Pressespiegel zum Wochenende vom 18./19 September 2010
Ob der Fall Kneubühl die Gemüter noch erregt, wird sich an den Verkaufszahlen des SonntagsBlick zeigen. Ernsthafte Fotografen und Journalisten haben sich aus dieser Provinzposse längst zurückgezogen. (Bildnachweis: Adrian Bretscher für SonntagsBlick – will er uns no-show mitteilen?)
Neues bietet die aktuelle Ausgabe des SonntagsBlick text- und bildmässig nicht. Doch die Zeitung scheint sehr flexibel geworden zu sein. Nun hat man keine durchkomponierte Seiten mehr. Im Flash und im Stil der britischen Boulevard-Presse folgt Seite auf Seite.
Nachdem die besten Polizisten der Deutschschweiz in Biel Panne um Panne produzierten, geht selbst bei Blick-Leser/innen das Vertrauen in die Beweiskraft von Bildern verloren. Jede Presseagentur hätte die von der Kapo Bern veröffentlichten „Fotografien“ seriöser überprüft. Als kommerzielles Unternehmen haftet man, als Amtsstelle nicht. Unter Journalisten lästert man über die Sondereinheit „Absinth“.
Dann blieb die Frage nach dem Hund Faro, dem „Held“ der Affäre. Eine kynologisch bewanderte Kollegin hat in ihrer Familie einen „Belgischen Schäfer“ (mit Ausweis als Familienhund). Der sieht anders aus. Doch sie belehrt: Faro ist ein reinrassiger Malois, eine kurzhaarige Seitenzüchtung. Die Baselbieter Kapo hat eine Bilddatenbank der Hunde. Wer das „Pfiffeli“ mit Photoshop rot nachbearbeitet hat, weiss man nicht.
(Bildlegende: Faro vom Möhnsee, langhaarig, ein anderer)
Die Bildfälschung der Woche betrifft die ägypische Tageszeitung Al-Ahram, etwa so seriös wie die NZZ, bei uns nördlich der Alpen. Pech für die Bildredaktion in Kairo. Es wurden beide Aufnahmen (legal) ins Netz gestellt, die mit dem Präsidenten vor, und die mit ihm dahinter. Früher hätte ein Pressefotograf die Prominenz zweimal antreten lassen, heute macht man es mit Photoshop. Um alle Köpfe auszuspachteln fehlte offensichtlich Geld, Zeit oder Geduld, – oder die Motivation.
Auch der SonntagsBlick ist nicht zimperlich. Auf Seite 41 zeigt er ein Bild von Thierry Carrel zur Heirat mit Sabine Dahinden, das bezüglich Postur des Herrn Professors doch einige Jahre zurückliegen dürfte. Warten wir auf die Home-Story, wenn das Baby kommt.
Chris Iseli hat für Sonntag die Bundesratskandidat/innen Karin Keller-Sutter und Johann Schneider-Ammann auf einem Doppelporträt im gleichen Bild festgehalten sind. Da beide schwarz gekleidet sind: Für diesen Sonntag keine Prügel für die Drucker in Aarau. Auf Seite 13 zeigt der Kollege von Chris, Siggi Bucher, den Regisseur Michael Steiner, der seine Rolle nun als Familienvater sieht. Affen findet man auf Seite 52, mit einem Agenturbild (Beitrag Michael Walter).
Wir haben versprochen, die Tierwelt nach dem Relaunch und dem Redaktionswechsel wieder einmal anzuschauen. Und die Bilanz ist durchaus positiv. Martina Frei macht mit ihrem Team eine sehr gute Wochenzeitung, deren Themen weit über die Kleintierzüchter und ihre Verbandsnachrichten hinausgehen. Und Hans-Peter Blättler, der über viele Jahre die Tierwelt prägte, arbeitet engagiert mit. Es gibt nun ein Bild der Woche, diese Woche Wolf gegen Bison, doppelseitig. Und es gibt viele gute Bilder, und Michael Götz, der ebenso gut schreibt wie fotografiert, ist dabei. Hat man Freude an Tieren und man will nur eine Wochenzeitung abonnieren, kann man auf die Weltwoche verzichten.
In Sachen People versagt die Sonntags-Presse. Das Magazin zum SonntagsBlick bringt Muhammad Ali. Die nächste Ausgabe dürfte Elvis Presley gewidmet sein. Es sind interessante Archivaufnahmen, doch die hat man längst gesehen. Wer höhere Ansprüche stellt, kann sich den Bund „Kunstmarkt“ der NZZ amSonntag ansehen. Das Special ist gut durchfotografiert, doch wer die teilweise kitschigen PR-Texte verantwortet, wird erst auf einen zweiten Blick deutlich.
Die stärkste Sonntags-Zeitung ist zweifellos Le Matin Dimanche. Unterhaltsam, gut recherchierte und sorgfältig redigierte Beiträge und das Beste zum einem Café au Lait – au Lit. Yvain Genevay hat Gemsjäger Simon Epinay (nicht den, mit den Blondinen) auf die Gemsjagd begleitet. Aussergewöhnliche Bilder, und hervorragend gedruckt (in der uns vorliegenden Ausgabe wurde die Farbskala gleich mitgefaltet). Die Doppelseite hängt nun am Pinboard, – superbe.
Dann folgt ein Beitrag über die Drone von L’AR, die fliegende Kamera, nicht die erste wie, behauptet, denn die Microdrone ist längst auf dem Markt, und dann und Philippe Clément, wie man mit einer App vielleicht eines Tages ein Auto designen kann (Seite 31). Man kann die Parameter auf dem iPhone ansteuern, und die „bagnole“ bestellen. Vom Werk in Kaiserlautern kommt der Opel ab Band. Dazwischen steht (auch) die Fotografie.
„Al Ahrma“? Der Druckfehlerteufel schlägt doch überall zu, so auch bei Kritikern anderer Presseerzeugnisse. Zur Information: „Al Ahram“ (die Pyramiden) heisst das Blatt, welches mit dem Bild geschummelt hat.
Danke Herr Siegrist, soeben korrigiert. Ein Studienfreundin, die nach Spanien ausgewandert ist, nahm Privatstunden in Arabisch. Dass sie nach einem halben Jahr resiginiert hat, hat mich beeindruckt.
Die Al Ahram ist wirklich eine Pyramide in der Pressegeschichte. Die Gatttin von Dan Brown sollte darüber einen Roman recherchieren und ihn schreiben lassen, würde ihn lesen!
Vermutlich wird es bei der Kapo Bern personelle Veränderungen in der Leitung geben, der Polizeikommandant Stefan Blättler war ja auch verantwortlich für den misslungenen Einsatz als Linksextremisten anlässlich einer SVP-Kundgebung Bern in einer Art Bürgerkriegsgebiet („bürgerkriegsähnliche Zustände“) verwandelten und die Schweiz weltweit negativ in die Schlagzeilen kam. Der Fall Kneubühl wird noch lange die Gemüter erregen, zumindest bis zu einem Rücktritt des Verantwortlichen Polizeikommandanten.
Schon während des Einsatzes wurden soviele Pannen bekannt (s. z. B. untigen Link), nun kommen laufend neue ans Tageslicht.
http://polizeibericht.ch/ger_details_29798/Kt_Bern_Biel_BE_Fall_Hans_Peter_Kneubuehl_wirft_schon_jetzt_etliche_Fragen_auf_-_Eine_Panne_jagt_die_naechste_-_Wann_tritt_Polizeikommandant_Stefan_Blaettler_zu.html
Ich habe etwa 20 Jahre im Kanton Bern gelebt und in öffentlichen Institutionen gearbeitet. So kenne ich durch Freunde auch etwa die Situation in etwa in Biel. Im Kanton Bern sind sie nachhaltig, beim Aufarbeiten und auch bei den Konsequenzen. Ich brauchte Jahre, um die Mechanismen zu verstehen.