DU hat wieder eine Glanznummer gelandet – vor allem aus der Sicht fotointeressierter LeserInnen. «Sieben Magnum-Fotografen unterwegs mit sieben Autoren» ist ein gelungener Mix von bester Fotografie, die mit lesenswerten Textbeiträgen ergänzt wird. Sieben Fotografen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, zeigen die Vielfalt der Fotoreportage.
Gute Bilder brauchen eigentlich keinen Text. Wirklich? Wenn der Text so subtil auf die Bilder abgestimmt ist, wie zum Beispiel die Einleitung «Wer sehen will, muss lesen. Wer lesen will, muss sehen» von Barbara Basting, dann erfahren selbst die Bilder eines Robert Capa nochmals eine Steigerung. Weil man sie besser versteht. Weil viel Hintergrundwissen dazu vermittelt wird. Weil die Autorin Dinge erklärt, die aus den Bildern nicht unbedingt hervorgehen. Und weil es Barbara Basting versteht, mit ihrem Essay spannend zum redaktionellen Schwerpunkt des Heftes überzuleiten, in dem sieben Büchern berühmter Magnum-Fotografen gezeigt werden, welche mit brillanten Texten zu journalistischen und bibliophilen Highlights werden.
Die sieben Beispiele decken das Spektrum der Fotoreportage ziemlich umfassend ab und führen dem Leser vor Augen, wie wichtig der Text ist, um ein Ereignis nicht nur zu sehen, sondern in seiner ganzen Tragweite zu verstehen. Wohl bestes Beispiel dafür sind die beeindruckenden Bilder von Paolo Pellegrin, die vor fünf Jahren im Libanonkrieg entstanden sind. Auf den ersten Blick sind die Bilder übertragbar und hätten an jedem Kriegsschauplatz entstanden sein können. Erst mit dem Text gelingt dem Betrachter eine eindeutige Zuordnung – zumal die damaligen israelischen Angriffe auf Beirut schon fast unserem Erinnerungsvermögen entschwunden sind. Längst sind andere fotografische Kriegsendrücke an ihre Stelle getreten, zum Beispiel aus Lybien oder Syrien …
Politreportage – Robert Capa, John Steinbeck: «A Russian Journal»
Der bereits berühmte Fotograf und der spätere Literaturnobelpreisträger reisten 1948 hinter den Eisernen Vorhang. Die Bilder und Geschichten, die sie in den Westen mitbringen, erzählen, wie aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs eine neue Welt entsteht – und die Zeit immer wieder stillzustehen scheint.
Künstler und Abbild – Bob Adelman, Raymond Carver: «Carver Country»
Das Buch eines todgeweihten Autors und eines höchst diskreten Fotografen, die gemeinsam die privaten Landschaften des grossen Erzählers und Einzelgängers Raymond Carver durchforsten. Ein melancholisches Rendezvous.
Der postkoloniale Blick – Carl De Keyzer, David Van Reybrouck: «Congo (Belge)»
Die ganzseitigen Fotografien zeigen die heutigen schwarzafrikanischen Einwohner Kongos und die Spuren der kolonialen Vergangenheit des Landes. Ein harter Kontrast zwischen der Schönheit von Bild und dem Klartext der politischen Fakten.
Frontbericht – Paolo Pellegrin, Scott Anderson: «Double Blind»
Das Buch führt mitten in den Horror des Libanonkriegs von 2006 und bringt die Wucht der Ereignisse ungefiltert zum Ausdruck. Wir blicken direkt in eine Beziehungsfalle, in der es keine Gewinner gibt. Nur Verlierer auf allen Seiten.
Geschwindigkeitskrankheit – Raymond Depardon, Paul Virilio: «Terre Natale»
Auf den Spuren der neuen weltumspannenden Menschenströme wird das 21. Jahrhundert mit seiner universellen Beschleunigung ins Visier genommen. Die Sesshaften von heute sind die Nomaden von morgen.
Langzeit-Dokumentation – Chien-Chi Chang, Claudia Glenn Dowling: «Double Happiness»
Der Heiratsmarkt zwischen taiwanischen Männern und vietnamesischen Frauen: Die Männer kaufen ein, die Frauen verkaufen sich. Ein nüchternes Protokoll eines herzergreifenden Geschäfts.
Bild-Text-Labor – Mark Power, Daniel Cockrill: «Destroying the Laboratory for the Sake of the Experiment»
Ein Slam-Poet und ein Grossformat-Fotograf zeigen ihre Heimat, wie sie ist – schön, traurig, ätzend. Ihre Zusammenarbeit ist sowohl eine Liebeserklärung wie auch eine bittere Anklage an das runtergewirtschaftete England von heute und die Widersprüche unseres Wohlstandslebens.
Der zweite Teil des Heftes ist schwerpunktmässig der Literatur gewidmet, zum Beispiel mit einem Gespräch von Georg Klein mit Thomas David über seinen neuen, noch unvollendeten Roman «Die Zukunft des Mars», welches uns Einblicke in die Arbeit an seinem Manuskript gibt. Oder der Artikel «Kunst gegen Bildungshunger», wo das Schweizer Familienunternehmen Ricola seinen Mitarbeitern Kunst zumutet, als Kunstvermittlung mit gesellschaftlichem Hintersinn.
Auch im hinteren Heftteil findet sich in der aktuellen Du-Nummer nochmals ein fotografisches Thema. Auf einer auffallenden Doppelseite ist das Time-Titelbild einer verstümmelten jungen Frau aus Afghanistan zu sehen, welches eindrücklich auf den World Press Photo Award 2011 hinweist, dessen Bilder ab 12. Mai 2011 im Sihlcity in Zürich zu sehen sein werden.
Und nicht zu überlesen: «Sichtweisen», die Kolumne von Urs Stahel, zu «Walid Ra’ad», dem libanesischen Fotografen, der in diesem Frühjahr den Hasselblad Award gewonnen hat.
Gespannt darf man auch bereits auf die nächste Ausgabe des Du sein, die schwerpunktmässig dem Thema «Ai Weiwei – Kunst und Macht» gewidmet ist. Sie wird am 1. Juni erscheinen.
Die aktuelle Du-Ausgabe kann im Kiosk- und Buchhandel für CHF 6.50 bezogen oder hier direkt bestellt werden.
Urs Tillmanns