Die Kosten für die Erhaltung und Archivierung fotografischer Nachlässe sind enorm. Es geht nicht nur um die Sichtung und Klassifizierung des Materials, sondern oft auch um teure Restaurierungen und das digitale Aufarbeiten des Materials. Wo lohnt sich dieser Aufwand, wer übernimmt diese Aufgaben und wer trägt die Kosten?
Im Rahmen der Ausstellung «Jean Moeglé – Berner Fotopionier» fand gestern, Dienstag, 26. Juni 2012, im Stadtsaal des Kornhausforum in Bern ein Podiumsgespräch zum Thema «Wie wertvoll ist Fotografie» statt. In der Gesprächsrunde mit erfahrenen Archiv-Fachleuten ging es um die Problematik der Erhaltung und Archivierung von fotografischen Nachlässen.
Die Podiumsteilnehmer (v.l.n.r.):
▪ Barbara Studer-Immenhauser, Staatsarchivarin des Kantons Bern
▪ Philipp Stämpfli, Burgerbibliothek Bern
▪ Bernhard Giger, Moderation, Leiter des Kornhausforums Bern
▪ Susanne Bieri, Leiterin Graphische Sammlung Schweizerische Nationalbibliothek, Präsidentin Kompetenznetzwerk Fotografie Memoriav www.memoriav.ch
▪ Markus Schürpf, Leiter Fotobüro Bern
In seiner Einleitung wies Bernhard Giger, Leiter des Kornhausforums Bern, darauf hin, dass die Fotografie die wohl grösste Umwälzung ihrer Geschichte mit dem Wechsel von analogen zu digitalen Verfahren hinter sich habe. Das vereinfache die Problematik der Archivierung in keinster Weise, denn es kämen immer mehr fotografische Nachlässe zutage, bei denen sich die Frage stelle, wie und wo man sie erhalten soll – und wer diesen Aufwand finanziell trage.
Diese Nachlässe, die an die Archive und Institutionen herangetragen werden, wären in sehr unterschiedlichen Zuständen, erklärte Barbara Studer-Immenhauser vom Staatsarchiv des Kantons Bern, was in vielen Fällen mit einem enormen Aufwand verbunden sei, um das Material zu sichten, zu selektieren, zu reinigen, zu restaurieren, zu digitalisieren und schliesslich fachgerecht zu archivieren. Ist das Material so aufgearbeitet, werden nur noch die wichtigsten und seltensten Originale aufgehoben, zweitklassiges Material werde danach entsorgt, weil die Menge sonst ganz einfach nicht mehr zu bewältigen wäre. Zudem bestehe bei Nitratfilmen die Gefahr der Selbstentzündung, so dass sich hier auch aus Sicherheitsgründen eine Entsorgung der Originale aufdränge.
Neben den bisher üblichen Beständen, die von Gebrauchsarchiven durchschnittlicher Fotografen über Kunstfotografien bis hin zu echten Raritäten wie beispielsweise Daguerreotypien reiche, würden in jüngster Zeit die Pressearchive grössere Probleme bereiten, nicht nur weil es sich dabei um kaum überschaubare Massen von Fotografien handle, die in vergleichbarer Ähnlichkeit in allen Archiven zu finden wären, sondern weil es sich dabei bis auf einen kleinen Prozentsatz um sehr durchschnittliches Aktualitätsmaterial handle, dessen Erhaltungswert mehr als fragwürdig sei.
Zur Masse der Bilder in Pressearchiven käme noch ein sehr hoher Anteil von Agenturbildern hinzu, ergänzte Barbara Studer, die nicht nur in den verschiedensten Pressearchiven in mehrfacher Ausführung existierten, sondern zusätzlich noch im Bestand der jeweiligen Agentur zu finden wären. Für viele dieser Bilder würden auch die Nutzungsrechte fehlen, was schon grundsätzlich gegen eine Archivierung spreche.
Abgesehen von den nationalen Institutionen und den kantonalen Archiven, kommt in Bern dem «Fotobüro» unter der Leitung von Markus Schürpf eine wichtige Bedeutung zu, welches Eigentümer von Fotonachlässen fachlich berät und in Zusammenarbeit mit den Archiven nach optimalen Lösungen sucht. Ein aktuelles Projekt, so Schürpf, sei die Aufarbeitung des Bilderbestands des Berner Werbefotografen Beat Jost, wo das Volumen in Zusammenarbeit mit dem Fotografen um 60 Prozent hätte reduziert werden können. Das sei ein Glücksfall, denn oft würden an das Fotobüro private Bildbestände herangetragen, die Familienbilder und frühe Reisereportagen enthalten, welche kaum von öffentlichem Interesse wären.
Die Bewertung von Fotografien und Nachlässen, gestalte sich auch insofern schwierig, als ganz einfach zuviel Material anfalle, das zweitklassig und kaum erhaltenswert sei. Das werde in Zukunft mit der Digitalfotografie noch viel extremer, meinte Philipp Stämpfli von der Burgerbibliothek Bern. Man könne herbei auch keine generellen Richtlinien dafür anwenden, was erhaltenswert sei und was nicht, sondern es müsse jedes Bild einzeln beurteilt und nach seinem Erhaltungswert klassifiziert werden.
Die Digitalisierung der Bestände sei nicht die Lösung des Problems, weil die Migration der Datenbestände sehr aufwändig und kostenintensiv sei und der Zugriff deutlich langsamer als bei analogem Material, erklärte Markus Schürpf. Anderseits habe die Digitalisierung den grossen Vorteil, dass man die Bilder ins Internet stellen könne, fügte Barbara Studer hinzu, wodurch die Bekanntheit und das Interesse am Archivmaterial wachsen würde und im besten Fall noch eine Zusatznutzung möglich würde.
Dass es auch in über hundert Jahren noch digitale Bilddaten geben wird, glaubten die meisten Experten der Diskussionsrunde. Es wären in letzter Zeit bezüglich der digitalen Archivierung erhebliche Fortschritte erzielt worden, und eine TIFF-Datei werde wahrscheinlich auch noch mit späteren Geräten und Programmen gelesen werden können. Die Burgerbibliothek sei übrigens dazu übergegangen, neben dem Digitalisat auch noch eine Reproduktion auf speziell archivfestem Mikrofilm vorzunehmen, erklärte Philipp Stämpfli, der nicht nur drei- bis vierhundert Jahre halten sollte, sondern der auch dann noch mit einfachen optischen Hilfsmitteln gelesen werden könne.
Auf die Frage, welche Erwartungen die Öffentlichkeit in die Erhaltung des fotografischen Erbes setze, erklärte Susanne Bieri, dass die Memoriav pro Jahr etwa ein Dutzend Unterstützungsanträge erhalte, und dass dafür ein Budget von rund 500‘000 Franken zur Verfügung stehen würde. Gemessen an den immensen Kosten für die Sichtung, Restaurierung, Digitalisierung und Archivierung ergäbe dies für das einzelne Projekt viel zu geringe Mittel. Kommt hinzu, dass die Mittel sicher nicht mehr würden, und dass die Memoriav durch die Ablehnung des Kulturartikels durch das Volk sehr viele Unterstützungsgelder verloren habe. Die Erhaltung der Bildbestände würde heute vor allem an staatliche und kantonale Stellen herangetragen, doch sollte auch jede Gemeinde ein Interesse dafür zeigen, ihre historisch wichtigen Bilder zu archivieren und die nötigen Gelder zu deren Erhaltung beizusteuern.
An wen sollen sich Besitzer historisch interessanter Bildbestände richten? Grundsätzlich spiele es – zumindest auf dem Platz Bern – keine Rolle, an welche Stelle man sich wende, meinte Markus Schürpf vom Fotobüro. Die Archive würden untereinander eine sehr gute Kooperation pflegen und würden die Anfragen an ein anders Archiv vermitteln, falls das Material nicht zu Sammlungspolitik der kontaktierten Stelle passen würde. Wichtig sei hierbei der erste Schritt, denn «es darf in der Schweiz kein weiterer Fotonachlass mehr verloren gehen.»
Urs Tillmanns
Zumindest Dachbodenfunde dürfte es bei den digitalen Fotonachlässen in Zukunft nicht geben. Das machen die derzeit üblichen Speicher nicht mehr mit.