Urs Tillmanns, 14. Mai 2010, 07:00 Uhr

Photo Münsingen: Der erste Tag

Der erste Tag von Photo Münsingen war recht erfolgreich. Viele Leute – auch viele Regenschirme – gute Stimmung, begeisterte Besucher, die in den vielen Ausstellung reichlich Inspirationen und Diskussionsstoff fanden. Interessant vor allem, mit den anwesenden Fotografen ins Gespräch zu kommen. Von ihnen haben wir einige spannende Hintergrundinformationen bekommen.

Regen, nichts als Regen. Ideales Ausstellungswetter, so hoffen die Organisatoren. Und sie scheinen Recht zu haben, so wenigstens der Eindruck des ersten halben Messetages. Wir haben die Gelegenheit genutzt und haben die Highlights des diesjährigen Photo Münsingen besucht und uns mit den Fotografen über ihre Arbeiten unterhalten – sofern diese anwesend waren.

Das Juwel der diesjährigen Photo Münsingen, auf das die Ausstellungsmacher zu Recht stolz sind, ist die Photoarena, die sich im «Füürwehrsaal» (sorry, «Feuerwehrsaal», für die Leserinnen und Leser nördlich des Rheins) befindet. Seit drei Jahren geisterte es dem genialen Konstrukteur und technischen Leiter der Photo Münsingen, Ueli Wälti (rechts im Bild), durch den Kopf, wie man mit zwölf Monitoren eine zeitgemässere und abwechslungsreichere Form der Bildpräsentation finden könnte. Und vor einem halben Jahr ging es dann zur Sache: 14 besonders stabil konstruierte Stellwände wurden kreisförmig angeordnet, die mit 12 Bildschirmen (Plus ein Informationsbildschirm und eine Leerwand) bestückt wurden. Die computertechnische Ansteuerung besorgte Sohn Daniel Wälti: Ein PC mit zwei Grafikkarten und je acht Ausgängen dienen dazu, die endlose Powerpoint-Show mit Visualgraphic-Steuerung auf die Bildschirmen zu zaubern. Jetzt werden dort im Fünfminuten-Rhythmus zwölf Ausstellungen der vier Fotoklubs Aarso, Münsingen, Spectral und Solothurn präsentiert. Niklaus Messer, links im Bild und verantwortlich für die Ausstellungskommunikation, ist sichtlich zufrieden über die vielen positiven Feedbacks der Besucher: «Es war für unser kleines Budget ein Riesenbrocken, und wir sind froh, dass sich unsere Sponsoren grosszügig gezeigt haben.»

Ein weiteres Highlight sind die vier Ausstellungen der türkischen Fotografen im Schloss Münsingen, die sowohl in den Kellergewölben als auch im riesigen Dachstock ebenso stimmungsvolle wie passende Räumlichkeiten gefunden haben. Wir hatten Gelegenheit, uns mit dem Initianten Reha Bilir zu unterhalten, der seine Serie «Love at Single Breath» im Schlosskeller zeigt. Auch das Leitbild auf Bannern, Plakaten und der Programmbroschüre stammt von ihm. Die künstlerische Fotografie habe in der Türkei einen sehr hohen Stellenwert, und werde von vielen sehr guten Amateur- und Profifotografen in Fotoklubs und Wettbewerben gepflegt. Was den türkischen Fotografen fehle, sei der Kontakt zur westeuropäischen Fotoszene, und er und seine drei Kollegen Ibrahim Zaman, Sadik Demiröz und S. Halûk Uygur seien froh, dass sie dank Walter Winkler vom Fotoclub Thun und Photo Münsingen-Präsident Rudolf Mäusli die Möglichkeit bekommen haben, hier in Münsingen ihre Bilder zu präsentieren … und Münsingen ist ebenso froh, als Schwerpunkt diese grossartigen Werke zeigen zu können.

Die Schlossallee ist geschmückt von Schwarzweissbildern in Reinkultur von Hansueli Trachsel. Er ging fotografisch der Frage nach, weshalb Menschen alle möglichen und unmöglichen Objekte sammeln und hat mit diesen Sammlerporträts das Buch «Sammlerglück» geschaffen, das im Sommer im Verlag «hier+jetzt» erscheinen wird. Ein Bildband, auf den man nach diesem Vorgeschmack gespannt sein darf.

Etwas unterhalb auf der Schlosswiese fällt eine 120 Meter lange Wäscheleine mit Fotos auf – eine Präsentationsform, die an sich schon gwundrig (Verzeihung, hochdeutsch «neugierig») macht. Die Idee dahinter sorgt für noch mehr Bewunderung: Michael Meier aus Thun fotografiert mit seiner Leica M6 jeden Tag ein Motiv, entwickelt am Wochenende den Schwarzweissfilm, scannt die Negative ein und lädt die Bilder auf seine Webseite www.letztewoche.ch. Dabei knipst er nicht irgendwas, sondern er sucht sich interessante und lohnende Motive, die er gekonnt und kreativ fotografisch umsetzt. Und dies seit zwei Jahren jeden Tag – mit eisernem Durchhaltewillen und harter Selbstdisziplin. Man kann sich auf den 120 Metern an der Vielfalt der Bilder kaum sattsehen und hinterher versteht man auch den Titel der Ausstellung: 365t + 120m = 2009. Alles klar?

Das Blumenhaus des einst feudalen Herrschaftsschlosses ist jedes Jahr einen Besuch wert. Dieses Jahr präsentiert hier Rolf Gemperle seine fantastischen Sahara-Landschaften. Nein, er sei schon oft dort gewesen. Er leite heute auch Gruppen von Fotografen dorthin. Und wenn man einmal vom Sahara-Virus befallen sei, dann liessen einem diese ästhetischen Formationen der Sanddünen, das eigenartige Licht aber auch die Ruhe und die sternklaren Nächte nicht mehr los. Rolf Gemperle liebt die Sahara – das sieht man seinen subtil gestalteten Bildern an …

Im Garten des Blumenhauses gibt es noch mehr aus Afrika: Erica Seitz zeigt Begegnungen mit den Himbas und Hereros im äussersten Nordwesten Namibias, nachdem sie das Nomadenleben dieser Ureinwohner, die sich mit ockerfarbenen Körperfett einsalben, fotografiert hat. Sie pflegen Sitten und Gebräuche, die uns nicht nur eigenartig vorkommen, sondern die Erica Seitz auch einmalige Motive boten. Motive gibt es reichlich, aber man muss sie auch so gut sehen und gestalterisch umsetzen können, wie das Erica Seitz kann. «Das Wichtigste ist» sagt Erica Seitz, «jemanden zu haben, der einem dort einführt, weil wir ihre Sprache und Gepflogenheiten nicht verstehen und vor dem Fotografieren ein zwischenmenschliches Verständnis aufgebaut werden müssen. Aber nach ein paar Stunden, würden diese Ovahimbas zutraulich, ja sogar herzlich …»

Im etwas abgelegenen «Spycher Jugendtreff» zeigt Roger Baumer zwei interessante Arbeiten aus unterschiedlichen Breitengraden. In einem Raum sind vielseitige Landschafts- und Städtebilder aus Japan zu sehen, dessen Schwergewicht eine Reportage über das Snowboarden in Hokkaido im Auftrag einer Filmproduktion von «True Colour Film». Roger Baumer hat sich einen Wagen gemietet und bestimmte Gebiete Japans auf eigene Faust erkundet und fotografiert. Wer Japan kennt, weiss, dass dies alles andere als einfach ist …

Die zweite Arbeit ist ein Porträt-Projekt für die Thuner Rock und Pop Band Pleroma für ihr neues Album «Rosso Colore d`Amore».

Auf dem Weg zurück zum Schlossgutsaal überqueren wir den grossen Schlossplatz, auf welchem die Bildagentur Keystone einzigartiger Zeitdokument verschiedenster Ereignisse zeigt, welche uns bewegen, beeindrucken und uns an Ereignisse erinnern, die wir vergessen oder verdrängt haben. Es sind Bilder der Nullerjahre 2000 bis 2009, die im Archiv von Keystone lagern und die Geschehnisse aus Perspektiven beleuchten, die von den Bildredaktoren kaum verwendet wurden – weshalb? Das wissen wir nicht …

Im Kirchgemeindehaus präsentiert sich der Fotoclub Münsingen mit ihrem jährlichen Wettbewerb. Das diesmalige Thema: «Blaue Stunde und freies Thema in Schwarzweiss » ist ein interessanter und sehr ästhetischer Leistungsbeweis des Fotoclubs, welcher nebenbei noch mit vielen Fronarbeitsstunden Photo Münsingen organisiert. Dazu einmal ein herzliches Dankeschön..

Ebenfalls im Kirchgemeindehaus sind die beiden Gastklubs «Dreisamtal» aus  Freiburg im Breisgau und «Semaine Photo de Riedisheim (F)» aus dem elsässischen Riedisheim, welche die Veranstaltungen «Kirchzartener Fotosalon (D)» und die «Semaine Photo de Riedisheim (F)» organisieren. Nach den ausgestellten Bildern zu urteilen, lohnt sich der nächste Besuch in unseren Nachbarländern, sowohl östlich als auch westlich des Rheins. Lobend und befruchtend, dass Photo Münsingen diese Kontakte pflegt.

Die Bilder im «Freizythuus» («Freizeithaus» für die Mittel- und Norddeutschen) befassen sich mit einem interessanten fotografischen Thema, nämlich mit der Zahl Sieben. Die Umsetzungen der «Donnerstagsklasse m-art» der Klubschule Migros in Bern zeigt Bildlösungen von bewundernswerter Ideenvielfalt:

  • Andreas Brönnimann: Im Haus Nummer Sieben
  • Reto Stucki: Im siebten Himmel
  • Anna Kilchenmann-Del Soto: Sieben Lebensabschnitte
  • Doris Nussbaum: Sieben Zwerge
  • Alexander Osterberg: Sieben Brücken
  • Yvonne Steiner-Kühne: Sieben Hengste

Bleibt zuletzt auf unserem Rundgang die Ausstellung «New York» von Alexander Paulus im Alterszentrum. Paulus hat während neun Tage im Big Apple rund 1200 Bilder aufgenommen. Das sei nicht sehr viel, meint Alexander Paulus, denn die Stadt sei voll von Motiven. Aber er habe nicht irgendwas fotografiert, sondern vor allem Architekturen, ein Motivbereich, für den er sich von jeher interessiert. Die Ausstellung im Alterszentrum Münsingen hängt noch bis zum 9. Juni. Er habe auch das Publikum betagter Leute bei seiner Bildauswahl speziell berücksichtigt, und das hätte sich gelohnt, weil viele der Zentrumsbewohner diesen Bildern grösstes Interesse entgegen bringen würden. Wie gesagt: noch bis 9. Juni …

Soweit unser Rundgang am ersten Tag. Morgen soll übrigens das Wetter wiederum nicht besser sein. Ausstellungswetter also. Warum eigentlich nicht an die Photo Münsingen gehen …?

Programmdetails finden Sie hier
.

Öffnungszeiten

Die Ausstellungen sind zu folgenden Zeiten geöffnet:
Donnerstag, 13. bis Sonntag, 16. Mai 2010
täglich 10:00 bis 18:00 Uhr
Freitag zusätzlich bis 21:00 Uhr
Der Eintritt ist frei

2 Kommentare zu “Photo Münsingen: Der erste Tag”

  1. Positiv: eine bewundernswerte Ausstellungsarbeit der Veranstalter in sehr schöner Ausstellungsinfrastruktur – und dies alles als grosse Hobby-Arbeit. Sehr viele bemerkenswerte und gekonnt gemachte Bilder sind zu sehen.
    Negativ: zu viele Bilder, zu viele Themen, viele nichtssagende Bilder, aus club-politischen Gründen „alle“ Bilder gleich gross in gleichen Rahmen, 99% der Passepartouts sind hell und mindern oft die Wirksamkeit des Bildes, fast ausschliesslich stures 2:3 Seitenverhältnis der Bilder, nur wenige quadratische Bilder, sah keine Bilder mit 4:5 Seitenverhältnis, viele falsch beschnittene Portraits, so dass das Bild keinen Raum hat und das Sujet oft eingeklemmt ist.
    Fazit: zum Glück gibt es dieses Podium trotzdem und es ist eine Bereicherung der Freizeit-Fotoszene. Weniger gezeigte Bilder die dafür grösser wäre mehr – speziell für die ausserhalb der Amateur-Fotozene stehenden Besucherinnen und Besucher wäre das Schau-Erlebnis grösser und die Erinnerungen bleibender.

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