Pressespiegel vom 21./22. Mai 2011
Durch die Wettbewerbe der vergangenen Tage wurde offensichtlich, dass in der Romandie zunehmend sehr qualifizierte Fotograf/innen ausgebildet werden. Dadurch erhöht sich nicht nur der Konkurrenzdruck bei einem Markt für Aufträge in den Printmedien. Durch Fusionen und Übernahmen schrumpft er gleichzeitig drastisch. Im Vorfeld des Salon international du Livre et de la Presse hat die Wochenzeitung L’Hebdo eine interessante Analyse publiziert.
Die Fakten sind unbestritten. Edipresse, einst Vorzeigeunternehmen des Westschweizer Verlagswesens, wurde von Tamedia übernommen und wird im Management von Zürich aus gesteuert. Ringier konnte seine bereits starke Position ausbauen, doch nun kommt als dritte Kraft die französische Verlagsgruppe von Philippe Hersant hinzu, die schrittweise Lokalzeitungen aufkauft.
Die Strategie von Hersant macht Sinn, denn alle diese Traditionsblätter haben Nachfolgeprobleme, verfügen über veraltete Strukturen und werden nur durch radikale Rationalisierung und Sparmassnahmen überleben. Andrerseits ist der lokale Anzeigenmarkt lukrativ, denn KMU sind treue Werbekunden und bezahlen ihre Rechnungen pünktlich. Die Verlage, meist im Familienbesitz, fallen um wie Dominosteine.
Für Journalisten und Fotograf/innen ist die Entwicklung fatal. Die Aufträge für freiberuflich Tätige schmelzen dahin wie der Schnee bei einem Föhnsturm. Alternativen sind nicht Sicht. Die Printmedien haben in den vergangenen sechs Jahren durchschnittlich 13 Prozent Leser/innen verloren, am massivsten die traditionsreiche Tribune de Genève mit 23 Prozent. Ihr stirbt die treue Leserschaft aus demographischen Gründen ganz einfach weg.
Alain Jannet beschwört in seinem Editorial in L’HEBDO die Qualitäten des etablierten Journalismus, doch die Stossrichtung ist klar: Man möchte die SRG als Leitmedium daran hindern zum wichtigsten Informationsanbieter auf dem Internet zu werden. So ist es kein Wunder, dass die von Natalie Rickli lancierte Petition zur Gebührensenkung im Journalismus ausserhalb der SRG soviel Zuspruch fand. Die Diskussion um den Leistungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Medien hat Rickli clever ausgelöst und erkannt, dass ihr Arbeitgeber Goldbach Media ein Keyplayer ist. Der Beitrag in L’HEBDO zeigt in einer Infographik die aktuelle Konstallation auf. Nach der SRG ist gemäss eigener Definition die Publigoupe der zweitgrösste Medienkonzern. Ringier und Tamedia liegen zurück. Doch Goldbach holt kräftig auf. Die Analyse ist interessant, weil sie sich nicht auf traditionelle Kriterien der Bewertung abstützt, denn Werbung ist bei einem zeitgemässen Medienverständnis auch Content.
Dieser Auffassung folgt auch die Schweizer Illustrierte und ist in Kreisen von Journalisten und Verlegern nach langer Zeit wieder einmal Thema der Woche. Blockbuster ist die Reportage über Roger Federer und seine süssen Zwillinge. Sie wurde als Making of eines Shootings im Auftrag der Credit Suisse (Sponsor von Federer) von der hauseigenen Journalistin Joy Bolli (CS) produziert. Die SI weist auch korrekt darauf hin. Unklar sind die Bildnachweise. Das Interview ist gut gemacht, Layout und Bilder auch, weit besser als die nachfolgende Reportage über die Knie-Gala für Beat Richner. Geheimtipp für PratikantInnen: Vielleicht sich gleich am Paradeplatz und nicht an der Dufourstrasse bewerben.
Die Schweizer Illustrierte bietet mehr. Es folgt ein Beitrag über Uli Sigg mit Fotos von Kurt Reichenbach. Seit Freitag ist die Ausstellung von Ai Weiwei im Kunstmuseum Luzern zu sehen, auch und vor allem für Fotograf/innen sehenswert.
In beiden Magazinen (DAS MAGAZIN, SonntagsBlick magazin) vermisst man dieses Wochenende gute Reportagen. Dass man für Bob Dylan Agenturbilder benötigt, ist offensichtlich, denn der melancholische Sänger ist bekanntlich kamerascheu und seine Agentur gibt nur Bilder frei, die publiziert werden dürfen. Doch für einen gut geschriebenen Schwerpunktbeitrag über Staus im Strassenverkehr hätte man für vergleichsweise wenig Mittel bei Ringier einen Fotografen engagieren können, der an der ewz.selection im nächsten Jahr durchaus Chancen gehabt hätte können. Wo fehlt es beim SonntagsBlick magazin?
Der Sonntag dürfte sich mit seinem Beitrag verirrt haben. Mit viel Mühe hat man ein Bild mit Philipp Hildebrand und Dominique Strauss-Kahn im intimen Gespräch gesucht und gefunden. Das Bild ist von AP übernommen, soweit wir es entschlüsseln können. Auf der Baseline mit Schweizern und zusammengeschnipselten Porträts ergibt sich dann unten keine logische Bildstrecke.
Tierisches in der Tierwelt. Es geht um „Das Schwein als Therapeut“, mit einem schönen Titelbild. Nach der ersten Lektion in Journalismus („Mann beisst Hund“) hätte man den Titel umgekehrt, doch das Bild belassen (Fotograf/In unbekannt). An Martina Frei, nach Aussage der Kiosk-Verkäuferin meines Vertrauens: Ihr macht eines der am meisten gefragten Magazine im Markt der Deutschschweiz.
Dann kommt die Reportage des Tages in Der Sonntag: „Hirtenhunde beissen Wanderer.“ Das Bild bezog man von Keystone und steht in keinem Kontext zum Beitrag. Nun werden die Hirtenhunde zum Problem, und nicht mehr die Wölfe, und dann eine Journalstin, die unbedarft darüber schreiben und die Layouter, die Bilder beschneiden.
Im gleichen Blatt schreibt Sacha Ercolani über Ronja Furrer, die als „Topmodel“ angeblich mehrere tausend Franken pro Tag verdient. Sie sucht eine günstige Wohnung in New York und will weg von Solothurn. Dann folgt auf der Medienseite von Der Sonntag ein völlig unkritisches Interview mit dem bis anhin wenig in Erscheinung getretenen Bundesratssprecher André Simonazzi (Textautor Othmar von Matt). Im Kleingedruckten wird erwähnt, was die einzelnen Bundesräte für PR ausgeben, zu Ansätzen, von denen die wenigen akkreditierten Fotograf/innen nur träumen können.
Eine kleine Korrektur. Es handelt sich nicht um eine Ausstellung von Ai Weiwei im Kunstmuseum Luzern. Der chinesische Künstler, seit dem 3. April 2011 verhaftet und mit unbekanntem Aufenthalt, war Mitkurator (mit Uli Sigg – Sammler – und Peter Fischer – Direktor des KMLU). In der Ausstellung befinden sich ein paar Arbeiten Ai Weiweis, darunter auch viele Fotographien zu einem speziellen Projekt. Insgesamt sind 70 Werke von 36 zeitgenössischen KünstlerInnen aus China zu sehen.
Die Ausstellung hat den Titel: Shanshui – Poesie ohne Worte? Landschaft in der chinesischen Gegenwartskunst. Bis 2. Oktober 2011 geöffnet.
Cher Urs,
Merci pour ton article sur l’Hebdo et les médias.
Ca fait plaisir de voir que tu t’intéresses toujours
à ce qui se passe dans notre coin de pays.
Meilleures salutations et à bientôt!
T. Froidevaux
Danke Roger
Hätte nach Luzern kommen sollen und wäre zweifellos interessanten Menschen begegnet. In diesen Tagen kann man nicht alles vor Ort erleben und schlüssig darüber schreiben.
In der NNZ waren zwei artikel über AWW. am 12.5. von zhu ling, galeristin in berlin und kürzlich die entgegnung von uli sigg. Hoffentlich noch vor der artbasel-vernissage kann man hier http://www.freemedia.li (noch tot) ein 3dvideo sehen von der letztjährigen innovativen monumentalen Ai Wei Wei-Skulptur vor dem messeturm/eingang. Ich wusste erst nachher wer der urheber war.
Am Freitag führt Urs Stahel im Fotomuseum Winterthur die Vernissage durch, auch wenn Ai Weiwei immer noch hinter Gittern ist.
Alle Leser/innen sind herzlich eingeladen
http://www.fotomuseum.ch/index.php?id=22eingeladen