Urs Tillmanns, 2. Juli 2011, 10:00 Uhr

Schweizer Kameramuseum: Sonder-ausstellung «Das Jahrhundert des Films»

Der Film, der ein Jahrhundert lang dazu diente, unsere Erinnerungen zu speichern, scheint bei der jüngeren Generation bereits in Vergessenheit zu geraten. Welche Arten von Filmen gab es? Welches waren die wichtigsten Erfindungen? Wie hat man Filme entwickelt und Papierbilder davon hergestellt? Das Schweizer Kameramuseum in Vevey zeigt diese Entwicklung lückenlos auf.

Die Ausstellung veranschaulicht die triumphale Demokratisierung der Fotografie anhand ihrer Nutzung durch Amateur- oder Berufsfotografen. Der Besucher entdeckt neben diversen, oft wenig bekannten Fotoausrüstungen auch verwunderliche Anwendungen, nicht zu vergessen die verschiedenen Nutzer vor und hinter der Kamera …

 

Der Cinématographe der Gebrüder Lumière, ab 1895 auf dem Markt, war Aufnahmegerät und Projektor in einem

 

Ein neuer Film – Fotos für alle!

Mit dem Erscheinen des Rollfilms als biegsamem Bildträger in den 1880er Jahren verändert sich das Fotografieren von Grund auf. Die Kamera wird einer eigentlichen Metamorphose unterzogen, sie wird verkleinert und mechanisiert. Der Film, der eine Abfolge nacheinander aufgenommener Bilder und damit einen im Vergleich zu den noch lange üblichen Glasnegativen unvorstellbaren Komfort bietet, vereinfacht das Fotografieren so sehr, dass er unsere Art zu sehen und kommunizieren revolutioniert und dem weiten Arbeitsfeld des Fotografen im 20. Jahrhundert den Weg ebnet.

35-mm-Film aus Zellulosenitrat mit Lumière-Perforation und Metalldose

Noch vor George Eastmans Rollfilm gibt es im Deutsch-Französischen Krieg von 1870 ein erstes Beispiel für einen Film, der dem Chemiker und Fotografen Prudent René-Patrice Dagron zu verdanken ist. Wichtige Dokumente wurden damals fotografisch auf Kollodiumpapier verkleinert und mit Brieftauben ins belagerte Paris gebracht.

Nachdem Eastman die «Kodak»-Kamera erfunden hatte, eine kleine benutzerfreundliche Box mit Rollfilm und dem berühmten Slogan «You press the button, we do the rest», wird die Fotografie demokratisiert und zur «Zeugin glücklicher Tage» im Leben des Hobbyfotografen und seiner Familie. Das nun für jedermann zugängliche fotografische Bild wird spontaner …

 

Von der Erfindung des Kinos zum goldenen Zeitalter der Illustrierten

Die Verwendung des Films ermöglicht auch das Aufkommen des Kinos. Der von Edison entwickelte 35 mm breite Kinofilm bringt eine weitere Neuerung: die berühmte «Leica» von Oskar Barnack. Mit diesem Apparat nimmt das Konzept der modernen Fotokamera Gestalt an. In Form der «Rolleiflex», dem Arbeitsinstrument des Fotoreporters schlechthin, leistet sie ab Ende der 1920er Jahren ihren Beitrag zum goldenen Zeitalter der Illustrierten.

Kodak Film Tank, 1911. Zur Spulenbox aus Holz gehört eine Entwicklerdose aus verchromtem Metall, in die der auf einen Acetatträger gerollte Film zur Entwicklung hineingelegt wird

In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen wird die Fotografie immer «enthüllender». Die Fabrikanten entwickeln immer patentere Hilfsmittel, die sich bei Fotografen grosser Beliebtheit erfreuen – auf der Suche nach «gestohlenen» Augenblicken, die nicht gestellte und nicht abgesprochene Bilder bieten.

«Das Leben sehen, die Welt sehen, Augenzeuge grosser Ereignisse sein, die Gesichter der Armen und das Gehabe der Stolzen erblicken – Maschinen, Armeen, Menschenmassen, Schatten im Dschungel und auf der Mondoberfläche; die Werke des Menschen sehen, seine Gemälde, Bauwerke; Dinge wahrnehmen, die Tausende von Kilometern entfernt sind, hinter Mauern, in Innenräumen, an die heranzukommen gefährlich ist; Frauen, die Männer lieben, und Scharen von Kindern; sehen, und am Sehen Freude haben; sehen und staunen; sehen und belehrt werden.» (Manifest von «LIFE», 23. November 1936)

35-mm-Farbdiapositivfilm Kodachrome K-135, um 1970, mit Filmtasche für die Einsendung ins Entwicklungslabor

 

Die triumphale Demokratisierung der Fotografie

Nach Kriegsende sorgt der schnelle Wirtschaftsaufschwung zusammen mit der Tatsache, dass die Menschen über mehr Freizeit verfügen, in der Fotoindustrie für neuen Elan. Der geniale amerikanische Physiker Edwin Herbert Land lanciert mit der «Polaroid»-Kamera das erste befriedigende Sofortbildverfahren. Die Mechanik wird raffinierter, Spiegelreflexkameras werden effizienter und sind mit immer leistungsfähigeren Belichtungsmessern ausgestattet.

Leica 1 Modell A von 1925 (erste Lieferung in die Schweiz) für das Kleinformat mit 50-mm Elmax-Objektiv

Da sich der Film hervorragend für eine industrielle Verarbeitung eignet, werden Fotos schnell zum Massenartikel. Mit dem allgemeinen Durchbruch der Farbfotografie in den 1960er Jahren gelangen der Film und seine Entwicklung ins Angebot der Supermärkte. Die grösste Revolution der Nachkriegszeit ist die Erfindung des Kassettenfilms das Kodak «Instamatic», die mit 70 Millionen Exemplaren zur meistverkauften Fotokamera der Welt wird.

Ab dieser Zeit bringt die japanische Industrie der 35-mm-Spiegelreflexkamera für Profi- und Hobbyfotografen eine beachtliche Entwicklung. Die technischen Fortschritte der letzten 30 Jahre beruhen hauptsächlich auf der Automatisierung der Fotokameras dank der Elektronik: automatischer Filmeinzug und motorische Rückspulung, Berechnung der Belichtungszeit und vor allem das Aufkommen von Autofokussystemen, die eine automatische Scharfstellung ermöglichen.

Rolleiflex-Kamera für das Format 6×6 cm, erstes Modell, um 1930. Ihr Visiersystem macht sie sehr diskret und bei den Reportern der ersten Stunde sehr beliebt

 

Das Schweizer Kameramuseum, Grande Place 99, CH-1800 Vevey ist Dienstag bis Sonntag von 11 bis 17.30 Uhr geöffnet, sowie an Montagen, die auf einen Feiertag fallen. Telefon 021 925 34 80, Fax 021 921 64 58

Weitere Informationen im Internet unter www.cameramuseum.ch.

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