Urs Tillmanns, 20. Mai 2012, 07:00 Uhr

Daisy Gilardini und ihre Liebe zum Eis

Ein Höhepunkt der diesjährigen Photo Münsingen war die Ausstellung von Daisy Gilardini. Die aus Lugano stammende Fotografin lebt heute in Kanada und ist durch aussergewöhnliche Tierbilder, vor allem aus den Polarregionen, weltberühmt geworden. Fotointern.ch wollte wissen, wie sie zu diesen Bildern kommt.

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Daisy Gilardini vor ihrer Ausstellung in der Schlossallee der Photo Münsingen

Fotointern.ch: Sie haben viele Länder bereist und dabei eine besondere Liebe für die Polargebiete entdeckt. Was ist an dieser kalten und unwirschen Landschaft so faszinierend?

Daisy Gilardini: Es ist wie ein anderer Planet. Totale Isolation von allem – kein Fernsehen und kein Handy. Es ist eine wunderbare, fast unberührte Landschaft, in der alles friedlich und  harmonisch wirkt.

Sie kennen den Südpol und den Nordpol. Welcher der beiden ist fotografisch interessanter?

Die Antarktis. Vor allem, weil die Tiere hier sehr viel zutraulicher sind. Man kann sich ihnen sehr viel besser nähern, weil sie kaum Angst vor den Menschen haben – sie wurden nie gejagt. Auch gibt es hier kaum negative Einflüsse, es scheint wirklich eine heile Welt zu sein.

Wie schützen Sie sich vor der Kälte bei ihren Expeditionen?

In der Südpolarregion ist es von November bis März nicht besonders kalt, minus 10°C bis plus 10°C – wie hier im Winter, wobei es dort dann Sommer ist. Am Nordpol hingegen liegen die Temperaturen bei minus 45°C und tiefer. Da braucht es spezielle Kleidung mit vier bis fünf Schichten. Wichtig ist, dass man sich so kleidet, dass man wohl warm hat, aber nicht ins Schwitzen kommt, weil der Schweiss gefrieren könnte und man dann Probleme bekommt. Auch das Gesicht ist bis auf die Augen bedeckt, weil sonst die Feuchtigkeit in den Poren gefriert, und auf die Brille muss ich verzichten, weil das Gestell an der Haut anfrieren würde. Richtig ausgerüstet hält man es bei diesen Temperaturen bis etwa fünf Stunden lang gut aus.

Und die Fotoausrüstung?

Mit meinen Nikon Kameras und Objektiven habe ich bisher eigentlich nie Probleme gehabt. Wichtig ist, dass man die Batterien und Akkus am Körper warm hält und diese nur unmittelbar vor den Fotografieren in die Kamera einsetzt. Bei längeren Wartezeiten geht man wenn möglich ins Fahrzeug zurück, da ist es dann nur minus 10°C. Die Kameras lässt man am besten draussen, weil sie sonst beschlagen könnten. Es kann auch vokommen, dass die Flüssigkristalle des Displays einfrieren. Das ist nicht weiter schlimm, nur gleicht dann die Bedienung der Kamera einem Blindflug, und man muss die Kamera sehr gut kennen, um noch weiterarbeiten zu können.

 

Und welche Vorsichtsmassnahmen treffen Sie für sich persönlich?

Nun, man ist ja nicht alleine unterwegs sondern mindestens mit einem Führer oder in einer Gruppe. Und heute mit GPS und Satellitennavigation und Satellitentelefon könnte man im Notfall leicht eine Hilfsbasis erreichen. Das ist heute nicht mehr so wie zu Zeiten der Pioniere …

Ihre Tieraufnahmen haben weltweit Aufsehen erregt. Wie nähern Sie sich den Tieren, und wie kommt man zu solchen Bildern?

Mit Geduld, Geduld – und Frustration. Es kommt auf die Gegend drauf an und wie sich die Tiere an Menschen gewöhnt haben. Grizzlybären sind wesentlich weniger gefährlich als man ihnen nachsagt, vor allem in Regionen, in denen sie genug Futter finden. Dort sind sie sogar eher ängstlich und fliehen, es sei denn, man überrascht sie. Mit entsprechender Vorsicht kann  man sich ihnen gut bis auf etwa 30 Meter oder weniger nähern. Andernorts, wo das Futter knapp is, können sie sehr gefährlich werden. Anders die Eisbären, bei denen die Fluchtdistanz etwa hundert Meter beträgt. Da braucht es sehr lange Teleobjektive. Das Bild von der Bärenmutter mit ihren zwei Jungen ist mit einem 600er-Tele und 1,7fach-Konverter entstanden, doch haben wir auf diese Situation fünf Stunden gewartet, und nach wenigen Minuten war die Gelegenheit vorbei …

Gehört das 600er zu Ihrer Grundausrüstung?

Nein, das miete ich zu, wenn sich ein Bedarf ergibt. Normalerweise habe ich zwei Gehäuse dabei und Objektive von 10,5 mm Fisheye bis 400mm Tele. Das gibt einen kompakten Rucksack voll, der 16 Kilo wiegt.

Sind Sie noch nie in eine gefährliche Situation gekommen?

Doch, einmal. Ich wurde von einem jungen Eisbären angegriffen, doch konnte ich fliehen, nachdem unserer Führer zwei Warnschüsse abgegeben und das Tier damit verscheucht hatte. Das war knapp … Allerdings musste ich die Ausrüstung zurücklassen und konnte sie erst später wieder holen. Jungtiere sind in der Regel gefährlicher als alte, weil sie neugierig und übermütig sein können. Allerdings liegt bei Unfällen die Schuld immer bei den Menschen, weil sie sich falsch verhalten oder eine Situation falsch einschätzen.

 

Sie kennen die Polargebiete gut. Wie gravierend sind die Klimaschäden wirklich?

Sehr gravierend. In den letzten dreissig Jahren ist die Nordpolarkappe um die Hälfte geschmolzen, und zwar nicht nur in ihrer Ausdehnung, wie man auf Grund von Satellitenaufnahmen feststellte, sondern auch in ihrer Dicke. Das ist weitaus dramatischer als man bisher annahm, und welche Auswirkungen dies langfristig haben wird, lässt sich nicht erahnen. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe als Fotografen, die Welt auf die Tragweite dieser Situation aufmerksam zu machen, und ich nutze meine Tieraufnahmen sehr oft dazu, die junge Generation dazu aufzurufen, zur Natur Sorge zu tragen.

Welches sind Ihre nächsten Projekte?

Weiterhin sind die Bären meine Lieblingsmotive. In nächster Zeit werde ich mich vermehrt mit den Kermodebären befassen, die ganz in meiner Nähe, in Britisch-Kolumbien, vorkommen. Es ist eine Unterart der amerikanischen Schwarzbären, und von diesen weiss- bis cremefarbenen Tieren gibt es nur noch etwa 200 Exemplare. Sie sind Teil eines Buchprojektes, das alle Bärenarten der Welt enthalten soll. Wann es soweit sein wird – ich weiss es nicht …

Welches ist Ihr Lieblingsbild?

Ich habe viele Lieblingskinder. Eines ist das Bild des Herzens in einem Eisberg bei Peter First Island in der Antarktis. Das Bild ist echt, das ist nicht Photoshop, und es ist das einzige Bild in dieser Ausstellung, das noch analog entstand – 1997.

Wie kam es dazu?

Wir sind mit dem Schlauchboot um diese Eisberggruppe herum gefahren, als ich plötzlich dieses Herz vor mir sah! Nur von einem ganz bestimmten Winkel aus war es zu erkennen – ein paar Meter weiter verschwand es wieder. Das Bild ist wirklich ein einzigartiger Glücksfall.

Existiert die Eisformation noch?

Nein, schon lange nicht mehr. Aber ich gehe oft wieder dort hin, weil ich einen Teil meines Herzens dort verloren habe … Fotos haben eben auch einen sehr grossen emotionalen Wert …

Daisy Gilardini, wir danken Ihnen herzlich für diese Bilder und wünschen Ihnen weiterhin viele solche Glücksfälle.

Das Interview führte Urs Tillmanns

Beachten Sie die Webseite www.daisygilardini.com.

 

 

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