Urs Tillmanns, 18. Dezember 2011, 07:00 Uhr

«Er ist ein tückischer Kerl – der Rheinfall»

Der Kanton Schaffhausen führt einen Fotowettbewerb durch und sucht die schönsten Winteraufnahmen vom Rheinfall. Nicht ganz ohne Tücken, den grössten Wasserfall Europas andersartig zu fotografieren. Wir haben dazu jenen Profi befragt, der dem Rheinfall am nächsten wohnt: Fotograf Ernst Müller aus Neuhausen.

Fotointern.ch: Ernst Müller, Sie betreiben in dritter Generation das Fotogeschäft in Neuhausen. Was bedeutet Ihnen der Rheinfall?

Ernst Müller: Beruflich oder privat? Privat fasziniert mich dieses Naturschauspiel immer noch, obwohl ich hier am Rheinfall aufgewachsen bin und mein Vater sowie mein Grossvater schon zu allen Zeiten und Unzeiten den Rheinfall fotografiert haben. Beruflich war der Rheinfall für das ortsansässige Fotogeschäft immer von Wichtigkeit. Es war natürlich immer unser Ehrgeiz, den Rheinfall anders und besser zu fotografieren als die Touristen. Wie meine Vorfahren produzieren wir auch heute noch eigene Postkarten. Früher kauften die Touristen zudem zahlreiche Filme und entwickelten die Bilder. Dann und wann kaufte jemand eine Kamera, um den Rheinfall besser fotografieren zu können.

Und heute?

Tja, heute … Filme braucht keiner mehr, Postkarten werden immer weniger versandt, und von den Abertausenden MMS, die vom Rheinfall verschickt werden, haben wir auch nichts.

Was heisst das für den Berufsfotografen Ernst Müller?

Nun, wir sahen die Entwicklung ja kommen, und für uns wurde auch das Fotogeschäft mit der Konkurrenz im deutschen Nachbardorf und den vielen Fachmärkten immer schwieriger. Deshalb habe ich mich vor zwei Jahren zusammen mit meiner Frau entschieden, dass wir den Handel aufgeben und uns gänzlich der Fotografie und dem Einrahmungsservice widmen. Fotografieren ist meine Stärke, und es hat sich schon bald gezeigt, dass die Entscheidung richtig war.

Und doch scheint Sie der Rheinfall irgendwie zu bewegen, denn auf Ihrer Webseite nimmt er doch mit sehr aussergewöhnlichen Aufnahmen eine dominante Stellung ein.

Das ist ja eigentlich naheliegend – im doppelten Sinn. Es ist schon ein besonderer landschaftlicher Anreiz, dieser 23 Meter hohe und 150 Meter breite Wasserfall, wo pro Sekunde etwa 400 Kubikmeter Wasser über die Klippe donnern. Das Besondere daran sind die Lichtstimmungen, vor allem morgens, wenn sich der Fall und sein Hinterwasser im Gegenlicht präsentiert oder abends, wenn der flache Sonnenstand den Fall allmählich in ein fahles Abendrot tüncht. Wenn es dann noch etwas neblig ist oder wenn die Gischt mit der Sonne zu spielen beginnt, gibt das faszinierende und einzigartige Bilder. Der Rheinfall ist eigentlich jeden Tag und jede Stunde wieder anders …

Wann ist die beste Zeit, um den Rheinfall zu fotografieren?

Das kann man so nicht sagen, denn die Stimmungen können immer wieder überraschen. Aber ich kann Ihnen sagen, wann die schlechteste Zeit ist: über Mittag. Von 10 bis 15 Uhr fällt das Licht sehr steil auf den Wasserfall ein. Zudem hat es im Sommer dann zu viele Touristen. Aber gerade jetzt im Herbst und Winter, ist die ideale Zeit zum Fotografieren.

Der Rheinfall hat ja, im Gegensatz zu vielen anderen Wasserfällen, den Vorteil, dass man sehr nahe ran kann …

Das stimmt, und zwar sowohl auf der Zürcher als auch auf der Schaffhauser Seite. Von der Zürcher Seite her ist er diesbezüglich sogar noch etwas imposanter. Am wenigsten eindrucksvoll ist er eigentlich, wenn man direkt davorsteht. Er wirkt dann einfach sehr breit und zeigt sich eben so, wie man ihn auf jeder Postkarte sieht. Es gibt jedoch Standorte, die wesentlich interessanter sind …

Zum Beispiel?

Zum Beispiel von seiner Hinterseite, mit den beiden Felsen in der Mitte im abendlichen Gegenlicht. Hier gibt es auch die schönsten Wasserspiele, die mit einer langen Belichtungszeit prachtvolle Fliesseffekte ergeben. Selbstverständlich mit langem Tele und Stativ. Oder Ansichten von einem erhöhten Standpunkt. Es gibt in der Umgebung des Rheinfalls einige Aussichtspunkte, die regelmässig abgeholzt werden, damit man einen ungehinderten Blick auf das Naturwunder hat.

Man kann ja auch mit dem Schiff übersetzen und einen der Felsen besteigen. Lohnt sich das?

Es lohnt sich, um Wasseraufnahmen zu machen und den Wasserfall aus nächster Nähe zu erleben. Leuten, die den Fall nicht kennen, rate ich, zunächst einmal die nähere und unmittelbare Umgebung des Rheinfalls zu erkunden, und sich einige Standorte und Perspektiven zu merken.

Ihr Vater und Ihr Grossvater haben ja sicher schon Tausende Bilder vom Rheinfall gemacht. Sind die damaligen Bilder anders als das, was man heute fotografieren kann.

Wir haben ein ganzes Archiv, zum Teil noch mit grossen Glasplatten. Was sich natürlich immer verändert hat, ist die Umgebung des Falls. Früher waren hier wichtige aber auch unschöne Industriebauten errichtet worden, zum Beispiel eine Aluminiumfabrik direkt am Rande des Rheinfallbeckens. Da ging es darum, den Rheinfall so zu fotografieren, dass diese Bauten möglichst verborgen blieben.

Oder, mein Vater hat mir erzählt, dass er immer bemüht war, die drei vom Schlösschen Wörth aus sichtbaren Schweizerfahnen so zu fotografieren, dass man darauf das Schweizerkreuz möglichst gut sah. Und im Hintergrund sollte gerade noch die Bahn über die Eisenbahnbrücke fahren. Das war eine Herausforderung, die einer Gleichung mit vier Unbekannten nahekommt … Heute, im digitalen Zeitalter, wären das ein paar Mausklicks.

Der Fotowettbewerb hat das Thema „Der Rheinfall im Winter“. Glauben Sie es kommt interessantes Bildmaterial zusammen?

Ich bin ebenso gespannt wie optimistisch. Sicher ist, dass der Rheinfall mit Schnee, Raureifen und Eis als Motiv reizvoller und dankbarer ist als im Hochsommer, wenn alles grün ist. Aber es ist ein tückischer Kerl, der Rheinfall, denn je nach Temperatur kann er sich tagelang mit Nebel verhüllen. Es gehört also etwas Glück dazu – aber das muss uns Fotografen ja so oft begleiten …

Urs Tillmanns

Sämtliche Aufnahmen: Foto Ernst Müller, Neuhausen

Der Fotowettbewerb
Detailinformationen und Teilnahmebedingungen finden Sie auf dieser Webseite. Hier können Sie auch Ihre Bilder hochladen um am Wettbewerb teilzunehmen. Es lohnt sich, denn es gibt immerhin eine IWC-Uhr, eine Übernachtung für zwei Personen und einen Weinseminar zu gewinnen.

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