Urs Tillmanns, 17. April 2010, 07:00 Uhr

Buch der Woche: Ottokar Schnepf «Licht aus – Vorhang auf – Film läuft»

Der Basler Filmkritiker Ottokar Schnepf ruft mit seinem Buch«Licht aus, Vorhang auf, Film ab» über 1’000 Filme in Erinnerung, die zwischen 1940 und 1970 gedreht wurden und vor rund vier Jahrzehnten in Basels Kinos zu sehen waren. Eine subjektive Auswahl zur Filmgeschichte – in einem Privatdruck, der schon bald selten sein dürfte.

Basler Filmgeschichte kompakt

Ottokar Schnepf hat ein Buch herausgegeben, worin er sich an die besten oder beeindruckendsten Filme erinnert, die er in Basel während seiner 50-jährigen Tätigkeit als Filmjournalist gesehen hat. Jürg-Peter Lienhard, Betreiber der Webseite www.webjournal.ch, hat ihn besucht und wollte wissen, wie es zu dem Buch kam.

«Licht aus, Vorhang auf, Film ab», so lautet der Titel des Buches von Ottokar Schnepf über die besten und bewegendsten Filme aus den Jahren 1940 bis 1970, die der Filmjournalist in den Basler Kinos gesehen hat. Präziser als «Buch» wäre allerdings die Bezeichnung «Bilderbuch», denn das ziemlich umfangreiche Werk – das leider keine Seitenzahlen enthält – kommt mit wenig Text unter den vielen Bildern aus. Die Texte sind gewissermassen lediglich Legenden und seine Spezialität: Gekonnt knappe Zusammenfassungen des Wesentlichen. So verfasst er ja auch auf webjournal.ch und schrieb bis vor kurzem in den Basler Printmedien seine Filmberichte: kurz und zuverlässig genau.

Ottokar Schnepf gehört zur Kategorie Menschen, von denen gewisse Kollegen schreiben, es seien «Selbsternannte». Dies selbstverständlich abwertend gemeint, denn diesen Journalisten-Papageien ist nicht bewusst, dass alle Taten, die der Menscheit wirklichen Nutzen brachten, alle kulturellen Innovationen von «Selbsternannten» geschaffen worden waren. Was diese «selbsternannten» Geister auszeichnete, bevor sie ausgezeichnet wurden, als sie es längst nicht mehr nötig hatten, war eine Eigenschaft, die man auf keiner Universität und in keiner Journalistenschule lernen kann. Nämlich Leidenschaft. Leidenschaft oder gar liebende Leidenschaft. Das Wort sagt es ja: Leiden schafft!

Wenn einer ein Buch aus dem eigenen Sack heraus bezahlt – nicht: von einem Verlag vorgeschossene Vorschusslorbeeren -, dann ist er zwar in jedem Fall ein «selbsternannter» Autor, doch was soll denn daran abwertend sein, dass er den Lesern seine Erfahrungen, seine Leidenschaft bekanntmacht und näher bringen will?

Wer Ottokar Schnepf kennt, mag staunen, dass er dieses Jahr bereits 72 Jahre alt ist. Noch in wacher Erinnerung dürfte den Filmfreunden sein Engagement im Film-Club «Le Bon Film» sein, wo er im Vorstand seine Leidenschaft für die Filmkunst einbrachte und Basel einige Ereignisse bescherte, die heute noch immer zu reden geben, auch wenn die Filme ausserhalb des Filmclubs nie in den Kinos gezeigt und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.

Damals gab es nämlich diese idiotische Filmzensur, in der nebst einem Polizisten in Uniform auch ein evangelischer Politiker sass, der ungestraft behaupten konnte, dass Masturbieren das Gehirn erweiche. Vielleicht tat auch er es heimlich, denn so eine gehirnerweichte Behauptung musste ja von irgend etwas kommen …

Wie Leidenschaft zum Film ensteht

Ottokar Schnepf begann seine Karriere als Filmjournalist im Jahr 1960. Er war Schriftsetzer «im Blei» bei der damaligen äusserst populären Gratiszeitung «doppelstab». Bald war er in der Redaktion Chef vom Dienst und Verfasser des wöchentlichen «Kino-Kalenders», der rasch zur Popularität des Blattes beitrug. Nicht immer zur Freude der Kinobesitzer, denn Schnepf war ein viel zu leidenschaftlicher Filmfreund, als dass er eine Gefälligkeitskritik für einen kassenfüllenden Bockmist abgab.

Nachdem der Verleger des «doppelstab» Millionär geworden, ging Schnepf zum Konkurrenzblatt «Baslerstab», wo er bis zu seinem unfreiwilligen Abgang aus der redimensionierten Redaktion im Jahr 2003 jeden Samstag eine ganze Seite mit seinen Filmberichten über je sechs bis acht Filme füllte und gestaltete. Auch Schnepf wurde Millionär – wenngleich nur Buchstaben-Millionär…

Schnepfs Leidenschaft war schon während seiner Lehrzeit für das Kino derart entbrannt, dass die Gewerbeschullehrer die Basler Kinos abklapperten und die Kassiererinnen aufforderten, ihm den Zutritt während der Schulstunden zu verbieten. Schnepf schwänzte gerne den Unterricht, wenn ein Kino einen sehenswerten Film ins Programm aufnahm.

Schnepfs Leidenschaft hat eine autodidaktische Basis – ein anderes Wort für «selbsternannt». Aber auch Marcel Reich-Ranicki war zeit seines Lebens immer ein Autodidakt geblieben und hat nie eine Universität anders als Dozent besucht … Schnepf bekam die grosse Filmbibliothek von Heinrich Buckhardt vermacht, dem verstorbenen Filmkritiker der verblichenen «National Zeitung» mit dem Kürzel «bu». Er und Claude R. Stange («crs»), Filmkritiker des ebenfalls verblichenen Konkurrenzblattes «Basler Nachrichten», waren Schnepfs grosse Vorbilder, die ihn gemeinsam und höchst freundschaftlich förderten: So gerüstet konnte Schnepf problemlos in die Fusstapfen dieser beiden Filmfachmänner von gar internationalem Ruf treten.

Allerdings hat auch mit Schnepfs unfreiwilligem Ausscheiden aus der Redaktion des «Baslerstabs» diese Tradition von fachlich kompetenten und leidenschaftlichen Filmjournalisten in Basel ein Ende gefunden: Die Nachfolgerin der beiden genannten und inzwischen zur «Basler Zeitung» fusionierten Tageszeitungen schickt zu den Pressevorführungen der Basler Kinos, wenn überhaupt, meist nur noch Studenten oder schreibende Greenhörner. Dadurch leidet natürlich auch die Wissenskontinuität und die kulturelle Informationskompetenz – zweifellos eine Entwicklung, die nicht nur die Filmkunst betrifft…

Es sei allein die Leidenschaft und die Liebe zur Filmkunst gewesen, die ihn zum Buchverfasser getrieben hat, sagt Ottokar Schnepf. Der Anstoss kam nicht von aussen, weshalb es «ein sehr persönliches Buch» geworden ist. Tatsächlich hat Schnepf das Buch im Eigenverlag herausgegeben. Er liess es gar auf eigene Kosten in China drucken. Die vorsichtig bescheidene Auflage von 200 Exemplaren kostete ihn zwar viertausend Franken, war aber rund vierzehnmal billiger als die Offerte eines Buchdruckers hierzulande.

Erinnerung an 1’000 Filme

Wenngleich das Buch keine Seitenzahlen hat («damit die Leser nicht einfach nach ihrem Lieblingsfilm suchen, und den Rest nicht anschauen», so Schnepf»), so weiss er genau, dass es rund eintausend Filme enthält. Von mehr als zehntausend Filmen, die er im Laufe seines zum Beruf gewordenen Hobbys in den Basler Kinos angesehen und beschrieben hat. Es sind Filme, die er seit seinem 16. Lebensjahr in den Basler Kinos «hereingesogen»hat: Reprisen aus den Jahren 1940/50 oder Erstaufführungen zwischen den Jahren 1960 und 1970.

Viele dieser Kinos sind heute längst verschwunden, zumal das sagenhafte «Union» mit seinem Doppelprogramm und den wundervollen B-Produktionen, die manchmal gar Kultstatus erlangten, wie die meist nur in diesem Kleinbasler Kino gezeigten Italo-Western. Schwerpunkt sind also jene Filme aus den alten Kinos, die er im Vorwort aufzählt und bei vielen Lesern wohl wehmütige Erinnerungen wecken dürften. Darum versteht Schnepf sein Buch als «Erinnerung an die Filme von gestern».

Mit Absicht hat er nicht nur die «besten» Filme erwähnt. Oder nur solche, die ihm am besten gefallen oder ihn tief beeindruckt haben. Sondern auch solche, die vielleicht nicht über alle Qualitäts-Zweifel erhaben sind, jedoch einen wesentlichen Beitrag zur Filmgeschichte leisteten. Letzteres schien ihm wesentlich, und darauf legt er auch in seinen Filmberichten besonderen Wert. Dadurch unterscheidet sich sein Buch und seine Auswahl von Enzyklopädien oder Büchern mit dem Titel: «Die 1000 besten Filme»…

So sind für ihn «die zehn besten Filme nicht zu eruieren» – eine Antwort, die wohl jeder Journalist von ihm erhält, der ihn zum Buch interviewt. Hingegen kann er ohne Umschweife seine zehn Lieblingsregisseure aufzählen, auch wenn er sicher noch viel mehr für gut befindet: Hitchcock, Polanski, Chabrol, Robert Siodmak, Fritz Lang (zumal seine Schaffensperiode in den USA), Clint Eastwood, Kobayashi, John Huston, J.-P. Melville, Truffaut – aber weniger Godard.

In seiner Auswahl berücksichtigt er nicht nur den «Film» als solchen allein, sondern das Gesamtwerk, also das Drehbuch, den Regisseur, den Kameramann und die Schauspielerinnen und Schauspieler. Etwa so, wie die Oscar-Jury, die nicht einen Film, sondern den Oscar für die beste Hauptrolle, für die beste Regie, für das beste Drehbuch, für die beste Nebenrolle usw. in jeweils verschiedenen Filmen vergibt. Ganz selten räumt ein Film gleich mehrere der zu vergebenden Oscars ab.

Und so ist das Filmbuch von Ottokar Schnepf sein besonderer Blick auf fünfzig Jahre Basler Kino geworden: Individuell, subjektiv, aber subjektiv aus der Sicht des langjährigen Liebhabers. Es ist ein scharfer Blick geworden, so scharf, wie der Blick von Malcolm MacDowell aus Stanley Kubricks «Clockwork Orange»: Das Bild des maliziösen Alex hat denn auch Ottokar Schnepf für das Umschlagbild des Buches «Licht aus, Vorhang auf, Film ab» gewählt. Sinnigerweise…

Interview und Interviewfotos: Jürg-Peter Lienhard

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Ottokar Schnepf
«Licht aus, Vorhang auf, Film ab»

Zirka 200 Seiten, kartoniert, 13 x 21 cm
CHF 29.90 +Porto
Das Buch kann hier online bestellt werden

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www.webjournal.ch wird von Journalist, Profifotograf und Autor dieses Artikels Jürg-Peter Lienhard betrieben und informiert täglich über News aus der Regio Basiliensis und das Dreiländereck. Dabei ist das aktuelle Lokalgeschehen ebeno Inhalt wie Informationen über Kultur, Wirtschaft und Allgemeines. Einige Bereiche, wie zum Beispiel der Pressespiegel und die Termninübersicht, sind kostenflichtung, doch ist die Mitgliedschaft mit CHF 40.– pro Jahr äusserst moderat und in jeden Fall das Geld wert.

2 Kommentare zu “Buch der Woche: Ottokar Schnepf «Licht aus – Vorhang auf – Film läuft»”

  1. Hallo Ottokar ( Otmar )

    Ich bin wie du ein Freund von Anita, einstmals sehr von dir gehasst, aber, alles wird neu, auch das Gras unter unseren Füssen, wenn wir längst nicht mehr sind um darauf herumzutrampeln ! Du machst deine Sache gut, gratuliere.

    Ich Grüsse dich als Freund

  2. Herr Schnepf hat im Baslerstab nicht kritisch gewürdigt, sondern Berichte für die Industrie erstellt und das Marktbedürfnis erfüllt (wofür er ja auch bezahlt wurde – und aus was er auch gar keinen Hehl macht).
    Die redaktionalle Erfassung zum Beispiel in den Basler Nachrichten war etwas vollkommend anderes.
    Herr Lienhard setzt wichtige Wörter schön zusammen aber offenbar ohne jede Ahnung (Italowestern fast nur im Union? interessanter wäre zu erwähnen, dass Kinofilme früher mannigfaltigen Eingriffen unterlagen (Kopienherkunft, Zensur, auf 90 Minuten geschnitten, …) – und ihr Genuss bereits deshalb höchst subjektiv blieb – und dass sich die anspruchsvolle Filmkritik früher weniger über Fachwissen (die damals angeblich vorhandene Wissenskontinuität?) als über Sprachgewalt (und wenn schon Erkenntnis in einem persönliche-weltlichen Sinne) auszeichnete: Selbsreferenz wie auch dieses Buch ist ein Produkt unserer Moderne.

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