Über das verfahrene Museumskonzept der „Kulturstadt Winterthur“ (Standortwerbung) sprach man an der Pressekonferenz der Kunstinstitutionen nicht. Gastgeberin war das erfolgreiche Zentrum für Fotografie. Dennoch gelang den Vertreterinnen und Vertretern von acht Kunstinstitutionen unter dem Dach der IG Kunstsammlungen und koordiniert durch Dieter Thalmann eine gemeinsame Präsentation für ihre Jahresprogramme.
Aus den interessanten und bereichernden Referaten der Medienkonferenz können wir hier nur wiedergeben, was im engeren oder weiteren Kontext Fotografie betrifft. Das Fotomuseum, geleitet von Urs Stahel, beginnt das Jahresprogramm mit klassischer Schwarzweiss-Fotografie (André Kertèzs, Alexander Rodtschenko). Höhepunkt, auch weit über die Region hinaus, wird eine Werkschau über Ai Weiwei sein. Viele seiner Bilder kennt man, doch ihnen im Original zu begegnen (und dem Künstler hoffentlich auch) wird vermutlich das Highlight im Fotojahr 2011 in der Deutschschweiz sein.
Peter Pfrunder von der Fotostiftung Schweiz nimmt eine besondere Herausforderung an. Die Stiftung wird 40 Jahre „alt“. Pfrunder und sein Team arbeiten ein Konzept auf, das in Ansätzen bereits in Zürich in zwei frühere Ausstellungen zum Erfolg führte und zu dem er als Buchautor eine enge Beziehung hat. Mit siebzig Bildbänden wird die Fotogeschichte des 20. Jahrhunderts der Schweiz dargestellt. Jakob Tuggener, Ernst Scheidegger, doch auch wenig bekannte Fotografen werden in Werken, die sie massgeblich mitgestaltet und erkämpft haben einen Querschnitt durch das fotografische Schaffen der Generationen und den Fundus der Stiftung ermöglichen.
Darauf angesprochen, bestätigte Peter Pfrunder, dass die Verleger- und Verlagsgeschichte ein Stiefkind der kunsthistorischen Forschung in der Schweiz ist. Man soll die Tat nicht vor dem Abend rühmen, doch es bestehen Hoffnungen: Diese Ausstellung wird wesentliche Impulse vermitteln. Dann kommt der Wunsch nach „mehr“, zum Beispiel nach einem Projekt über Fotozeitschriften, die trotz ihrer Bekanntheit wissenschaftlich erst wenig aufgearbeitet sind, wie DU und Camera.
In den meisten Programmen der Museumsszene in Winterthur für 2011 finden sich Bezüge zur Fotografie. Überraschungen bietet die Kunsthalle unter Oliver Kielmayer, die als „Gast“ von der IG Kunstsammlungen eingeladen wurde, da sie als Kunsthalle nicht das Sammeln und Konservieren in ihrem Programm hat und somit auch nicht Mitglied ist. Doch sie ist eine der interessanteren Institutionen.
Die Kunsthalle Winterthur ist ausserhalb der Kulturstadt Winterthur im Ausland weit bekannter als in der dominierenden Szene im Raum Zürich, – zu unrecht. Die meisten Ausstellungen im kommenden Jahr stehen in direktem Bezug zur Fotografie, und Fotografien finden sich in den meisten Installationen. Köken Ergun sollte man nicht verpassen. Seine Video-Installation „Wedding“ wird an der Marktgasse 25 zu sehen sein.
Das Kunstmuseum Winterthur bringt unter Dieter Schwarz zwei für Fotointeressierte inspirierende Ausstellungen. Fausto Melotti, einer der wichtigsten italienischen Nachkriegskünstler, wird mit Skulpturen und fotografischen Dokumenten aus dem Nachlass seiner Familie gewürdigt. Schwarz führt im Spätsommer den Bogen weiter mit einer Ausstellung über die Kunst der Nachkriegszeit. Sehenswert ist die aktuelle Ausstellung über Die Natur der Kunst, ergänzt mit dem Graphikzyklus Elbe von Gerhard Richter (bis 27. Februar 2011).
Dass Museen mit traditioneller Kunst fotohistorisch viel zu bieten haben, wird die von Mariantonia Reinhard-Felice in der Sammlung Oskar Reinhart am Römerholz aufgearbeitete Vertiefung in ein Werk von Jean-Baptiste Camille Corot beweisen. Es ist ihr gelungen, eine wunderschöne Aktzeichnung nach Winterthur zu bringen. Wie kaum ein anderer Maler seiner Epoche liess sich Corot, befreundet mit Nadar, von der Sichtweise der Fotografie beeinflussen.
Malerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts prägen Sammlungen und Ausstellungen in der Villa Flora. Das Museum dürfte mit einem neuen Konzept mittelfristig an den Kanton Zürich übergehen. Angelika Affentranger-Kirchenrath hat für die Phase der Neukonzeption ein Projekt initiiert, das die Nachkommen der Sammlerfamilie Hahnloser befragt und zweifellos zu vielen interessanten Fotografien zur Sammlungsgeschichte führt.
Als Aussenstehender schätzt man die interessanten Programme einzelner Häuser, doch die Defizite der kulturstädtischen Politik sind unübersehbar. Ausser einer finanziell bescheiden dotierten Gemeinschaftswerbung findet man für 2011 kaum Veranstaltungen, die einen „Cluster“ bilden könnten. Besucher/innen, die seit Jahrzehnten aus der gesamten Welt kommen, um sich bedeutende Werke des 19. Jahrhunderts und der Frühen Moderne anzuschauen und einige attraktive Ausstellungen machen aus Winterthur keine „Kulturstadt“.
Eines der bedeutendsten Museen, das Museum Oskar Reinhart am Stadtgarten, steht nach wie vor vor einer ungewissen Zukunft. Direktor Peter Wegmann ist nicht zu beneiden, denn er konnte noch nicht bekannt geben, was ihn die vorgesetzte Kommission ab März „aufhängen“ lassen wird. Bis dann zeigt man einen Teil der Ausstellung mit Werken von Albert Anker, für all jene, die sie in Bern verpasst haben. Man stelle sich vor, das Zürcher Opernhaus hätte noch kein Saisonprogramm für den kommenden Frühsommer.
Programm der Winterthurer Kunstsammlungen
Fotomuseum Winterthur
Fotostiftung Winterthur