Die Würfel sind gefallen, der Jury-Entscheid gelüftet: Jacek Pulawski gewinnt den ewz.selection-award für die beste fotografische Arbeit der Schweiz des Jahres 2009. Er erhält das Preisgeld von CHF 15’000 für seine Arbeit «Un weekend con un transessuale die Chiasso». Weitere Preise gehen an Peter Bohler, Denis Jutzeler, Jonathan Heyer und Gabi Vogt.
Der begehrte Preis der Schweizer Fotografie, der ewz.selection-award in der Höhe von CHF 15’000, wird dieses Jahr zum 12. Mal vergeben. Die Arbeit von Jacek Pulawski zeigt in klassischem Schwarzweiss den Alltag von Prostituierten im Tessin.
Pulawski gelingt es mit seinem direkten, dokumentarischen und journalistischen Blick die Realität hinter den oft banalen Polizeimeldungen von Razzien und Kontrollen in Bordellen im Tessin zu zeigen. Er nimmt offen Stellung und zeigt eine Welt der Ausbeutung, des Leidens und der Einsamkeit. Die Jury lobte die Sensibilität der Arbeit, ihr richtiges Mass an Distanz und Nähe, ihren genuin fotografischen Charakter und ihre Fähigkeit, in acht Bildern eine packende Geschichte zu zeigen. Der Entscheid fiel einstimmig auf eine Form der fotografischen Arbeit, die in der Schweiz selten und kaum noch möglich ist und die eines persönlichen Engagements des Fotografen über eine längere Zeitperiode bedarf.
Die weiteren Preise
Der Fotopreis der SonntagsZeitung in der Kategorie Redaktionelle Fotografie geht an Peter Bohler, Los Angeles, für seine Aufnahmen aus einem US-amerikanischen Trainingscamp; in seiner Arbeit «Irak in der amerikanischen Wüste» vermischen sich Realität und Fiktion auf verwirrende Art und Weise.
Den Kategorienpreis Free spricht die Jury Denis Jutzeler, Petit-Lancy, für seine Arbeit «Jardin idéal» zu; seine malerischen All-over-Aufnahmen von Wäldern seien mehr Seelenbild als Abbild des Sichtbaren – still, der Zeit enthoben, obsessiv und ehrlich.
Der Fotopreis der vereinigung fotografischer gestalterInnen in der Kategorie Werbefotografie geht an Jonathan Heyer, Zürich, der in seiner Arbeit «America in crisis» mit ironischem Unterton amerikanische Mythen und Allmachtsfantasien zitiert.
Den Fotopreis der Julius Bär Stiftung Preis in der Kategorie Fine Arts vergibt die Jury an Gabi Vogt für die Serie «Galerie des ancêtres» (Zürich). Ihre Porträts geben Menschen auf ungewohnte, irritierende Weise wieder; die bestechende Einfachheit von Vogts Konzept überzeugt die Jury.
Bewährtes in der Krise
Die Ausstellung «Swiss Photo Award» zeigt mit den 18 besten Arbeiten des letzten Jahres heuer weniger computergenerierte oder digital manipulierte Bilder. Stattdessen dominiert ein kühler, minimalistischer, nüchtern registrierender, formalistischer Konzeptualismus. Der Mensch als Gegenstand seelischer Einfühlung ist dieses Jahr ebenso rar wie die narrative Fotografie, die in wenigen Bildern eine Geschichte erzählt. Die Bilanz der Jury: Ein experimenteller Umgang mit Bildsprachen, Erzählformen und Sehweisen sei im Jahr 2009 selten. Die Fotografinnen und Fotografen wie auch ihre Auftraggeber und Kunden klammerten sich in einer Zeit der Unsicherheit und des Umbruchs an das Bewährte.
Weitere Informationen sowie die Tagesprogramme finden Sie hier.
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Der Jurybericht
von Sascha Renner, Kunstredaktor Radio DRS 2, als «stiller Beobachter der Jurierung»
Lange Mäntel, festes Schuhwerk, Wollschals – ein Hauch Sibirien weht durch die Turbinenhalle des ewz-Unterwerks Selnau. Im Februar kommen die fünf Jurymitglieder zusammen, um die Gewinner des Swiss Photo Award und der vier Kategorienpreise zu küren. Vor ihnen liegen zwei Tage Zeit, um 500 Arbeiten mit 3164 Bildern zu begutachten, zu sortieren, zu bewerten, zu verteidigen, in Frage zu stellen. Zwei Tage, um zu argumentieren, zu debattieren, sich zu ärgern und sich zu begeistern. Erster Tag, Ausscheidungsrunde. Die fünf Juroren (Sven Bänziger, Valérie Fougeirol, Lukas Frei, Jule Reuter und Jean Révillard) unter der Leitung von Walter Keller tauchen ein erstes Mal in die Masse der Bilder ab. Die Fotografien liegen auf dem Betonboden aus wie die Blüten eines Baumes, umstürmt vom Wind des Zeitgeschehens. Alle gleich gross, unbearbeitet, als 20 × 30cm-Drucke. 51 Eingaben verzeichnet die Kategorie Werbefotografie, 101 die Redaktionelle Fotografie, 127 die Kategorie Fine Arts und 221 die Kategorie Free.
Die Blütenlese beginnt. Gesprochen wird am ersten Tag nicht. Jedes Jurymitglied schreitet in sich versunken die Bilderbahnen ab und vergibt Bewertungspunkte. Am Ende des Tages sind neunzig Prozent der Arbeiten aussortiert; von ursprünglich 500 verbleiben 53 Serien mit je sechs bis acht Bildern im Wettbewerb um den mit 15000 Franken dotierten Hauptpreis.
Zweiter Tag, Samstagmorgen, Tag der Entscheidung. Ein erster Gesamteindruck der Beiträge des Jahres 2009 formiert sich. «Viel Dunkel, viel Schwarz, viel Tod», konstatiert Jean Révillard und blickt auf die Ruine eines Einkaufszentrums, die postapokalyptische Vision einer Welt nach dem Klimakollaps; auf Scheunen in gespenstischem Licht, mutmassliche Schauplätze sinistrer Begebenheiten; auf die spärlichen Überbleibsel einer Verstorbenen; auf die verrotteten Kleider von Leichen, exhumiert in Bosnien; und auf die letzten Stationen einer jungen Frau, deren Weg von Drogensucht über Mutterschaft in einen unheroischen Tod führt. Starker Tobak. Verspieltes, Aufdringliches, Glanzvolles entdeckt die Jury hingegen nur ausnahmsweise. Eine Tendenz, die im Lauf des Tages immer wieder zu reden gibt. «Das Jahr spiegelt sich in der Fotografie», kommentiert Sven Bänziger; ein Jahr, durch das sich Rezession, Kriege, Terrorismus und – für die Branche verheerend – die Krise der Werbewirtschaft und der gedruckten Medien wie ein schwarzer Faden ziehen. Der Modus der Auswahl ändert nun, jede der verbliebenen 53 Arbeiten wird in der Jury besprochen. Es bilden sich wechselnde Koalitionen. Männer gegen Frauen, vier gegen einen, Liebhaber der Konzept- gegen Liebhaber der kontemplativen Fotografie.
Abweichende Bewertungen machen bewusst, wie sehr der Blick auf das Bild vom individuellen Erfahrungshorizont und Interesse geprägt ist. Während jemand eine Arbeit lobt, weil sie die üblichen Pathosformeln der Werbung meidet und eine ungewohnte Bildsprache nutzt, findet dies ein anderer unangemessen, umständlich und unverständlich.
Wiederholt für Diskussionsstoff sorgt auch, wie die Bildidee im Verhältnis zu ihrer fotografischen Ausführung zu gewichten sei. Kriterien werden verhandelt, weitere Arbeiten aussortiert.Am Ende bleiben 18 Fotoserien in der Halle liegen. Sie bilden die Bestenauswahl, die im Mai in der Ausstellung zu sehen sein wird. Mit Erstaunen nimmt die Jury zur Kenntnis, dass darin computergenerierte oder digital manipulierte Bilder fast gänzlich fehlen. Stattdessen dominiere ein kühler, minimalistischer, nüchtern registrierender, formalistischer Konzeptualismus, so Valérie Fougeirol. Der Mensch als Gegenstand seelischer Einfühlung sei dieses Jahr ebenso rar wie die narrative Fotografie, die in wenigen Bildern eine Geschichte erzähle, bilanziert Jule Reuter. Aus den 18 verbliebenen Arbeiten wird der Gewinner des Swiss Photo Award gekürt. Man einigt sich schnell auf die Serie «Un weekend con un transessuale di Chiasso» von Jacek Pulawski. Die Reportage in klassischem Schwarzweiss zeigt den Alltag von Prostituierten im Tessin. Die Jury lobt die Sensibilität der Arbeit, ihr richtiges Mass an Distanz und Nähe, ihren genuin fotografischen Charakter und ihre Fähigkeit, in acht Bildern eine packende Geschichte zu erzählen. Der Hauptpreis in der Kategorie Redaktionelle Fotografie geht an Peter Bohler für seine Aufnahmen aus einem US-amerikanischen Trainingscamp; in seiner Arbeit «Irak in der Amerikanischen Wüste» vermischen sich laut Jury Realität und Fiktion auf verwirrende Art und Weise. Den Kategorienpreis Free spricht die Jury Denis Jutzeler für seine Arbeit «Jardin idéal» zu; seine malerischen All-over-Aufnahmen von Wäldern seien mehr Seelenbild als Abbild des Sichtbaren – still, der Zeit enthoben, obsessiv und ehrlich. Der Preis in der Kategorie Werbefotografie geht an Jonathan Heyer, der in seiner Arbeit «America in crisis» mit ironischem Unterton amerikanische Mythen und Allmachtsfantasien zitiere. Den Preis in der Kategorie Fine Arts vergibt die Jury an Gabi Vogts «Galerie des ancêtres». Ihre Porträts geben Menschen auf ungewohnte, irritierende Weise wieder; die bestechende Einfachheit von Vogts Konzept überzeugt die Jury. Die Gewinner stehen fest, die Spannung fällt ab. Und die Jury zieht ein letztes Mal Bilanz: Ein experimenteller Umgang mit Bildsprachen, Erzählformen und Sehweisen sei im Jahr 2009 selten. Die Fotografinnen und Fotografen wie auch ihre Auftraggeber und Kunden klammerten sich in einer Zeit der Unsicherheit und des Umbruchs an das Bewährte. Die Jury erkennt viel solid Gearbeitetes und einige Déjà-vus. Doch schliesslich laute die entscheidende Frage nicht: Ist etwas neu? Sie lautet: Ist es gut oder ist es schlecht?
Nachtrag:
http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/kunst/Der-duestere-Alltag-der-illegalen-Prostituierten/story/21672346
Vorwärts in die Vergangenheit, Episode 2…. Leute, benutzt ab heute eure Digibacks nur noch zum Boccia-Spielen, holt euch die KB-Filmkameras aus dem Keller und verkriecht euch wieder in die Dunkelkammer!