Die Geschichte einer Reise, in der die Leica S2 unerwartet die Hauptrolle spielt. Der Trip mit dem Land Rover nach Irland hatte Peter Schäublin schon lange geplant. Doch dann kam einiges anders … vor allem winkte im letzten Augenblick die Chance, neben der DSLR auch noch eine geliehene Leica S2 mitzunehmen.
Wir stehen nebeneinander und warten auf die Abendstimmung, um Mont St. Michel abzulichten. Marcos aus Spanien fotografiert meist mit seinem Mobiltelefon, wenn’s hoch kommt mit einer Kompaktkamera. Und ich stehe neben ihm mit einer 36 Megapixel Leica S2 und drei Objektiven im Gesamtwert von 33’000 Franken. Irgendwie skurril. Das Abendlicht lässt auf sich warten, und so kommen wir ins Gespräch. In Spanien habe er als Grafiker gearbeitet, erzählt er mir, doch jetzt lebe er in London und sei in der IT tätig. Die Engländer verstünden eben nur ihren eigenen Humor, meint er achselzuckend auf meine Frage, ob er denn im Mekka der Werbung keine Stelle in seiner Branche gefunden habe. Und dann fällt sein Blick auf meine Kamera mit dem roten Punkt. «Ah, Leica», sagt er. «Kennst du die Marke?» frage ich zurück. «Natürlich, das sind die, die besten Objektive der Welt bauen und dann noch eine Kamera hinten dran konstruieren.» Ich muss schmunzeln und denke, er ist wohl nicht der einzige, der dieses Bild von Leica hat.
Mont St. Michel in der Nacht. Der Klassiker halt, aber einfach sehr schön …
Doch warum stehe ich hier in der Normandie und bin nicht in Irland? Das wiederum ist eine Geschichte für sich…
Ein verrückter Start
Meine Frau Ursula und ich lieben Roadtrips. Einfach in den Land Rover steigen und losfahren. Keine detaillierten Pläne, keine festen Buchungen. Kurz vor unserer Abreise erfahren wir, dass Leica uns für einen Testbericht eine S2 mit Objektiven zur Verfügung stellt. Da ist für uns klar, dass die fotografischen Highlights die Positionslichter für unsere Reise sein werden. Wir fahren an einem Freitag los, um am Samstagabend die Fähre von der Bretagne nach Südirland zu kriegen. Auf unserm Weg Richtung Westen machen wir Halt bei Leica in Nidau, um die S2 samt Objektiven in Empfang zu nehmen. Matthias Gfeller drückt mir das kostbare Teil in die Hand und meint: «Eine Gebrauchsanleitung benötigen Sie nicht. Die Menustrukturen sind logisch aufgebaut, und es ist nichts Überflüssiges an der Kamera.» Recht hat er. Nach zehn Minuten habe ich die S2 im Griff. Am Abend stellt sich Ursula für ein kleines sponantes Shooting zur Verfügung. Nur Raumlicht, das 70er, voll offene Blende, praktisch keine Schärfentiefe. Die Kamera lässt sich wie eine DSLR handhaben, und es entsteht ein tolles Bild.
Am nächsten Tag geht’s weiter nach Roskoff zur Fähre nach Südirland. Eigentlich hätten wir gerne noch Mont St. Michel besucht. Davon träumen wir schon lange. Aber wir möchten möglichst viel Zeit in Irland verbringen. Wir erreichen das Fährterminal und wollen unsere Pässe vorzeigen, doch: Wo ist Ursulas Handtasche mit all ihren Papieren und unserer Reisekasse? Der Schrecken ist gross – sie hat sie beim letzten Tankstopp vor drei Stunden wohl in der Toilette vergessen! (Tja, … kann grundsätzlich jedem von uns mal passieren, oder nicht? ;-)) Wir dürfen nicht an Bord, sitzen erst mal in Frankreich fest, und sind herausgefordert, diesen Beziehungstest zu bestehen … Natürlich müssen wir zurückfahren und herausfinden, ob die Tasche eventuell noch bei der Tankstelle ist. Wir atmen erst einmal sehr kräftig durch, und um der Situation die Schärfe zu nehmen, sage ich: «Also gehen wir doch noch nach Mont St. Michel …»
Ganz anderes Szenario am anderen Morgen um 5 Uhr. Nebel und Ebbe – eine geheimnisvolle Stimmung. Kurz danach ist die ganze Abtei in Nebel getaucht. Es hat sich gelohnt, früh aufzustehen.
Der Rest der Geschichte in Kürze: Eine ehrliche Finderin hat die Tasche der Polizei übergeben. Wir können sie dort abholen und unsere Überfahrt nach Irland auf eine andere Fähre umbuchen, die zwei Tage später von Cherbourg ausläuft. Das gibt uns dann Gelegenheit, Mont St. Michel zu besuchen und mit Marcos über Grafik, kulturelle Unterschiede und Kameras zu philosophieren.
Mont St. Michel am Nachmittag. Bei meinen Rekognoszier-Walks ist mir ein Fliederbusch aufgefallen, der sich hervorragend als Vordergrund eignet und die Linienführung der Abtei aufgreift. Leica S2, 70 mm, f 22, 1/90 Sek, 160 ISO. Schwarzweiss Umwandlung mit Silver Efex Pro, starker Rotfilter
Die Luft wird dünn bei 36 Megapixeln
Der Profi weiss es, nicht jeder Amateur ist es sich bewusst: Wer das Potenzial von über 30 Megapixeln wirklich ausschöpfen will, muss sorgfältig arbeiten. Sehr sorgfältig sogar. Für mich heisst das: Wenn immer möglich das Stativ einsetzen, Spiegel vorauslösen, den Selbstauslöser verwenden (leider hatte Leica keinen Drahtauslöser für die S2 im Leihmaterial zur Verfügung). Dieses sorgfältige Arbeiten – das natürlich mit jeder Kamera umgesetzt werden kann – macht richtig Spass: Nicht einfach drauflos schiessen, sondern erkunden, das Motiv aus verschiedenen Winkeln ansehen, bewusst das entsprechende Objektiv wählen, das Bild im Sucher komponieren und dann sorgfältig belichten. Ein wunderbarer Prozess. Und die S2 ist – im positiven Sinn – so simpel zu bedienen, dass ich mich ganz auf mein Motiv konzentrieren kann. Einzig der Kontrollmonitor der S2 ist etwas gewöhnungsbedürftig, weil die Bilder in der Vorschau nicht so knackig sind. Der Monitor der neuen S sei aber deutlich besser, wurde mir versichert.
Eine alte Kirche im Burren-Gebiet an der Westküste. Das 30mm arbeitet verzeichnungsfrei und scharf bis in die Ecken. Schwarzweiss Umwandlung in Silver Efex Pro, Rotfilter
Blue Hour in Derryclare/Connemara
Erste Ergebnisse
Die Reise ist intensiv. Aber wir nehmen uns immer wieder Zeit, um die Rawfiles für eine erste Grobbeurteilung auf den Laptop zu ziehen. Ursula fotografiert mit unserer Vollformat-DSLR, ich mit der Leica. Auf dem 17-Zoll-Monitor unseres Mac Book Pro wirken die Bilder der S2 etwas plastischer und nuancierter als die – ebenfalls hervorragenden – Files der DSLR. Die S2 ist ja eine Art Bridgekamera der besonderen Art: Sie vereint die einfache Bedienung einer DSLR mit der Qualität einer Mittelformatkamera. Dieser Brückenschlag ist den Leica-Ingenieuren hervorragend gelungen. Der Autofokus der S2 ist wohl nicht ganz so schnell wie der einer DSLR, aber dafür sehr präzise. Und in die Hoch-ISO-Gefilde wage ich mich mit der S2 nicht vor, denn das ist – mindestens zur Zeit – nicht die Domäne dieser Kamera.
Letztes Abendglühen bei Malinbeg/Donegal. Die Natur überraschte uns – kein Color-Enhancement!
Irlands schönster Schafbock – und wir haben echt viele gesehen …
Die Objektive im Einsatz
Während der Reise muss ich des Öfteren an Marcos denken. Die besten Objektive der Welt … kann man das so sagen? Ich weiss es nicht und will mich da nicht auf die Äste herauslassen. Aber dass die Leica-Optiker an die Grenze des Machbaren gehen, weiss man. Das Elmarit S 2.8/30mm Asph. sei nahezu verzeichnungsfrei, hat mir Matthias Gfeller bei der Kameraübergabe in Nidau versichert. In der Praxis würde ich es als verzeichnungsfrei bezeichnen. Eine verfallene Kirche mit Gemäuer kann ich aufgrund der topografischen Gegebenheiten nur so fotografieren, dass ich das Bildformat voll ausnütze. Am Abend beim Betrachten des Bildes auf dem Monitor stelle ich fest: Keine Verzeichnung, kein Qualitätsabfall in den Bildecken. Einfach perfekt. Das SUMMARIT S 2.5/70 Asph. und das APO-Tele-Elmar S 3.5/180 Asph. stehen dem Weitwinkelobjektiv in nichts nach. Ich fotografiere die Klippen von Moher, nehme den kleinen Turm, eigentlich das bildwichtigste Element, ganz an den Rand und weiss, dass er perfekt abgebildet wird. Die Klippen von Slieve Leagues fotografiere ich aus dem Boot, und jede Farbnuance wird wiedergegeben. Um Verwacklungsunschärfen vorzubeugen, öffne ich die Blende, und ich weiss, dass die optische Leistung auch bei voll offener Blende sehr gut sein wird. Und so geht es während der ganzen Reise weiter.
Der Turm auf Slieve Leagues/Donegal – über der mit 600 Metern höchsten Klippe Europas. Kein Problem, dass das bildwichtigste Element ganz am Rand ist. Das 70er bildet auch die Randzonen perfekt ab
Wasserdampf über einem kleinen See bei Torr Head in Nordirland
Back home
Nach über zwei Wochen muss ich die S2 auf unserer Heimreise leider zurückgeben. Ich brenne darauf, die Files zu Hause auf dem grossen Monitor genauer unter die Lupe zu nehmen und mit dem HP Z3200, einem hervorragenden Grossformatdrucker, richtig grosse Testprints zu machen. Ich wähle einige meiner Favoritenbilder aus und beginne, damit zu arbeiten. Ich stelle schnell fest, dass die DNG-Files der Leica einen äusserst hohen Informationsgehalt haben. Will heissen: Da sind noch Strukturen in den Spitzlichtern und Schwarztönen, die man herausarbeiten kann, wo die DSLR-Files an ihre Grenzen kommen. Ein Bild mit Gischt habe ich beispielsweise unterbelichtet, um die Struktur in den Weisstönen des Wassers zu erhalten. Ich stelle fest, dass ich etwas gar knapp belichtet habe und muss das DNG-File beim Öffnen entsprechend korrigieren. Trotz der Korrektur steht das Bild wie eine Eins. Diese Fülle an Bildinformationen ist für mich ein Pluspunkt, der fast noch mehr wiegt als die höhere Auflösung. Und so geht es Schritt für Schritt weiter: Strukturen herausarbeiten, Spitzlichter erhalten, Kontraste anpassen. Dabei ist mein Ziel immer, die Bilder so aufzubereiten, dass sie das wiedergeben, was ich vor Ort empfunden habe in dem Moment, in dem das Foto entstanden ist. Es macht sehr viel Freude, mit diesen Files zu arbeiten. Dann schicke ich die ersten Bilder auf den HP Z3200. Es überrascht nicht, dass die Fotos perfekt aus dem Drucker laufen. Ganz grosses Kino.
Arch of Doabeagh in Donegal. Erst im Nachhinein stelle ich fest, dass die weisse Wolke oben links, der Felsbogen und die Gischt unten rechts ein perfektes Spannungsdreieck bilden. Schwarzweiss Umwandlung im Photoshop
Fazit
Bewusst habe ich die Leica S2 auch mit unserer qualitativ sehr guten DSLR-Ausrüstung verglichen. In dem Bereich, in dem die Leica stark ist, hat sie sich hervorragend geschlagen. Wo ich den Brennweitenbereich der Leica verlassen musste, kam nur die DSLR zum Einsatz. Im Lowlight-Bereich ohne Stativ habe ich die S2, wie bereits erwähnt, bewusst nicht eingesetzt. Bei den wenigen Situationen, bei denen ich Menschen fotografiert habe, hätte ich mir ein paar zusätzliche Autofokusfelder gewünscht. Gerade bei voll offener Blende muss die Schärfe perfekt sitzen, und da wären wählbare Autofokusfelder sehr angenehm und würden die Kamera – gerade im Fashionbereich – noch schneller machen.
Wer das bestmögliche Quantum an Qualität in seinen Bilder benötigt und in Bereichen arbeitet, in denen die Leica S stark ist, sollte das S-System ernsthaft in Erwägung ziehen. Natürlich schränkt der Preis die Käufergruppe – gelinde gesagt – etwas ein, aber das Optimum war noch nie billig zu haben. Die 80/20er-Regel lässt grüssen … Doch es gibt ja immer noch die Möglichkeit, eine Leica S mit den benötigten Optiken punktuell zu mieten. Dank dem überzeugend einfachen Bedienungskonzept eine echte Option. Und vielleicht träumt Marcos nach unserem kleinen Smalltalk bei Mont St Michel jetzt ja auch davon, hie und da mal mit einer Leica S zu arbeiten. Ich tu’s auf jeden Fall …
Peter Schäublinist Konzepter, Grafiker, Texter und Fotograf. 1995 hat er eine eigene Werbeagentur gegründet. «Menschen mögen Geschichten, und deshalb sind Geschichten das beste Mittel, um Botschaften zu transportieren», ist er überzeugt. «Bilder – Fotografie und Film – sind essenzielle Bestandteile von Geschichten.» In seiner Freizeit ist Peter Schäublin gerne mit seinem Kajak auf dem Wasser unterwegs. Seit 2005 arbeitet er an einem Langzeitprojekt über die Pazifik-Nordwestküste. Mehr Informatioen auf www.720.ch. |