«Schneider Kreuznach» ist in der Optikwelt ein fester Begriff. Dieses Jahr kann das deutsche Unternehmen auf eine einhundertjährige Geschichte zurückblicken – und auf 15 Millionen Objektive, die in der Fotografie, bei Film- und TV-Produktionen und in Industrie und Wissenschaft zum Einsatz kommen.
Das Unternehmen wurde 1913 von Joseph Schneider (1855-1933) gegründet. Sein Vater Johann hatte das Küferhandwerk erlernt und betrieb gemeinsam mit seiner Frau in der Mannheimer Strasse eine Gastwirtschaft und Brauerei. Joseph besuchte die Mittelschule in der Klappergasse und begann eine kaufmännische Lehre im «Manufakturwarenhaus» Schlossstein. Von einem Seidenwarenhaus in Frankfurt am Main ging er in das reiche und blühende Odessa, wo er im Getreidehandel tätig war. Am 27. September 1866 heiratete er die Weinhändlertochter Josefine Oster. 1877 übersiedelten beide nach Springfield, Ohio (USA), wo er die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm.
1890 kehrte die Familie mit dem in Springfield geborenen Sohn Josef August Schneider (1888-1950) nach Bad Kreuznach zurück und begann einen Weingrosshandel. 1895 beantragte Joseph Schneider wieder die deutsche Staatsbürgerschaft. Jetzt wohnte die Familie in dem später «Villa Schneider» genannten grosszügigen Haus in der Stromberger Strasse, wo später auch das erste Gebäude der «Optischen Anstalt» stand.
Die Gründer Joseph Schneider und sein Sohn Josef August Schneider im Kreis der Familie (ca. 1910). Foto: Schneider-Kreuznach
Josef August Schneider besuchte nach der Volksschule und dem Gymnasium in Bad Kreuznach ein Vorgängerinstitut der späteren Universität zu Frankfurt am Main – vermutlich den «Physikalischen Verein» und die «Elektrotechnische Gesellschaft» – und studierte Physik und Optik.
Bereits 1910 meldete er sein erstes Patent an. 1913 gründete er gemeinsam mit seinem Vater das Unternehmen, das zunächst unter dem Namen «Optische Anstalt Jos. Schneider & Co.» firmierte. Josef August Schneider führte das Unternehmen durch das Zwangsregime des «Dritten Reiches» und steuerte gemeinsam mit seinem Sohn Hans-Joseph Schneider den Wiederaufbau nach 1945.
Nach dem Tod seines Vaters führte Hans-Joseph Schneider (1926-1989) das Unternehmen gemeinsam mit seiner Mutter Margarete (Gretel) Schneider (1895-1996). 1981 wurde das Unternehmen von ihnen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. 1982 ging es dann nach einem Konkurs an den bisherigen Anteilseigner und Aufsichtsratsvorsitzenden Heinrich Manderman (1922-2002) über.
Die Villa Schneider mit dem ersten optischen Werk (ca. 1913). Bestand: Schneider-Kreuznach
Schneider-Kreuznach von 1913 bis 2013
1912 / 1913 gründeten Joseph Schneider und seinen Sohn Josef August Schneider die «Optischen Anstalt Jos. Schneider & Co.». Anregung dazu gab ein Patent von Josef August Schneider, das er 1910 anmeldete: «Einrichtung an einem Cinematografen mit stetig bewegtem Bild zum optischen Ausgleich der Bildwanderung mittels zweier gleichläufig und synchron bewegter polygonaler Trommeln».
Das Unternehmen mit Sitz in der Stromberger Strasse spezialisierte sich auf die Produktion von Objektiven, bis hin zu Kinoprojektionsobjektiven. Bis 1914 waren 43 Angestellte und Arbeiter beschäftigt. 1918 beschäftigte man an die 400 Menschen. In dieser Zeit wurde auch der Umzug in die neuen Hallen in der Hofgartenstrasse erforderlich.
Die 1920er-Jahre Die Wirtschaftskrise brachte stark schwankende Umsatzzahlen. Das 100’000ste Objektiv wurde 1925 – rechtzeitig zum 70. Geburtstag von Joseph Schneider – gefertigt. Dann ging es langsam aufwärts, bis 1928 verliessen weitere 100’000 Objektive das Werk und schon 1932 konnte das 500’000ste Objektiv gefeiert werden. Eine besondere Rolle spielte hier das Objektiv «Xenar».
Das Konstruktionsbüpro von Schneider Kreuznach um 1938. Foto: Schneider Kreuznach
Die 1930er-Jahre Nach dem Tod von Joseph Schneider 1933 übernahm sein Sohn Josef August Schneider die Firma. Die Gleichschaltung aller Unternehmen begann unmittelbar nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933. Schon zuvor hatte die NSDAP ideologisch gegen «Grosskonzerne» und «Kapitalisten» mobil gemacht. Der als typisch propagierte «deutsche Unternehmer» – ein altväterliches Ideal des weisen Lenkers – wurde zum «Betriebsführer». 1934 wurde das «Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit» erlassen. Für die «Optischen Werke» musste ein neues Arbeitsgesetz erlassen werden, das die NS-Zwangsmassnahmen zu berücksichtigen hatte. 1938 erfolgte die Einweihung des neuen Gebäudes an der Ringstrasse, das Werk beschäftigte etwa 450 Mitarbeiter.
Hans Joseph Schneider (links) und Josef August Schneider (ca. 1948). Foto: Schneider-Kreuznach
Das 1’000’000ste Objektiv
Die 1940er-Jahre Im Krieg war das Unternehmen zu Fertigungen für die Firma Zeiss gezwungen. Erneut, wie schon während des Ersten Weltkrieges, wurde es «kriegswichtig». Unter die allgemeinen politischen Zwänge fielen auch die Beschäftigung von Zwangsarbeitern und Zulieferungen für die «Wehrmacht». Unter diesen Bedingungen wahrte der damalige Chef Josef August Schneider bürgerliche Tugenden und liess sich von den neuen Machthabern nicht völlig vereinnahmen. Dem Kriegsende folgten Monate der Unsicherheit unter dem Damoklesschwert der Demontage wichtiger Anlagen und Einrichtungen.
Erster Einsatz von Computern (Zuse Z 22) zur Berechnung der Objektive (1956). Foto: Schneider-Kreuznach
Die 1950er-Jahre Die Wirtschaft in Westdeutschland hatte rasch wieder Fuss gefasst, es folgten Jahre des Aufschwungs mit erheblichen realen Wachstumsraten. Das 5’000’0000ste Objektiv wurde für einen aufstrebenden Massenmarkt der privaten Fotografie gefertigt. Schneider-Kreuznach war 1956 eines der ersten Unternehmen, in denen Computer zum Einsatz kamen.
Die 1960er-Jahre Die Objektive von Schneider-Kreuznach, vor allem im Zoom- und Grossformatbereich, verkauften sich sehr gut. Bei der Super-8-Technik war das «Variogon» – eines der erfolgreichsten Objektive in den 1960er-Jahren überhaupt – Stand der Technik. Im gesamten Zeitraum von 1948 bis 1967 wurden acht Millionen Objektive von Schneider-Kreuznach gefertigt. Das 10’000’000ste Objektiv war ein TV-Objektiv aus der «Variogon»-Reihe.
Lunar Orbiter fotografiert erstmals die Erde aus der Nähe des Mondes (23. August 1966). Aufgenommen mit einem Xenotar 2,8/80 mm. Foto: NASA
Das Jahrzehnt der Raumfahrt stand auch im Zeichen der Technik von Schneider-Kreuznach. Für ihre bemannten Raumfahrtmissionen kaufte die NASA ab 1962 einen Grossteil ihrer Objektive bei Schneider-Kreuznach. Die ersten Bilder von der Erde entstanden mit Schneider-Objektiven mit 45 und 75 Millimeter Brennweite, auch die Lunar-Orbiter-Sonden hatten jeweils ein Schneider-Objektiv «Xenotar» an Bord.
Die Linsenlackiererei bei Schneider Kreuznach um 1960. Foto: Schneider Kreuznach
Die 1970er-Jahre Ein weiteres Standbein wurden die weit verbreiteten Super 8-Kameras, die es erstmals für den Privatbereich ermöglichten, bewegte Bilder festzuhalten. Ende der 1970er-Jahre verfügten rund 77% aller deutschen Haushalte über einen Fotoapparat; Foto und Film (Super-8) waren zu einem Massenphänomen geworden. Aufnahmeobjektive für TV-Kameras hielten die Olympischen Spiele 1976 in Innsbruck fest. Schneider machte seinen «TV-Service» mobil. Auf zahlreichen Messen präsentierte Schneider seine leistungsfähigen Kameraobjektive. Seit 1975 ist die digitale Berechnung von Objektiven ein wesentliches Werkzeug bei der Entwicklung. Auch im Bereich Messtechnik ist Schneider-Kreuznach innovativ. Messanlagen werden selbst hergestellt, da es Geräte mit einer vergleichbar hohen Messgenauigkeit am Markt nicht gibt.
Das 10’000’000ste Objektiv im Jahre 1967 war ein Color TV-Varigon 2.1/ 18-200. Foto: Schneider Kreuznach
Die 1980er-Jahre Bald war es jedoch damit vorbei – die Konkurrenz aus Fernost wurde immer stärker und viele deutsche Kamerahersteller verschwanden vom Markt. Der Foto- und Optikhändler Heinrich Manderman kaufte einen Teil des Unternehmens Jos. Schneider Optische Werke, 1982 ging es nach einem Konkurs ganz in dessen Besitz über. Manderman richtete das Unternehmen neu aus und er brachte Grossaufträge mit. Der unternehmerische Neuanfang gelang vor allem durch Objektive für Grossformate.
Das 14’000’000ste Objektiv
Die 1990er-Jahre Die technische Entwicklung der Fotooptik richtete sich vor allem an der Korrektur der Abbildungsfehler, die durch die Linsen entstehen, aus. Verzerrungen in Formen und Farben, so kann man verkürzt sagen, begegnete die Objektiventwicklung durch eine immer ausgefeiltere Kombination der verschiedensten Typen von Linsen.
Das Schneider Super-Symmar 1:5,6/150 mm aus dem 1990er Jahren war eines der ersten Grossformatobjektive mit asphärischen Linsen. Foto: Schneider Kreuznach
Ein echter Meilenstein waren die neuen asphärischen Linsen aus Bad Kreuznach. Diese sind nicht aus der Kugelform abgeleitet und unregelmässig geformt. Mit ihrer Hilfe lassen sich Präzisions-Objektive wesentlich leichter und kleiner konstruieren – wenn man die komplexe Herstellungstechnik beherrscht, bei der es um allerhöchste Präzision geht.
Jahrtausendwende Nach den Erfolgen in den 1970er-Jahren für das «Cinelux Ultra» holte Schneider-Kreuznach erneut einen sogenannten «Technik-Oskar» für das «Super-Cinelux» und «Cinelux Première». Die gleichmässige und verzerrungsfreie Ausleuchtung einer Leinwand überlässt man besser einem Projektionsobjektiv aus Bad Kreuznach.
Heute ist Schneider Kreuznach einer der Weltmarktführer der optischen Industrie. Das Unternehmen fertigt Hochleistungsobjektive für Foto, Film und Industrie. Die Schneider-Gruppe ist spezialisiert auf die Entwicklung und Produktion von fotografischen Hochleistungsobjektiven, Kino-Projektionsobjektiven sowie Industrieoptiken und Feinmechanik. Zur Gruppe gehören die 1913 in Bad Kreuznach gegründeten Jos. Schneider Optische Werke sowie die Tochtergesellschaften
• Pentacon (Dresden),
• ISK Optics GmbH (Göttingen),
• Schneider-Optics (New York, Los Angeles),
• Schneider Bando (Seoul),
• Schneider Asia Pacific (Hongkong) sowie
• Schneider Optical Technologies (Shenzhen).
Die Hauptmarke ist «Schneider-Kreuznach». Weltweit sind etwa 660 Mitarbeiter beschäftigt, davon 360 am deutschen Stammsitz.
Autoren: Herrn Dr. Oliver Ramonat und Dr. Angela Nestler-Zapp
Jubiläumsausstellung: 100 Jahre SchneiderDie Geschichte des Unternehmens Schneider-Kreuznach von seinen Anfängen bis heute ist Thema einer Sonderausstellung im Schlossparkmuseum in Bad Kreuznach. Sie trägt den Titel «Die Welt im Fokus – 100 Jahre Schneider Optische Werke Bad Kreuznach». Viele Exponate dokumentieren die spannende und facettenreiche Entwicklung des mittelständischen Unternehmens und damit gleichzeitig auch die Zeitgeschichte und historische Aspekte optischer Innovationen. Schneider-Kreuznach hat die deutsche Optikgeschichte massgeblich mitbestimmt und zählt heute zu den Weltmarktführern im Bereich optischer Spitzentechnologie. Von Fotografie über Filmaufnahme und Kinoprojektion bis hin zu industriellen Anwendungen – Objektive aus dem Unternehmen standen in der 100-jährigen Geschichte stets für besonders hohe Präzision und Robustheit. «Der Anspruch des Unternehmens war immer höchste Qualität statt Masse; dem fühlen wir uns nach wie vor verpflichtet», sagt Dr. Josef Staub, Geschäftsführer der Schneider-Gruppe. Die Sonderausstellung ist vom 17. Februar bis 31. August 2013 im Schlossparkmuseum Bad Kreuznach zu sehen. |
Weitere Infos unter www.schneiderkreuznach.com
Die Meilensteine | |
1913 | Gründung des Unternehmens als “Optische Anstalt Jos. Schneider & Co.” in Bad Kreuznach |
1914 | Anmeldung der Warenzeichen SYMMAR, COMPONAR und ISCONAR |
1915 | Herstellung der ersten Kinoprojektionsobjektive |
1919 | Fertigung der ersten vierlinsig, dreigliedrigen unsymmetrischen Anastigmate mit dem Namen XENAR |
1920 | Berechnung der ersten Weitwinkelobjektive für das Großformat, die 1930 zur Entwicklung des ANGULON 1:6,8 führte |
1921 | Änderung der Firmenbezeichnung in «Jos. Schneider & Co., Optische Werke, Kreuznach» |
1925 | Erteilung des ersten Patents für das hochgeöffnete XENON |
1926 | «echte» Tele-Systeme ergänzen das Produktionsprogramm |
1932 | Gravur des 500.000-sten Objektivs ( XENAR 1:2,9/10,5 cm ), bereits vier Jahre später ist das einmillionste Objektiv hergestellt |
1933 | Joseph Schneider, Ehrenbürger der Stadt Bad Kreuznach, verstirbt im Alter von 78 Jahren |
1937 | Grundsteinlegung für eine neue grosse Fabrikanlage in der Ringstraße 132 in Bad Kreuznach (Vollendung 1939) |
1953 | Konstruktion der ersten Wechselobjektive mit Springblende für die Spiegelreflexkamera EXAKTA-Varex, die fünf Jahre später mit einem Belichtungsmesser mit Nachführautomatik angeboten werden |
1957 | Aufnahme der Entwicklung von Objektiven mit veränderbarer Brennweite. Bereits zwei Jahre später wird das VARIOGON 2,8/10-40 (13 Linsen in neun Gruppen) für das 8mm-Filmformat in Serie gefertigt |
1961 | Gründung der Feinwerktechnik GmbH für die Entwicklung und Produktion elektrohydraulischer Servoventile |
1964 | Markteinführung des ersten Zoom-Objektivs mit fester Schnittweite für Kleinbildkameras: VARIOGON 1:4,0/80-240 |
1967 | Als 10-millionstes Objektiv wird ein COLOR TV-VARIOGON 2,1/18-200 gefertigt ( bereits Mehrfach-Schichten entspiegelt ) |
1972 | Gründung der SCA, Schneider Corporation of Amerika (heute Schneider Optics) |
1983 | Erweiterung des Produktionsangebotes mit neuen hochwertigen Kino- und AV-Projektionsobjektiven der CINELUX-Reihe |
1984 | Aufbau von Fertigung und Vertrieb von Brillengläsern aus Silikat und Kunststoff |
1985 | Übernahme und Integration der Geschäftstätigkeit der seit vier Jahrzehnten weltbekannten B+W Filterfabrik, Joh. Weber KG, Wiesbaden |
1989 | Produktion der KÄSEMANN Polarisationselemente in Glas und Kunststoff |
1990 | Einstellung der Entwicklung und Produktion von TV-Objektiven |
1993 | Entwicklung und Produktionsaufnahme einer neuen Generation von Super-Angulonen mit extremem Bildwinkel für Großformatfotografie |
1995 | Rekonstruktion der Fertigungstechnik „Dünne Schichten“ mit Reinraumbedingungen Klasse 10 |
1997 | Gründung der TochtergesellschaftPENTACON GmbH Foto- und Feinwerktechnik, Dresden |
1998 | Änderung der Firmierung in Jos. Schneider Optische Werke GmbH |
1999 | Aufnahme der Fertigung asphärischer Linsen für Großformatobjektive mit modernsten Fertigungs- und Prüfmaschinen |
2000 | Akquisition der Century Precision Optics in den USA und Gründung der Tochtergesellschaft Praktika (UK) LTD., England |
2005 | Verleihung des Technical Achievement Award an vier Mitarbeiter durch die Academy of Motion Picture Arts and Sciences für Kino-Projektionsobjektive der Reihe CINELUX PREMIÈRE |
2007 | Gründung der Tochtergesellschaft Schneider Bando LTD., Süd-Korea |
2008 | Gründung der Tochtergesellschaft Schneider Asia Pacific LTD., Hongkong |
2008 | Gründung der Niederlassung Schneider Optical Technologies (SHENZHEN) Co. Ltd. |
2009 | Die im August 2008 integrierte ISCO Gruppe Göttingen, firmiert um in Schneider Kreuznach Isco Division GmbH & Co. KG |
Kommentar vom Feb. 2021 – Das war die eine (schöne) Seite der Medaillie – der Konkurs 1982 wurde nur seicht gestreift, war aber für Bad Kreuznach eine mittlere Katastophe – weiterhin sind auf den Rückseiten der Hauspostillie „Hausmitteilungen“ als Inhaber R. Voigtländer Nachf., Bad Kreuznach und Gross & Raab OHG sowie Inhaber Frau Raab Bad Kreuznach aufgedruckt. Davon wird nie etwas erzählt. Die Hausmitteilungen kommen in Kürze im Fernsehmuseum.info