Lee Miller ist jüngeren Leserinnen und Lesern wahrscheinlich schon kein Begriff mehr. Dabei gehört sie zu den bedeutendsten Modefotografinnen des 20 Jahrhunderts. Die Modehistorikerin Becky E Conekin hat über sie eine Biografie verfasst und zeigt darin eine breite Auswahl von Bildmaterial, vieles davon war bisher unveröffentlicht.
Fotomodell von Edward Steichen, Muse des Surrealisten Man Ray, dann selbstständige Fotografin, eine der wenigen weiblichen Kriegsreporterinnen der US-Army und Modefotografin für «Vogue» – schon aus diesen biografischen Stichworten geht hervor, dass es sich bei Lee Miller um eine interessante und vielseitig begabte Frau handelte. Und Lee Miller ist eine bildhübsche Frau gewesen, «eine der hübschesten des 20. Jahrhunderts» sagte ihre Biografin Carolyn Burke. Deshalb ist es auch naheliegend, dass sie von grossen Künstlern wie Edward Steichen, George Hoyningen-Huene, Man Ray und vielen anderen als Model entdeckt wurde. Und ebenfalls naheliegend, dass sie sich für die Mode interessierte, für eine Mode, die in den Ende 1920ern und Dreissigerjahre fantasievoll in Bewegung war, geprägt von Jugendstil- und Bauhausideen, von einem Ausbrechen aus einer langweiligen Vergangenheit des frühen 20. Jahrhunderts.
Mitten in diese Zeit fällt auch eine völlig neue Art der Lichtgestaltung in der Fotografie, die wegkommt vom langweiligen «Licht von links oben» der alten Meister, sondern ein Licht, das auch mal Schlagschatten nach oben wagt, oder eindeutiges Gegenlicht oder das mit kleinen Spotlights das Motiv subtil ausleuchtet – nicht nur in der Mode, sondern ebenso in der Sachfotografie und vor allem im Porträt. Diese besondere Lichtgestaltung der späten 30er- und 40er-Jahren zieht sich auch durch die frühen Fotografien von Lee Miller, und das vorliegende Buch ist eine gute Schule dazu. Ein harmonisches und ausdrucksstarkes Licht übrigens, von dem es mich nicht verwundern würde, wenn es eines Tages wieder stark in Mode kommen würde.
Diese stilbestimmende Gestaltung war in den frühen Dreissigerjahre in Paris gross in Mode, in einer Zeit, als auch Lee Miller in Paris lebte und dort den Mittelpunkt der Kunst- und Modewelt, sowie der Haute Société erlebte. Eine aufregende Zeit für eine 25jährige Kosmopolitin, die modisch gekleidet und selbstbewusst in allen Surrealistenkreisen verkehrte. Ein Leben, das von Becky E. Conekin eindrucksvoll und nachvollziehbar geschildert wird.
«Lieber fotografieren als fotografiert werden». Erfahrungen in New York und Aegypten, dann die Rückkehrt nach Paris haben offensichtlich zu einem Gesinnungswandel in Lee Miller geführt. Das hübsche Fotomodell sehen wir bald mit der Kamera in den Händen, um nicht nur die Modewelt und die elegante Pariser Szene zu fotografieren, sondern kreativ an ihrem eigenen Stil zu arbeiten. Das zahlt sich aus, denn in den Kriegsjahren lebt Miller zunächst in London, befreundet sich mit Audrey Withers, der Herausgeberin der britischen «Vogue» und kam dadurch zu Aufträgen im Bereich der Modefotografie, die einen lebensfrohen Stil in die schwierigen Kriegstage im bombardierten London brachten. Erst mit dem Eintreffen der amerikanischen Armee in England änderte sich in Alltag von Lee Miller vieles – nicht unbedingt zum Guten. Auf Empfehlung eines Freundes bemühte sich die gebürtige Amerikanerin bei den US-Truppen um eine Akkreditierung als Fotografin für «Vogue», was zu völlig neuen Zielsetzungen und Motivationen führte. Millers Kriegsreportagen soll zu den fesselndsten Artikeln in «Vogue» gehört haben. Sie erlebte den Vormarsch der Alliierten auf Paris und deren Befreiung von den deutschen Besetzern, die Schlacht um Saint-Malo, den Elsass-Feldzug, welcher sie schliesslich nach Deutschland brachte – bis hin zu den entsetzlichen Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau, deren Öffnung sie eindrücklich dokumentierte. Das Buch zeigt kaum Bilder aus jener Zeit, sondern es handelt die Kriegsjahre mit einem spannenden und realistischen biografischen Text ab.
Das Buch ist in zweierlei Hinsicht interessant: Erstens zeigt es eine Menge, bisher unveröffentlichtes Bildmaterial von Lee Miller und dokumentiert damit den damaligen fotografischen und modischen Stil. Zweitens ist es ein hervorragendes biografisches Werk, welches uns das vielfältige Leben von Lee Miller und ihre Zeit näher bringt. Unbedingt lesenswert und sehr gut geschrieben! Und das Buch verhilft weiter dazu, dass die Bekanntheit von Lee Miller gerade bei jungen Fotografen wieder auflebt und das unterstreicht, was sie ist: Eine der grössten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts.
Urs Tillmanns
Buchbeschreibung des Verlages
Die Amerikanerin Elizabeth «Lee» Miller ( 1907-1977) wurde zunächst als Model von Edward Steichen und als Muse des Surrealisten Man Ray berühmt. Doch bald machte sie sich als selbstständige Fotografin einen Namen. Als eine der wenigen weiblichen Kriegsreporterinnen der US-Army lieferte Miller einmalige Bilddokumente von der Invasion der Alliierten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, die u. a. in der Vogue publiziert wurden. Um dem Kriegselend entgegenzuwirken, das ihr psychisch sehr zusetzte, schuf sie zur gleichen Zeit Fotografien, die bewiesen, dass Mode auch ein Akt des Widerstands sein konnte. Das nach Kriegsende einsetzende Comeback der französischen Modeindustrie wurde von ihr eindrücklich fotografisch dokumentiert.
Heute werden Lee Millers Werke zu den bedeutendsten Fotoarbeiten des 20. Jahrhunderts gezählt. Doch viele ihrer Bilder für die Modewelt blieben unbeachtet oder gerieten in Vergessenheit. Der Autorin Becky Conekin ist es jetzt gelungen, diese Lücke zu schliessen. Das vorliegende, reichhaltig illustrierte Buch enthüllt eine eher unbekannte Seite der Ikone Lee Miller. Eine grandiose Entdeckung, nicht nur für Modefans.
Schönheit, Krieg und Fotografie: Die Amerikanerin Elizabeth «Lee» Miller (1907–1977) wurde ab 1927 als Model von Edward Steichen und als Muse des Surrealisten Man Ray bekannt. Doch bald machte sie sich selbst einen Namen als Porträt-, Mode- und Kriegsfotografin: Ihre Bilddokumente von der Invasion der Alliierten oder der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau gingen um die Welt, setzten ihr psychisch jedoch sehr zu; ab 1947 zog sie sich vom Bildjournalismus zurück.
Dieses reich illustrierte Buch enthüllt eine eher unbekannte Seite der Ikone Lee Miller: ihre Modeaufnahmen. Die erste umfassende Darstellung von Millers Tätigkeit als Model und als Modefotografin 1920 bis 1950 ermöglicht eine grandiose Entdeckung, nicht nur für Modefans.
Der Inhalt
Vorwort
Kapitel 1
«Jener gewisse Chic»
Kindheit, Jugend und die frühen Jahre als Fotomodell 1907 bis 1929
Kapitel 2
«Mädchen mit starkem Willen sollte man einfach machen lassen»
Lehrjahre in Paris, 1929 bis 1932
Kapitel 3
«Lieber fotografieren als fotografiert werden»
New York und Aegypten»
Kapitel 4
«Ab sofort mutig einkaufen, um gut auszusehen»
Modefotografin in London, 1939 bis 1944
Kapitel 5
«Wer sonst kann von der Siegfried-Linie bis zu der neuen Hüftlinie alles abdecken?»
Kriegs- und Modereportagen, 1944 bis 1946
Kapitel 6
«Aber in Friedenszeiten war Vogue in erster Linie ein Modemagazin»
Enttäuschung und Abkehr von der Mode, 1946 bis 1977
Nachwort
Anmerkungen
Auswahlbibliografie
Bildnachweise
Dank
Register
Die Autorin
Becky E. Conekin ist Modehistorikerin, Autorin und Dozentin. Sie arbeitete unter anderem an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales in Paris, an der Humboldt-Universität in Berlin und am College of Fashion in London. Heute lehrt sie Europäische Geschichte in Yale und schreibt regelmässig für das einflussreiche Online-Mode-Portal «SHOWstudio» des Fotografen Nick Knight.
Becky E. Conekin
«Lee Miller – Fotografin Muse Model»
224 Seiten, fester Umschlag, gebunden, Schutzumschlag
Scheidegger & Spiess
ISBN 978-3-85881-386-2
Preis CHF 44.00 | EUR 38.00
Das Buch kann über den Buchhandel bezogen werden