Seit zwei Wochen ist das Kameramuseum um eine Attraktion reicher: Das Atelier eines Fotografen um 1900 ist als komplettes Modell im Massstab 1:20 zu bewundern, mit einer uferlosen Vielfalt an Einzelheiten, die es im ganzen Modellhaus zu entdecken gibt. Ideal, um auf kleinem Platz zu erklären, wie damals gearbeitet wurde.
Man kann es sich heute kaum mehr vorstellen, wie vor etwas mehr als einem Jahrhundert die Porträtfotografen noch arbeiteten. Um diese Vorgänge besser veranschaulichen zu können, hat das Kameramuseum Vevey das Modell eines Fotoateliers im Massstab 1:20 anfertigen lassen, in welchem die damals recht mühsamen und für uns kaum mehr vorstellbaren Arbeitsschritte nachvollzogen werden. Die vielen Kleinobjekte in diesem Modell sind eine Augenweide und eine bewundernswerte Arbeit eines professionellen Modellbauers.
Hugo Lienhard heisst der Modellbauer, der rund 1’350 Stunden in dieses grossartige Modell investiert hat. In minutiöser Arbeit sind viele Gegenstände im Kleinformat entstanden, die man im Museum als Originalexponate bewundern kann, und mit dem Modell wird vielen Besuchern auch der praktische Einsatz dieser Gegenstände wieder klar. Schauen Sie zum Beispiel mit welcher Sorgfalt und Originaltreue die Kameras nachgebaut wurden, oder das Vergrösserungsgerät in der Dunkelkammer, oder die Kopierrahmen im Kopierhaus, wo die Negative am Sonnenlicht auskopiert wurden.
Man kann sich mit dem Modell sehr gut vorstellen, wie eine Auftragsabwicklung beim Porträtfotografen damals ablief: Der Kunde wurde von der Empfangsdame zuerst in ein Wartezimmer geführt, wo verschiedene Alben und Musterbilder auflagen. Hier konnte sich der Kunde vom künstlerischen Können des Fotografen überzeugen und sich gleichzeitig überlegen, wie und mit welchen Accessoirs er (oder sie) denn gerne abgelichtet würde.
Dann öffnete sich die Türe und die Chefin trat herein, eine beeindruckende Persönlichkeit, der nicht nur die künstlerische Beratung oblag, wahrscheinlich auch die finanzielle Verantwortung des Unternehmens. Wer wagte es schon, ihr zu widersprechen ?…
Dann ging es in das grosszügige und lichtdurchflutete Atelier mit seinem typischen Glasdach. Mit weissen Gardinen konnte das Licht bei grellem Sonnenschein gedämpft werden. Verschwand die Sonne, wurde die Belichtungszeit unendlich lang, so dass die Personen mit Hilfe von Kopfstützen stillhalten mussten.
Bei heftigem Regen erwies sich das Glasdach da und dort als undicht und die Hilfskräfte war emsig mit Kübeln unterwegs. Schneite es, so war es im Glashaus nicht nur bitter kalt, sondern es konnte erst wieder fotografiert werden, wenn Schnee und Eis geschmolzen waren und das Licht wieder durchstrahlen konnte. Elektrisches Licht gab es damals noch nicht in den Studios, es kam erst nach der Jahrhundertwende allmählich auf.
Bezüglich des Dekors glichen die Ateliers eher einem Museum oder einem Möbelladen, als einem Fotostudio. Der Kunde konnte sich die gewünschten Requisiten aussuchen, eine Chaiselongue für die Dame, den vornehmen Ledersessel für den Herrn, dann wurde noch eine Ballustrade aus Pappmaché beigestellt und das ganze vor einem kunstvoll gemalten Hintergrund mit einer pompösen Parklandschaft oder dem Schloss Chillôn arrangiert.
In einem Nebenraum sensibilisierte ein Assistent die Glasplatten, die in der grossformatigen Kamera belichtet und danach sofort zum Negativ entwickelt wurden. Das Aufnahmeformat von 9×12 über 13×18, 18×24 bis hin zu 24×30 cm musste vor de Aufnahme bestimmt werden, da sich danach die Plattengrösse richtete. Waren sie Platten entwickelt, begutachtete der Meister die Negativplatten, um sicher zu gehen, dass die Kunden nicht nochmals antreten mussten, falls die Aufnahmen misslangen.
Das Labor, in welchem die Platten präpariert und nach der Belichtung entwickelt wurden, wurden oft und treffend als «Giftchämmerli» bezeichnet, denn die Chemikalien, die hier verwendet wurden, waren alles andere als gesundheitsfördernd. Zur Zeit der Daguerreotypie waren es die Jod- und Quecksilberdämpfe, welche den Fotografen Lungen- und Nierenschäden bereiteten, und in der Kollodiumzeit konnte das Zyankali, das zum Fixieren und zum Abschwächen benutzt wurde, an Gefährlichkeit wohl kaum überboten werden.
Bis die Kundschaft ihre Konterfeils bekommen sollte, ging es gut und gerne noch eine Woche, denn nun begannen die fleissigen Helfer mit ihrer Arbeit. Da war zunächst der Retuscheur, der auf der Glasplatte mit feinem Bleistift Hautunreinheiten und Falten zu korrigieren verstand, oder der auf der Rückseite der Platte mit einem hellroten Lack sorgfältig jene Stellen bestrich, die im positiven Bilder heller erscheinen sollten.
Am nächsten Tag waren die Laboranten damit beschäftigt, die von den grossformatigen Negativen gewünschten positiven Abzüge zu erstellen. Dazu wurden die Glasplatten mit dem Auskopierpapier in einen Belichtungsrahmen gespannt und während mehreren Minuten dem Tageslicht ausgesetzt. Danach wurden die Papiere entwickelt, fixiert, gewässert und getrocknet. Je nach Wunsch des Kunden wurde unterschiedliches Papier verwendet, weisses oder chamoisfarbenes, solches mit matter oder mit glänzender Oberfläche.
Da die Bilder im Kontaktverfahren kopiert wurden, musste der Kunde schon vor der Aufnahme das gewünschte Format bestimmen. Vergrösserungsgeräte, um die Bildgrösse zu verändern, gab es erst gegen die Jahrhundertwende, doch waren nur die grösseren Betriebe mit diesem recht teuren Gerät ausgerüstet. Die trockenen Kopien kamen danach wieder zum Retuscheur zurück, der mit seinem feinen Pinsel die letzten Fehler auf den bildern beseitigte oder mit Eisweiss-Lasurfarbe gewisse Bildpartien farbig übermalte – eine frühe Art der Farbfotografie. Nach dieser Malerarbeit wurden die Bilder auf nobel verzierte Kartons aufgezogen oder prunkvoll eingerahmt, um das Produkt auf diese Weise aufzuwerten.
Das Modell zeigt einen Fotografenbetrieb eines offensichtlich angesehenen und vermögenden Fotografenmeisters, der sich ein grosses Atelier und ein Haus für mehrere Angestellten mit vielen Räumlichkeiten für die Vorbereitungen, den Ansatz der verschiedenen chemischen Lösungen, das Kopieren und Vergrössern, sowie die Finissage der Bilder leisten konnte. Das lag deutlich über dem Durchschnitt, denn viele Fotografen mussten sich mit sehr dürftigen Lokalitäten begnügen und verfügten bei weitem nicht über eine derart luxuriöse Ausrüstung, wie in diesem Modell.
Das gezeigte Equipment dokumentiert zugleich verschiedene Epochen. Im Garten ist ein Fotograf mit einem Dunkelzelt zu sehen, und vor dem Haus steht ein Dunkelkammerwagen mit angespanntem Pferd, was auf die Epoche der Kollodiumfotografie verweist. Damals mussten die Platten unmittelbar vor der Aufnahme beschichtet, in noch feuchtem Zustand belichtet und sofort danach entwickelt werden. Bei Aussenaufnahmen war dies recht mühsam, vor allem im Winter, wenn der Entwickler zu kalt war oder gar einfror, oder im Hochsommer, wenn man es in dem Dunkelzelt vor Hitze kaum aushielt.
Das Modell befindet sich in einer Glasvitrine von einem auf zwei Meter im Zentrum der permanenten Ausstellung «Der Ursprung der Fotografie»im Erdgeschoss. Es steht jedoch thematisch auch in einem direkten Zusammenhang mit der Sonderausstellung im ersten Stock «Das Zeitalter der Fotoplatten», in welcher die Entwicklung des Fotostudios dokumentiert wird und wo viele der kleinen Objekte des Modells, welche den Modellbauer inspirierten, in natura zu sehen sind und ausführlich erklärt werden.
Fotos: © Schweizerisches Kameramuseum, Vevey
Musée suisse de l’appareil photographique
Schweizerisches Kameramuseum
Grande Place 99
CH-1800 Vevey
Tel: 021 925 34 80
Öffnungszeiten: von Dienstag bis Sonntag von 11.00 bis 17.30 Uhr Montags geschlossen
Weitere Informationen auf www.cameramuseum.ch
Als alter „Modelleisenbahner“ weis ich diese détailreiche Arbeit sehr zu schätzen. Bravo und danke Hugo Lienhard.
Jetzt verstehe ich Simon warum du auf ricardo neben Fotogeräten soviele Modellisebähnli anbietest.