Gunnar Remane, Fachlehrer an der Schule für Gestaltung in Bern, hat als unübliches Ferienziel das Amazonasgebiet Ecuadors ausgewählt, um dort die Kleintierwelt nur mit einer Kompaktkamera zu fotografieren. Jetzt gibt es dazu eine Ausstellung in Bern.
«Die Bilder zu diesem Bericht fotografierte ich auf einer Reise durch Ecuador, am östlichen Fuss der Anden, da wo der Amazonaswald beginnt. Ecuador gilt als das artenreichste Land der Welt, was zumindest auf die Fläche bezogen stimmt und sich dem genauen Beobachter auf eindrückliche Weise offenbart. Das kommt zum Einen von den vielen unterschiedlichen landschaftlichen und klimatischen Zonen und zum Anderen von der Tatsache, dass der Regenwald in grossen Teilen kaum bevölkert ist.
Die Vorbereitungen
Im Vorfeld las ich einige Bücher und Artikel über die Region und erfuhr, dass in den Urwäldern noch unzählige unentdeckte Tierarten leben. Freilich nicht grosse Säugetiere oder Reptilien sondern vielmehr die kleinen Arten, Insekten, Spinnen und Amphibien. Die Vorstellung, Tiere zu beobachten, die kein Mensch zuvor untersucht hat – mit Ausnahme der Völker, die im Wald leben – fand ich faszinierend und so beschloss ich meine Aufmerksamkeit auf diese unbekannten Kleinlebewesen zu richten.
Vielleicht kommt dieses Interesse auch daher, dass es in meiner Familie ausgesprochen viele Naturwissenschaftler gibt. Mein Ansatz war allerdings nicht der eines Biologen, sondern der des Fotografen: Mich interessiert die Formen- und Farbenvielfalt, die Skurrilität der Tiere und der Pflanzen mehr als ihr Name. Diese Reise sollte eine Annäherung an den Urwald vom ästhetischen Blickpunkt werden.
Das beeinflusste auch meine Überlegungen bezüglich des Materials. Das klassische Equipment, also eine Spiegelreflexkamera mit Makroausrüstung, schien mir für dieses Projekt zu schwerfällig, das Balgengerät für das feuchte Klima des Regenwaldes zu empfindlich. Da waren also neue Lösungen gefragt.
Seit längerem begleitet mich auf jede Reise eine kleine Kompaktkamera, für das fotografische Tagebuch sozusagen. Die Bildqualität kommt natürlich nicht an die einer DSLR heran aber für das fotografische Tagebuch ist das allemal genug. Seit ein paar Jahren hat in diesem Segment eine erfreuliche Entwicklung stattgefunden, die zu den sogenannten «edlen Kompakten» geführt hat, Nachfolger einer Contax T, einer Minox 35 und ähnlichen. Klein aber fein. Der Verzicht auf einen grossen Zoombereich, dafür aber eine hochwertige und lichtstarke Optik und die Möglichkeit, die Bilder als RAW-Datei zu speichern, ermöglichen digitale Aufnahmen in ausgezeichneter Qualität. Nebenbei ist mir aufgefallen, dass durch die kleinen Sensoren und die dazu gehörenden kurzen Brennweiten dieser Kameras, sehr kurze Aufnahmedistanzen möglich sind. Im Makromodus kann man oft bis zu einem Zentimeter vor der Linse fokussieren. Meine Suche habe ich auf Geräte mit diesen Eigenschaften konzentriert und so viel meine Wahl auf eine Panasonic Lumix LX5, mit einem erfreulichen Leica Objektiv.
Erste Experimente einige Zeit vor der Reise bestätigten mir, dass man mit etwas Vorsicht und Geduld tatsächlich sehr nahe an kleine Insekten herankommt und dadurch, dass der Makrobereich auf den Weitwinkelbereich begrenzt ist, ganz andere Perspektiven erzielt als mit einer klobigen Spiegelreflexkamera. Das funktioniert wunderbar, wenn man bei gutem Licht fotografiert, im Wald oder bei Dämmerung stösst man jedoch schnell an die Grenzen des Systems. Bei höherer Empfindlichkeit werden die Schwächen der kleinen Sensoren sehr schnell als unerträgliches Rauschen sichtbar, oder man verwackelt die Aufnahme wegen einer zu langen Verschlusszeit. Also bastelte ich mir einen Diffusor, den ich vor den eingebauten Kamerablitz montieren konnte, wodurch ich nicht nur sehr kurze Belichtungszeiten, sondern auch den tiefsten ISO Wert verwenden konnte. Ausserdem vermied ich damit den Schlagschatten, den das Objektiv bei sehr kurzen Aufnahmedistanzen auf das Motiv warf. Das brachte die entscheidende Qualitätsverbesserung.
Erste Versuche im Urwald
Der Urwald war auf den ersten Blick weniger beeindruckend als ich mir ihn vorgestellt hatte. Auch da sind die Tiere scheu und die grosse Artenvielfalt ist nicht gleich ersichtlich. So waren meine ersten Motive auch Blumen, und zwar Sorten, die bei uns für teures Geld im Blumengeschäft zu kaufen sind, dort aber überall wild wachsen und schöne Motive bieten. Um einen Kontrapunkt zu den Aufnahmen der Kleintiere zu setzen, wählte ich hierfür ein Lensbaby, das ich auf meine DSLR montiert hatte. Wie auf dem Bild zu sehen ist, wird hiermit der Fokus nur an einem begrenzten Ort erreicht. Die Bildränder verlaufen wegen unkorrigierter Abbildungsfehler in der Unschärfe.
Vögel hört man viele im Regenwald, doch sie verstecken sich im dichten Blätterdach. Diese zu fotografieren ist ein anderes Projekt, ausserdem galt mein Interesse im Regenwald den kleinen Kriechtieren, die in Bodennähe leben. Es brauchte viel Geduld, die ersten Exemplare zu entdecken, sie sind nämlich oft sehr gut getarnt und wenn sie sich nicht bewegen, muss man schon ein sehr geübtes Auge besitzen, um sie zu entdecken. Das war meine erste Lehre, ich blieb selber regungslos und beobachtete lange mein Umfeld bis es langsam lebendig wurde. So entdeckte ich die ersten Heuschrecken, Käfer, Spinnen und Frösche. Mit sehr ruhigen Bewegungen gelangen mir auch die ersten Fotos aus wenigen Zentimetern Entfernung. Dabei offenbarten sich weitere Vorteile der Kompaktkamera, bzw. des kleinen Sensors: Die Schärfentiefe ist viel ausgedehnter als mit grösseren Formaten. Durch den Kontrast-AF der direkt auf dem Sensor vorgenommen wird, ist es ausserdem möglich, den AF-Punkt irgendwo im Bild zu platzieren: Ein nicht zu verachtender Vorteil für die Bildgestaltung, zumal die Gesichtserkennung bei meinen Models leider nicht funktionieren wollte. Ich überlegte mir also vor dem Heranschleichen, wie die Bildaufteilung sein sollte, setzte denn AF-Punkt dahin wo ich den Kopf platzieren wollte und näherte mich ganz umsichtig meinem Motiv. Oft aber kam ich gar nicht zum Auslösen, da sich die scheuen Tiere schnellstens versteckten.
Shiripuno
Ich verbrachte einige Zeit in dem kleinen Dorf Shiripuno am Rio Napo, einem Zufluss des Amazonas. Dort leben rund 200 Kichwa-Indianer, die bis vor ungefähr 25 Jahren noch verstreut im Wald lebten. Theo, der Dorfchef, hat in England Biologie studiert und war mir mit seinem Wissen aus seiner und unserer Kultur eine sehr grosse Hilfe. Mit ihm habe ich einige Touren auf schmalen Pfaden durch den Wald gemacht. Zu erwähnen ist hier der beeindruckende Orientierungssinn der einheimischen Bevölkerung. Oft verliessen wir, einem Geräusch oder einer Bewegung im Laub folgend, die Pfade und schlugen uns einige Kilometer quer durch das Unterholz. Jedes Mal fanden wir zu unserem Ausgangsort zurück. Sehr bald war ihm klar, was mich besonders interessierte und immer wieder zeigte und erklärte er mir die Tiere und Pflanzen, die dort vorkommen. Erstaunlich ist, dass manche so sehr ihrem Umfeld ähneln, dass man wirklich genau hinschauen muss, um sie zu sehen, während sich andere mit knallbunten Farben selbst verraten.
Vorsichtig ist man im Urwald ganz automatisch. Abgesehen von den Schlangen sollte man sich aber auch vor einigen kleinen Tierchen wirklich in Acht nehmen. Es gibt unzählige Vogelspinnen, die zwar als sehr friedfertig gelten aber trotzdem einen sehr unangenehmen Biss haben. Gewisse Ameisen können sogar lebensgefährlich werden, wenn man von ihnen gebissen wird. Im Vergleich zu den Gefahren des Autoverkehrs in jeder kleineren Stadt Europas, ist der Urwald jedoch ein geradezu erholsamer Ort.
Mit Theo ging ich dann auch einige Male auf nächtliche Streifzüge. Einige Tiere schlafen dann und lassen sich deshalb besser fotografieren, andere kriechen erst bei Dunkelheit aus ihren Schlupflöchern. In diesen Situationen war mir mein Blitzdiffusor wieder einmal von grossem Nutzen. Ohne Blitz wären die Aufnahmen gar nicht möglich gewesen und ohne Diffusor einfach nicht schön. Das weiche seitliche Licht, dass ich so auf meine Motive richten konnte, liess sie sehr plastisch und Detailliert erscheinen und brachte auch die wunderbaren Farben prächtig hervor.
Sehr beeindruckend fand ich die unglaublich gute Sicht meines Führers, der im schwachen Schein der Taschenlampe wunderbare Entdeckungen machte. So fanden wir eine Heuschrecke, die gerade aus ihrer zu klein gewordenen Haut geschlüpft war. Ihr neuer Panzer musste erst noch trocknen und deshalb hing sie regungslos unter einem Blatt. In diesem Zustand ist sie natürlich sehr gefährdet und versteckt sich besonders gut. Als ich am nächsten Tag das Bild genauer betrachtete, schien es mir kaum möglich, dass dieses Insekt aus einer so kleinen Haut geschlüpft war. Etwas weiter sahen wir einen Nachtfalter, der gerade aus seinem Kokon geschlüpft war. Auch er war noch nicht ganz fertig ausgebildet: seine Flügel waren zuerst noch ganz zerknautscht, entfalteten sich aber langsam bis zu ihrer vollen Grösse.
Fressen und gefressen werden
Der Urwald ist ein riesengrosser Organismus, in dem ständig etwas Neues wächst oder verschwindet. Die Regel lautet: Fressen oder gefressen werden. Grosse Tiere jagen kleine, viele kleine ringen wiederum grössere nieder und die Überreste, die auf den Boden fallen, werden schnell zersetzt und bereichern den Nährboden der Pflanzen. Ich hatte das Glück, ein paar Mal zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereit zu stehen und so sah ich, wie eine schwarze Wespe eine grell orange Spinne angriff. Ich konnte tatsächlich beobachten, wie die Wespe der Spinne ein Bein nach dem anderen abzwickte und sie dann in ihr Versteck abtransportierte. Später erfuhr ich, dass diese Wespenart die Spinne gar nicht verzehrt sonder ihre Eier hineinlegt. Die Art heisst Tarantulafalke, ein sehr passender Name.
Meine Reise führte mich noch an weitere Orte Ecuadors. Ich habe noch das Hochland, die Pazifikküste und die Galapagos Inseln besucht, das sind aber andere Geschichten und andere Bilder. Vom Dschungel sind mir sehr prägnante Erinnerungen geblieben. Die anfangs erwähnte Vielfalt ist tatsächlich überwältigend. Ich meine damit nicht nur die Menge verschiedener Arten sondern vielmehr die Formen und Farben der Tiere und Pflanzen. Das ist eine Reise wert! Am allerwichtigsten ist aber, dass diese wunderbare Natur erhalten bleibt.»
Text und Bilder: Gunnar Remane
Die AusstellungDie Ausstellung «Dschungel en détail» von Gunnar Remane ist vom 27. August bis 20. September 2013 in der Schule für Gestaltung Bern, Schänzlihalde 31, Bern zu sehen. Weitere Informationen finden Sie unter www.sfgb-b.ch |