Pressespiegel zum Wochenende vom 2./3. Oktober 2010
Die Home-Story über Simonetta Sommaruga und Bundesratsgatte Lukas Hartmann war zu erwarten. Dank ihrer Nähe zu den Ringier-Medien durften das illustre Paar vorerst von Michael Merz (Text) und Michael Sieber (Fotos) für das SonntagsBlick Magazin im trauten Heim in Köniz besucht werden (Bildnachweis: Keystone für Blick). In Text und Bild ist alles geglättet, Hofberichterstattung ohne jegliche kritische Untertöne. Dann setzt sich Simonetta Sommaruga für den Fotografen sogar ans Klavier und „Lässt Chopin aufrauschen…“. Die Foto des denkwürdigen musikalischen Auftritts finden wir nirgends, auch keine App mit dem Sound. Vielen Leserinnen gefällts, und wie sich der Kommentar ihres Schwagers Jürg Lehmann zur Ausschaffung von Bljerem S. nach einer Verfahrensdauer von zehn (!) Jahren mit den zukünftigen Herausforderungen an die sozialdemokratische Justizministerin verträgt, bleibt offen.
Erwähnenswert im SonntagsBlick Magazin: Reportage über Kinder, die auf den Philippinen im Müll aufwachsen und für die sich ein Schweizer Hilfswerk einsetzt (Stefan Krücken/Enver Hirsch). Philippe Rossier liefert die Bilder zum Beitrag zu 40 Jahre Stiftung Schweizer Sporthilfe, und Stefan Walter porträtiert junge Bäuerinnen (nicht die vom Kalender).
DAS MAGAZIN ist, wie angekündigt auf iPad erhältlich. Die App steht im iTunes Store für CHF 1.10 zur Verfügung. Dafür werden Goodies angeboten, in der aktuellen Ausgabe zum Beispiel ein Beitrag von Pieter Hugo über den „Computer-Friedhof“ in Ghana. Ein zukunfstweisendes Geschäftsmodell für die anspruchsvolle Reportagefotografie ist dies definitv nicht. Pieter, ein hervorragender Reportagefotograf, ist auch anderswo auf dem Netz präsent. Hier unsere Lieblingspreportage. (Bildnachweis: Pieter Hugo)
Für die Printausgabe von DAS MAGAZIN wurde eine Art Essay von Jonathan Franzen über den Vogelfang im Mittelmeerraum übersetzt. Die Aufnahmen stammen offensichtlich aus dem Archiv von Reuters. Mit den Nachweisen geizt DAS MAGAZIN ebenso wie mit einem Hinweis, wo dieser Beitrag erstmals erschienen ist. Auf der Suche nach Verweisen bekommen wir die freundliche Aufforderung, die App zu kaufen. Ohne hat man keinen Zugriff auf den Kontent. Das neue Konzept zur Kommerzialisierung des bereits über-werbelastigen Magazins ist einer der peinlichsten Versuche, im Internet Nuggets aufzuspüren.
Zürich hat ein neues Magazin. Nur drei Tage nach seinem fulminanten Abschied beim Blick am Abend lancierte Reda el Arbi, nunmehr Stadtredaktor a.D. im Newsroom, Hauptstadt. Das neue „Blettli“ ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Es ist kein City-Magazin, wie man es nahezu von jeder mittelrossen Stadt in Deutschland kennt. el Arbi macht Satire, und dies mit seinem sehr breit abgestützten Netzwerk in Journalismus und Kultur, und mit einer über seine Blog und Facebook-Freunde aufgebaute Leserschaft. Das alles ist schlüssig. In der Schweiz gibt es wenige Beispiele und noch weniger Erfolgsgeschichten, wie man vom Internet ins werbemässig immer noch attraktivere Print geht.
Reda el Arbi beweist Mut. Inhaltlich bewegt sich das Produkt zwischen Titanic und einer Maturazeitung, wie der Tages-Anzeiger treffend schrieb. Es dürfte unter grossem Zeitdruck entstanden sein. Einzelne Beiträge sind hervorragend, andere fallen ab. el Arbi zeigte sich auf Facebook eher empfindlich, wenn man am Layout und an der visuellen Gestaltung von Art Ringger herumnörgelt. Doch da ist noch einiges aufzuholen. Man muss nicht nur Köpfe ausschneiden und in Texte einkleben, auch Fotografie kann ironisch sein, wenn man sie pflegt.
Wir freuen uns auf die nächste Ausgabe, sofern auch die Logistik in Bewegung kommt. Tipp: Philipp Meier im Cabaret Voltaire verfügt über einen Stapel, und bei einer Gazosa lässt sich dort selbst über Satire lästern.
Der Sonntag (die Sonntagspresse muss immer wieder anders „gebrandet“ werden) ist bei uns Dauergast für Porträts. Chris Iseli hat für das Interview mit Axel Berg den Deutschen Botschafter perfekt ins Bild gesetzt. Tipp für Botschafter: Ein schwarzer Anzug zerfliesst im Druck. Doch auf der Seite Glamour (20), wie sie nun heisst, ist People-Journalist Sacha Ercolani auch ein Opfer. Er heisst nun Sacha Erc, – wär doch was. Fotografisch musste mit Michelle Hunziker von den Wiesn alles sehr schnell gehen. Die WOW-Aufnahme kommt vermutlich ab HDTV. Immerhin ist DER Sonntag nun auch auf iPad.
Der Streit um Le Corbusier und seine Nähe zu totalitären Regimen nimmt immer mehr bizarre Formen an. Bilder sind dabei nicht unwesentlich. Le Matin setzt sie in einer „histoire à suivre“ bewusst ein. Sie haben unsere Vorstellung von einem der wichtigsten Architekten des 20. Jahrhunderts geprägt. Er zeigte sich stets, etwas egoman, vor der Kamera als Intellektueller und prägte mit dem Look and Feel Generationen von Architekten. An einer Vernissage an der ETH Hönggerberg trifft man sozusagen nur auf visuelle Clones, wie an einer Party für ein B-Movie.
Daniel de Roulet, mässig erfolgreicher Schriftsteller will die „Affäre“ ins Rollen gebracht haben. Vor wenigen Jahren „bekannte“ er, das Chalet von Axel Springer bei Rougemont in Brand gesteckt zu haben. Bilder von seiner Heldentat gibt es nicht. Dass Springer über viele Jahre einen entscheidenden Beitrag zur Versöhnung zwischen der Bundesrepublik und dem Staat Israel leistete, blendet de Roulet völlig aus. Doch dazu gibt es Bilder und Filme, die nicht lügen.
Ich möchte hier nachtragen, dass die Homestory des SoBli mit meiner Frau vorgetäuscht war. Die Fotos stammten von einem Besuch bei mir im Februar 2009. Es ging um meinen Roman „Bis ans Ende der Meere“. Meine Frau, damals Ständerätin, stiess für wenige Minuten dazu und liess sich kurz mit mir zusammen fotografieren. Das Foto am Klavier ist noch älter.
Nach der Wahl zur Bundesrätin haben wir alle Anfragen für Homestorys abgelehnt. Die SoBli-Geschichte wurde ohne unsere Kenntnis und ohne unsere Einwilligung veröffentlicht. Der Text war so geschickt formuliert, dass die LeserInnen glauben mussten, der SoBli habe als einziges Blatt die neue Bundesrätin zu Hause besuchen dürfen.
Für dieses Vorgehen hat sich der Chefredaktor in der darauf folgenden Ausgabe entschuldigt.
Mit besten Grüssen
Lukas Hartmann
Vielen Dank Herr Hartmann
In der Zwischenzeit hat sich dies herumgesprochen, – und die Szene der Pressefotografie ist ja sehr klein. Auffällig waren auch die Jahreszeiten.
Ich wünsche Frau Sommaruga einen guten Start aus einer nicht beneidenswerten Ausgangslage und hoffe, dass Sie trotz den gesellschaftlichen Herausforderungen weiterhin spannende und inspirierende Romane schreiben werden. Und, dass das EJPD einen vielleicht besseren Kontakt zu den Pressefotiograf/innen aufbaut (ist entwicklungsfähig).
Mit besten Grüssen
David Meili