Der grosse Saal im Museum für Gestaltung war über den letzten Platz belegt. Die Erwartungen des Publikums waren gross, doch Peter Haerle, der neue Kulturchef der Stadt Zürich kündigte an, dass er und seine Verwaltungsabteilung als Erwartungen an diesen Abend vor allem Inputs erwarten. Diese hielten sich in Grenzen.
Peter Haerle tritt als Nachfolger von Jean-Pierre Hoby ein schweres Erbe an. Auch seine Amtsvorsteherin Corine Mauch steht immer noch im Schatten des „Machers“ Elmar Ledergerber. Doch wie Mauch versteht sich Haerle als Zuhörer, Analytiker und Kommunikator. Sein Stil ist bei den Kulturschaffenden an diesem Abend gut angekommen. Er hat die Veranstaltung eröffnet, mit einer kurzen Bilanz abgeschlossen und auf ein weiteres Podiumsgespräch im Januar 2011 hingewiesen. Bewusst blieb er im Hintergrund und machte eifrig Notizen.
Mit Plinio Bachmann konnte er einen Gast für die Talkrunde gewinnen, der internationale Erfahrung (aus Wien) einbrachte (im Bild). Patrick Frey, Kultur-Unternehmer und Kulturschaffender, versuchte zu provozieren. Zürich verfüge im Vergleich zu seiner Grösse über eine luxuriöse Subventionierung und ein sehr gutes Angebot. Dies blieb unbestritten, auch nicht von Regula Freuler, Kulturredaktorin der NZZ am Sonntag, die auf einsamen Posten die etablierten Kulturinstitutionen („Leuchttürme“ im Legislaturprogramm der Stadt) vertrat. Dann nahm Bachmann, leitender Dramaturg am Burgtheater in Wien den Ball auf. Wien und Paris pflegten stets ein monarchistisches System. Die Zürcher hätten sich schon im Spätmittelalter von den Habsburgern gelöst.
So entglitt die Diskussion auf dem Podium wie im Publikum zuweilen dem Motto „Welche Kultur braucht Zürich?“. Oft war vom „Staat“ die Rede. Dass die Stadt ihren eigenen Aufgaben gerecht werden muss und der Kanton der „Staat“ ist, und wir Teil eines Staatenbunds auch einer nationalen Kulturförderung verpflichtet sind, kam wirklich niemandem in den Sinn. Am gleichen Tag fand die zumFeindbild erklärte Stadtzürcher SVP einen weiteren Angriffspunkt, nunmehr das weitgehend vom Kanton finanzierte Opernhaus. Dies wussten nur wenige.
Was blieb als Bilanz für Fotograf/innen? Die Stadt bemüht sich um bezahlbare Kulturräume (wobei eine Teilnehmerin aus dem Publikum die Frage nach bezahlbaren Wohnräumen und einem garantierten Mindesteinkommen stellte). Die von Jean-Pierre Hoby gepflegte Rote Fabrik geht schweren Zeiten entgegen. Die ursprüngliche Besetzer/innen und von der Stadt subventionierten Mieter/innen der Ateliers erreichen demnächst das Pensionsalter.
Wie die Fotoszene in Zürich innerhalb von weniger als zwanzig Jahren internationale Ausstrahlung erlangen konnte, kam nur indirekt zur Sprache. Zürich zählt heute über zweihundert Kunstgalerien, die alle auf privater Basis entstanden sind. Auch die beiden grossen Events der Fotoszene sind weitgehend durch Sponsoring finanziert. Sie kommen ohne städtische Kommissionen aus, die in der Regel von jenen bestimmt werden, die auch Subventionsempfänger sind.
Man sprach über ein Migrant/innen-Theater, das subventionsmässig zwischen Sozialdepartement und der Kulturabteilung der Stadtpräsidentin hin- und hergeschoben wird. Unerwähnt blieb, dass der grösste der Teil der jungen Kulturschaffenden und auch Fotograf/innen mit „Zürich“ oft nur temporär verbunden sind und zumeist über mehrere „Nationalitäten“ verfügen. Andrea Štaka, waschechte Zürcherin und eine der erfolgreichsten Regisseurinnen aus der Filmförderung der vergangenen Jahre deutete es an.
Es braucht freie Kulturräume, und dies war unbestritten, und ebenso dass die Bestzerszene im früheren Hotel Atlantis sich im Morgengrauen auflösen wird. Welche Peinlichkeit die Besetzer mit ihrem Abschiedsbrief an den Zwischenmieter letztlich auch der Stadt bereiteten, wusste man am Montagabend noch nicht. Somit hinterliess die Veranstaltung am Tag danach einen verwirrenden Eindruck.
Beitrag im Züritipp aus etwas anderer Sicht