auch auf sonntag.ch: „Cablecom setzt auf 3-D.“ In den kommenden Wochen kommen 3-D taugliche Screens auf den Markt. Cablecom und einige innovative Kinos sind in Pole-Position. Die Fotoszene in der Schweiz verschläft den Trend.
Luftbild-Fotografen sind beim VBS gemäss NZZ am Sonntag nun wieder gefragt. Der Stellenvermittler Adecco sucht im Auftrag des Bundesamts frühzeitig Pensionierte als Temporärarbeiter bei der Luftaufklärung. (NZZ am Sonntag, Seite 10)
Rudolf Jaun will in der NZZ am Sonntag die Diskussion um die historische Bedeutung von General Henri Guisan nicht auf einen, sondern auf mehrere Punkte bringen. Dies gelingt ihm nur unzureichend, denn die ultimative Biographie über den General ist noch nicht geschrieben, und Jaun selbst hat sich auch nicht dieses Monument herangewagt. Doch mehr als seine Worte sagt die Aufnahme von Antoine Grisoni aus einem Café in Vevey aus.
Jörg Kachelmann schlägt über Medienanwalt Ralf Höcker zurück, der von verschiedenen Publikationen in der Schweiz eine Bearbeitungsgebühr von EURO 2 000.- für eine „Abmahnung“ erhebt. Verrechnet werden auch die offenherzigen Bilder der Sängerin Indira, die pflichtbewusste Bild-Sachbearbeiter/innen unserer Medien vermutlich längst abgerechnet haben.
Medienereignis der Woche war die Abrechnung von Daniele Muscionico mit ihrer früheren Arbeitgeberin, der NZZ in DER ZEIT. Muscionico war eine feste Grösse in der lokalen Kulturszene der Stadt Zürich und wurde hofiert. Es fällt ihr schwer, nun nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. Das liegt nicht an ihr. Es liegt an der NZZ, deren Lokalberichterstattung im Kulturbereich durch Entlassungen und Leistungsabbau völlig irrelevant geworden ist. Selbst der Online Newsletter RonOrp bietet mehr. Auf sonntag.ch doppelt Christof Moser nach: „Endlich schreien die Journalisten zurück.“ – Vermutlich erst dann, wenn die Abgeltung für die Entlassung ausgelaufen ist.
Als Nostalgiker vermissen wir gute Bilder, wie sie damals Ernst Scheidegger ins Intelligenz- und Wirtschaftsblatt brachte. Die Abwärtsspirale der NZZ unter der Leitung von BWL-Professor Conrad Meyer beängstigt selbst jene, die Tag für Tag gute Beiträge im Print bringen, und sie mit möglichst billigen Agenturbildern illustrieren müssen.
Noch härter als Muscionico rechnet Michael Ringier in sonntag.ch mit der FDP ab. Er bekennt sich zu den Grünliberalen. Da wird man hellhörig. Eine grünliberale Tageszeitung auf dem Niveau von Le Temps? Und ein Hebdo für die Deutschschweiz? Die Rauchzeichen sind vielversprechend, vor allem auch für eine hochstehende Reportagefotografie. (Aufnahme: Raphael Hühnerfauth).
Die beiden Platzhirsche im Online-Journalismus – Newsnetz und Blick Online – setzen auf die von der Bild-Zeitung institutionalisierten „Leser-Reporter“. Am vergangenen Freitag brannte es wirklich, in einem Sperrgutlager der KEZO (Kerichtverbrennung Zürcher Oberland). Dass Anwohner die Feuerwehr aufmerksam machen mussten, weil offensichtlich keine Sicherheitsvorkehrungen bestanden, wird die Presse in der kommenden Woche beschäftigen. (Aufnahme: D. Müller für Newsnetz)
Auch Fotoprofis, wie Markus Heinzer (newspictures.ch) waren offensichtlich anderweitig beschäftigt. So finden wir im Print und auf dem Netz Bilder von Amateuren und der KAPO aus dem Heli. Newsnetz liegt mit Aufnahmen von D. Müller vorn, während Blick Online klägliche Handy-Bilder aufs Netz gestellt hat.
Der Tages-Anzeiger und das Amt für Statistik der Stadt Zürich suchen ein Bild vom Baby des Jahres, um die Namensstatistik zu illustrieren. Erbeten sind Einsendungen an stadt@tagesanzeiger.ch. Die Chancen dürften wesentlich besser sein, wenn der Name ein „y“ enthält, wie Bänz Friedli kürzlich in seiner Kolumne im Migros-Magazin als Modetrend feststellte. Yannyk, Loyyk, Kevyn oder gar Davyd sind gefragt. (Ausgabe TA vom 10.4., Seite 2).
Mehr zum Zürcher Oberland: Die Naturisten in Nänikon/Uster haben ein Problem wie jeder traditionelle Verein. 1933 gegründet, betreiben sie ihr Freizeitzentrum. Für die Jungen ist das Blüttlen nicht mehr attraktiv. Im Zürcher Oberländer/Landzeitung hat Stephan Kälin die Sorgen der Grosseltern-Generation einfühlsam erspürt. Doch wie bringt man die Interviewpartner für Leser/innnen im Bible Belt züchtig ins Bild?
glg (im Impressum nicht auflösbar) hat das Kunststück geschafft. Man beschneidet das Bild (von oben) bis zum Nabel, die Dame in der Mitte verschränkt die Arme und alle drei versuchen „Schnitzeli“ zu sagen. Immerhin hat der Reporter das Fotografierverbot auf dem Gelände durchbrechen können. Der Hinweis auf ein Verbot des Geschlechtsverkehrs im „Paradies“ hätte sich Kollege Kälin im Textbeitrag ersparen können. Das Bild wirkt für sich.
Nachtrag: Die Schweizer Illustrierte verspricht für Montag „Die Berner Bären verzaubern die Schweiz – grosse Reportage, 8 Seiten!“ Grosse Reportagen bräuchten wir, und nicht nur über kleine Bärli.
Da war ich zufällig ganz in der Nähe des KEZO Brandes, hatte sogar die Kamera dabei. Nur interessierte sich scheinbar keine Redaktion für eventuelle Fotos.. Egal 😉 So ist die neue Zeit eben…
Es lebe der Leserreporter und die geilen Handybilder ,-)
Mein Vater, der vor drei Wochen verstorben ist, war über viele Jahre Präsident der Trägerschaft der KEZO. Wir räumten zur Zeit des Brandes seine Altlasten an Lösungsmitteln, die wir am Dienstag in die KEZO bringen. St. Florian war stets ungerecht.
Liebe, liebe Leute….
Sicher war ich bim KEZO-Brand in Hinwil.
Nur leider ist es seit 3-4 Wochen so, dass man sich bei den Redaktionen nur noch für Handy-Fotos interessiert. Es ist egal, ob die Quallität gut ist oder nicht. Hauptsache ist nur, dass die Bilder GRATIS sind!!!!
Die Luftaufnahme aus dem Heli hat die Kapo ja gratis zur Verfügung gestelllt, dann schwupps noch einige Handybilder und den Text der Kapo und man hat als „Redaktor“ dem Verlag einige hundert Franken gespart. Langfristig geht die Rechnung nicht auf.
Wenn der Zürcher Oberländer so weitermacht, ohne Hintergrundberichte und Interviews, dann wird er in einigen Jahren nur noch jene Abonnenten haben, die aus Nachlässigkeit das Abonnement weiterlaufen lassen.
Nachtrag: Ich wusste, dass etwas läuft. Bei den Thurgauer Kollegen ging das Gerücht um, sie würden verkauft (vermutlich ohne Chef). Nun geht alles sehr viel schneller, und der Begriff „Sparkurs“ in der Pressemeldung wird die Arbeitsmoral nicht fördern. Der Zürcher Oberländer hat das gleiche Schicksal wie die Textilindustrie im Tösstal, sterben in Raten.
http://www.persoenlich.com/news/show_news.cfm?newsid=87891
@Markus
schau in ausland, da haben news fotografen seit jahren kaum ein auskommen. in Hong Kong, China, Taiwan sind observation kameras allgegenwärtig, einfach überall zeichnen diese Dinger auf und zwar in einer brauchbaren qualität. daraus werden dann die news bilder extrahiert. wenn das nicht reicht sind handy bilder und „passanten“ fotos schnell zur stelle… ebenfalls ist es absolut gängig in asien, dass ambulanz, feuerwehr und sonstige einsatzkräfte immer eine kamera dabei haben.
für profi fotografen und bildagenturen kein business mehr und das seit vielen jahren schon…
ob das hierzulande auch soweit kommt? wir werden es erleben…
just my 2 cents..
marcel
die hauptgründe des zeitungssterbens sind: mangelhafte fantasie, weitsicht(wer nicht unter persönlichem finanzdruck steht der vernachlässig dies in gefährlicher weise: siehe baz, eigentlich alle). wer woche um woche, tag für tag primär negativschlagzeilen alimentiert muss sich nicht wegen leserschwund wundern. vor allem das dauerthema BONI. ich würde mich mal um den gesundheitssektor kümmern, wo schwer geschlampt wird. angefangen bei der luftverpestung durch rauch(auto, rauchwaren). es gibt in den städten keine kostenfreie saubere luft ausser in der wohnung. die nichtraumerrestaurants sind EIN HOHN, nur beruhigungspille. die junkfoodproduzenten und anbieter sind massiv zu besteuern. dass versicherungen billigvarianten quersubventionieren ist auch so ein unding. gesundheitsbewusst zahlen die prämien, das essen und die ferien der junkfood-konsumenten! die mutlosen politiker haben schiss von allen möglichen konsequenzen.