Urs Tillmanns, 27. November 2011, 07:00 Uhr

Schweizer Fotobücher 1927 bis heute

Die Fotostiftung zeigt noch bis zum 19. Februar 2012 eine andersartige Ausstellung zur Geschichte der Fotografie: Mit «Schweizer Fotobüchern 1927 bis heute» vermittelt sie einen Überblick über die wichtigsten Fotobücher der Schweiz. Darunter sind bekannte Juwelen sowie wenig bekannte Publikationen, die hier wieder entdeckt werden können.

 

Die Ausstellung wagt sich an ein komplexes Thema heran, das von verschiedenen Seiten her betrachtet werden kann. Sie ist zugleich Ergebnis einer intensiven Forschungsarbeit, die unter Leitung des Direktors der Fotostiftung Schweiz, Peter Pfrunder, in den letzten Jahren durchgeführt wurde.

In 14 Vitrinen sowie anhand einer aufwendigen Videoinstallation kann der Besucher erleben wie sich das Fotobuch in der Schweiz hinsichtlich Themenwahl, grafischer Ausstattung, Drucktechniken und Text-Bild-Verbindung in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat.

An der Wand angebrachte Layoutstreifen machen die ausgestellten Bücher als Schauobjekt greifbar.

 

Zum Konzept der Ausstellung

Die Ausstellung ist die Jubiläumsausstellung zum 40-jährigen Bestehen der Fotostiftung Schweiz in Winterthur. Auf den ersten Blick folgt die Präsentation im Ausstellungsraum acht Leitmotiven: Heimat, In den Bergen, Der Blick von oben, Vom Lauf der Welt, Künstlerbücher, Unterwegs, Arbeit, Menschenbilder.

Auf den zweiten Blick, oder beim zweiten Rundgang durch die Ausstellung, erkennt der Besucher, dass das Ausstellungskonzept verschiedene Lesemodi zulässt. So kann der Besucher der thematischen Sequenz folgen oder aber den Wandel der Fotobücher hinsichtlich sich ändernder Drucktechniken, variierender grafischer Umsetzung oder der Verschiebung der fotografischen Schwerpunkte vom Menschenbild hin zu Reportage und zum Fotokunstbuch erkennen.

Zwischen den Layoutstreifen an der Wand, durch die einzelne Fotobücher hervorgehoben werden, hängen verbindungslos mehrere Fotografien, einige davon sind Vintageprints. Diese Fotografien thematisieren den Medienwechsel, den die Fotografie in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat: weg vom Ausstellungsobjekt hin zum (Foto-)Buch. Fotografien, die nur auf die Präsentation in einer Ausstellung hin erschaffen werden, sind heute ein Luxus, der nur wenigen Fotografen vergönnt ist.

Besonders hervorzuheben ist die Videoinstallation an der hinteren Ausstellungswand. Hier werden 12 Fotobücher vorgestellt, während sie von einem Leser durchgeschaut und «begriffen» werden. Ein gelungenes Konzept, auch die haptische Qualität eines Buches zu vermitteln.

Mit Hilfe mehrerer Layoutskizzen und gezeichneter Storyboards verdeutlicht die Ausstellung den aufwendigen und oft langwierigen Prozess von der Layoutphase bis hin zur finalen grafischen Umsetzung.

Gezeichnetes Storyboard zum Buch «J’aime … le music-hall» von Jacques Plancherel

 

Bücher-Highlights

Viele der ausgestellten Bücher sind dem Besucher bekannt. Einige Rosinen verdienen es, hier besonders erwähnt zu werden:

Georg Gerster: «Der Mensch auf seiner Erde» (Atlantis, Zürich, Freiburg i.B. 1975). Ein Buch aus Luftbildern, das bis zum heutigen Tag spektakulär bleibt. Gersters Blick auf die Welt von oben, seine besondere Wahl der Bildausschnitte, das Herauslösen der Fotografien aus ihrem Kontext, sein Blick für Formen und Strukturen, all das verbindet sich zu einem besonderen Buchwerk der Reise- und Kunstfotografie.

Gérard Minkoff, Muriel Olesen: «Dégel Parfum» (Association «Arret sur Images», Lectoure, Gers, 1990). In diesem Buch offenbart sich die besondere Arbeitsweise eines Fotografen- und Künstlerpaares, das sich dem Experiment gewidmet hat, gemeinsam zu reisen, parallel zu fotografieren und dabei doch künstlerisch unabhängig zu schaffen. Minkoff-Olesen präsentieren in «Degél Parfum» ein innovatives Layout, in dem die Fotografien der beiden Künstler paarweise gegenüber gestellt werden. Die Präsentation dieser Bildpaare macht die Besonderheit aber auch die Verschiedenheit in der Wahrnehmung der Künstler sichtbar.

Lukas Felzmann: «swarm» (Lars Müller Publishers, Baden, 2011). Dieses Buch ist ein Höhepunkt in der Ausstellung. Das Buch zeigt die Schwarmbewegungen von Zugvögeln, die Felzmann über Jahrzehnte in Kalifornien aufgenommen hat. Den rhythmisch arbeitenden, klassischen Schwarzweiss-Fotografien stehen knallige Farbstreifen kontrastierend gegenüber. In der Vitrine sieht der Besucher sowohl die veröffentlichte Buchversion als auch verschiedene Maquetten, die Felzmann während der Entwurfsperiode des Buches gestaltete.

Marianne Müller: «Migros Annual Report 1998» (Migros-Genossenschafts-Bund, Zürich, 1999). Eher verstörend wirkt dagegen der Geschäftsbericht, den die Fotografin Marianne Müller für die Migros Genossenschaft produzierte. Müller bricht mit den guten Sitten der Porträtfotografie. Ihre fotografische Annäherung an die Migros-Mitarbeiter wirkt distanz- fast gnadenlos, ja aggressiv. Vor allem der orange Hintergrundton der Fotos unterstützt die aggressive Darstellung, die für einen Geschäftsbericht ungewöhnlich aber zugleich kreativ ist.

Die Ausstellung vermittelt einen vielschichtigen Blick auf die Fotobuchszene der Schweiz. Als zur Schweiz gehörig gelten in der Auswahl der Fotobücher Fotografen mit Schweizer Nationalität und solche mit engem Bezug zum Land Schweiz.

 

Das Buch zur Ausstellung: «Schweizer Fotobücher 1927 bis heute»

Parallel zur Ausstellung ist das Buch «Schweizer Fotobücher 1927» bis heute (Fotostiftung Schweiz, Lars Müller Publishers, Baden, 2011) erschienen. Es konzentriert sich auf die wichtigsten 70 Fotobücher der Schweiz. Die Selektion und Reduktion dieser Bücher erfolgte aus einer Gesamtheit von rund 350 Büchern. Dabei wurden zahlreiche Experten und Kenner der Fotografie- und Bücherszene gebeten, die anfangs 350 Bücher auf eine «Longlist» zu reduzieren, welche dann vom Forschungsteam der Fotostiftung Schweiz auf die endgültige Liste der vorliegenden 70 Fotobücher eingegrenzt wurde.

Das Fotobuch «Schweizer Fotobücher 1927 bis heute» folgt einem chronologischen Raster. Die 70 ausgewählten Fotobücher weisen pointiert auf die Vielfalt des fotografischen Schaffens in der Schweiz hin. 22 Autoren eröffnen in ihren Essays mehrere Sichtweisen auf die Schweizer Fotobuchgeschichte. Das Verhältnis der besprochenen Bücher, die in der Deutschschweiz produziert wurden zu denen in der Romandie oder italienischen Schweiz produzierten, entspricht den realen Verhältnisse. Die meist Zürich zentrierte Sichtweise auf die Schweizer Fotobuchgeschichte wurde vermieden.

Das Buch «Schweizer Fotobücher 1927 bis heute» zieht den Leser in die Welt der Fotobücher hinein, fesselt durch die vielen Abbildungen der Bücher und macht Lust auf tiefer gehende Überlegungen zum Thema Fotobücher in der Schweiz sowie generellen Überlegungen zum Fotobuch als Medium. Ein Medium, das an Bedeutung gewinnt und gleichzeitig an produktionstechnischer Qualität und Vielfalt verliert .

Meike Hanne Seele

 

Das Buch «Schweizer Fotobücher 1927 bis heute» kann hier für CHF 98.–‘ bestellt oder direkt im Museuseumsshop der Fotostiftung Winterthur erworben werden. Es gibt zwei Ausgaben, eine mit deutschem Text (ISBN 978-3-03778-260-6) und eine deutsch Ausgabe mit englischem und französischem Anhang (ISBN 978-3-03778-274-3).

Weitere Informationen zur Ausstellung «Schweizer Fotobücher 1927 bis heute» finden Sie hier.

Schweizerische Stiftung für die Photographie
Zentrum für Fotografie
Grüzenstrasse 44+45
8400 Winterthur
Tel. 052 238 10 90

 

 

 

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