Die beiden Sony-Modelle α7 und α7r dürften als Wegbereiter einer neue Kameraklasse gelten: Systemkameras mit Vollformat-Sensoren. Naturfotograf Peter Schäublin prüft in diesem Erfahrungsbericht, ob die α7r als leichtgewichtige Alternative zu seiner Spiegelreflexausrüstung in Frage kommt.
Meine beste Freundin Ursula meinte zwar, ich sollte einen Bericht über die Sony α7r nicht mit der Erwähnung einer anderen Kameramarke beginnen. Doch ich kann es nicht lassen: Ich träume schon seit längerem von einer digitalen Leica M mit Autofokusobjektiven. Der 24 Megapixel-Sensor bei der neuesten Leica M, die Autofokustechnologie aus der exzellenten S-Reihe – die Erfüllung des Traums scheint zum Greifen nah. Denn um das Maximum aus Bildern mit über 20 Megapixeln herauszukitzeln, muss die Schärfe einfach exakt sitzen. Das fordert eine Präzision beim Fokussieren, die manuell praktisch nicht erreichbar ist. In der analogen Fotografie waren kleine Fokussiertoleranzen noch zu verschmerzen, weil Film und Objektive lange nicht so viel hergaben wie die heutige Digitalfotografie. Wenn ich die Bildqualität, die heute möglich ist, wirklich voll ausnützen möchte, ist eine Autofokusfunktion zumindest in der Reportagefotografie meines Erachtens unverzichtbar.
Die Chance der anderen
Wenn einer nicht will oder kann, springen andere in die Bresche. Den Markt der Top-Kompaktkameras haben Sony und Fujifilm aufgemischt und pieksen die grossen und traditionsreichen Marken ganz schön. Die Fuji-X-Kameras haben schon jetzt so etwas wie Kultstatus, und Sony hat mit der vollformatigen RX1 ein starkes Signal gesetzt, das sie nun mit den Modellen α7 und α7r nochmals deutlich unterstreicht. Eine kleine Reportagekamera mit einem Vollformatsensor – wird mein Traum jetzt wahr?
Warum zwei Modelle?
Da ich für meinen Test lediglich eine Sony α7r mit dem Zeiss FE 1.8/55mm zur Verfügung hatte, musste ich noch etwas in den Foren und auf Blogs recherchieren. Immer wieder wurde die Frage gestellt: Warum bringt Sony denn zwei nahezu identische Kameras auf den Markt und beschränkt sich nicht auf ein Modell? Auch mich hat Sonys Modellstrategie anfangs etwas verwirrt. Doch nach einigen Testtagen und etwas Nachdenken macht dies aus meiner Sicht absolut Sinn:
Sony α7r – die High End Fineartkamera
34.6 Megapixel, Vollformatsensor, kein Tiefpassfilter, hervorragende Objektive: Das sind die verlockenden Zutaten für eine Fineart-Kamera. Die Sony α7r, die kleiner als jede DSLR ist, spielt im Mittelformat-Lager mit. Das Plus an Auflösung kostet Qualität in den hohen ISO-Zahlen. Dieses technisch bedingte Problem kennen wir bereits. Wo die Grenze liegt, ist eine Frage der persönlichen Toleranz. Für meine Bedürfnisse liefert die α7r im Reportagebereich bis 3200 ISO gute Resultate, zur Not kann man auch mal mit 6400 ISO arbeiten. Das ist mehr, als man sich noch vor ein paar Jahren zu erträumen wagte.
Mit der Canon EOS 5D MkIII beispielsweise kann ich allerdings noch einen bis zwei Lichtwerte mehr herauskitzeln, muss aber dafür auf einiges an Auflösung verzichten.
Der berühmte «Fünfer und das Weggli» – viele Megapixel und tolle Resultate in hohen ISO-Bereichen – ist also zur Zeit noch nicht machbar. Und wohl deshalb hat Sony noch ein zweites Modell lanciert:
Sony α7 – die Reportagekamera
24 Megapixel, Vollformatsensor, hervorragende Objektive: Wenn die Sony α7 über einen schnellen, präzisen Autofokus verfügt, in den hohen ISO-Zahlen gegenüber der α7 noch einen Zacken an Qualität zulegt und leise auslöst, dann ist sie die perfekte Reportagekamera und genau die richtige Ergänzung zur α7r. Da ich die α7 noch nicht testen konnte, hoffe ich einfach, dass sie das, was ich mir an ihr wünsche, auch hat …
Die Sony α7r im Praxiseinsatz
Die α7r macht einen angenehm soliden Eindruck. Mit der Zeiss-Normalbrennweite, eingelegtem Akku und Speicherkarte bringt sie 740 Gramm auf die Waage. Wenn ich meine Canon EOS 5D MkIII gleich ausrüste – mit dem 1.4/50mm – springt der Zeiger auf 1200 Gramm. Bei Gewicht und Grösse bucht die Sony logischerweise Pluspunkte.
Grosser Unterschied, kleine Wirkung: Links: 1200 g, 22 Mpx, 61 Punkt AF, 1080p Full-HD-Videos, rechts: 740 g, 34.6 Mpx, 304 Punkt AF, 1080p Full-HD-Videos
Dann lege ich los. Wie bei den meisten Testkameras habe ich auch zur α7r keine Gebrauchsanweisung erhalten. Aber auch als (Noch-) Nicht-Sony-Fotograf habe ich die kleine, selbstbewusste Kamera schnell im Griff. Die Funktionsknöpfe sind sinnvoll angeordnet, das Menu ist beeindruckend übersichtlich. Einzig den C1-Knopf würde ich mir grösser wünschen. Auf diesen Customizing-Button hat Sony werkseitig die Verschiebung der Autofokusfelder gelegt. 304 Autofokuspunkte über fast die ganze Bildfläche verteilt sind natürlich ein Traum. Wenn ich mich jedoch auf das Sucher- oder Screenbild konzentriere und «blind» nach dem C1-Knopf suche, hatte ich oft etwas Mühe, ihn gleich zu finden und zu drücken. Vielleicht liegt‘s an meinen Wurstfingern, vielleicht auch an der mangelnden Routine. Grösser wäre meines Erachtens eindeutig angenehmer.
Luna auf meinem Schreibtisch, erwartungslos abgeknipst mit der Sony α7r, Zeiss FE 1.8/55mm, 1/60 sec., f 1.8, 100 ISO. Luna war wohl ebenso überrascht, wie ich beim analysieren des Bildes
Luna, unsere Katze, hat sich gerade auf meinem Schreibtisch niedergelassen. Nur etwas Licht von meinem Monitor und einer Pultlampe im Hintergrund. Die ISO-stehen auf «Auto», das 55er ist voll geöffnet. Ich drücke den Auslöser und – ehrlich gesagt – erschrecke erst mal ein wenig. Warum um alles in der Welt ist das Auslösegeräusch der spiegellosen Sony α7r so viel lauter als das meiner EOS 5D MkIII? Letztere hat wohl einen Silent-Mode, aber auch einen Spiegel, der hoch- und zurückklappt. Mir als technisch unbegabtem Menschen leuchtet das nicht ein. Hier ist noch viel Luft nach oben. Der Autofokus der α7r arbeitet präzise, aber etwas träge. Das spielt in der Fineart-Fotografie nicht unbedingt eine Rolle, beim Ablichten von bewegten Objekten und in der Tierfotografie sehr wohl. Da mein Anspruch an Schärfe sehr hoch ist, produziere ich bei meinem ersten Testshooting mit Luna leider viel Ausschuss. Aber das eine Bild, bei dem die Schärfe sitzt, ist ein Hammer. 500 ISO, 1/60 sec, Blende 1.8, RAW-Format. Ich öffne das Bild in Photoshop CC, betone die Augen noch ein wenig, und fertig ist das erste Bild. Das Zeiss-Objektiv zeichnet sehr fein, das ruhige, weiche Bokeh gefällt mir sehr gut. Grosses Kino …
Sony α7r, Zeiss FE 1.8/55mm, 1/640 sec., f 13, 125 ISO. Schärfe und Detailreichtum der Bilder sind überwältigend. Unten ein 100%-Ausschnitt aus dem Bild
Der Computer schluckt etwas ob der Datenmenge, die ihm da aufgebürdet wird: Das RAW-File hat schon 36.8 MB, und wenn ich daraus ein High-End TIF mit 16bit Farbtiefe entwickle, bringt es das File auf stolze 216.9 MB. C‘est la vie.
Bei einem Familientreffen fotografiere ich abwechselnd mit der Sony α7r und der Canon EOS 5D MkIII. Der schnellere Autofokus der Spiegelreflexkamera spielt hier seine Stärken aus. Die Ausschussquote ist gering, und manchmal ist die α7r ob des Tempos der Geschehnisse im Autofokusbereich überfordert. Es wäre interessant, die α7 diesbezüglich zu testen. In den Foren liest man, der Autofokus der α7 sei schneller und das Auslösegeräusch leiser – für eine Reportagekamera unabdingbar. Natürlich stellt sich der geneigte Leser – und auch ich – die Frage, warum man denn einen langsameren Autofokus und einen lauteren Auslöser in die α7r einbaut, wenn es schneller und leiser geht. Darauf sage ich nur, wie vor langer Zeit meine Lehrer, wenn sie keine Antwort wussten: «Gute Frage».
Sony α7r, Zeiss FE 1.8/55mm, 1/320 sec., f 3.2, 1250 ISO. Croppen ist natürlich bei soviel Auflösung kein Thema. Der quadratische Ausschnitt hat immer noch über 24 Megapixel
Aber …
… wenn die Schärfe perfekt sitzt und die Belichtung stimmt – die Belichtungsmessung arbeitet übrigens hervorragend –, dann sind die Bilder von einer Qualität, die überwältigend ist. 34.6 Megapixel und der Verzicht auf den Tiefpassfilter sorgen für einen erstaunlichen Detailreichtum und einen ganz eigenen «Schmelz», der sicher auch mit dem Objektiv zusammenhängt; das Zeiss FE 1.8/55 mm ist ein Versprechen für weitere Objektive auf diesem Qualitätsniveau.
Sony α7r, Zeiss FE 1.8/55mm, 1/250 sec., f 3.2, 1250 ISO. Quadratischer Ausschnitt, Schwarzweiss-Umwandlung in Silver Efex Pro 2: Augen etwas betonen, Vignette und Rand hinzufügen
Ein erstes Fazit
Ich finde es schwierig, eine Kamera nach einigen wenigen Testtagen abschliessend zu beurteilen. Darum möchte ich die nachfolgenden Gedanken als eine Art Zwischenbilanz verstanden wissen: Die Sony α7r ist eine absolut spannende Kamera, die genau den Weg einschlägt, den viele engagierte Fotografen schon lange beschreiten wollen. Der elektronische Sucher der α7r kommt zwar nicht an ein echtes DSLR-Sucherbild heran, ist aber besser als erwartet. In Verbindung mit der Zeiss-Festbrennweite liefert die Kamera Files mit einer traumhaften Fülle an Details. So wie beispielsweise die Nikon D800 verwischt sie die Grenzen zu den Mittelformatsensoren, und das mit einem attraktiv kompakten Gehäuse und zu interessanten Preisen. Die Abstriche in den hohen ISO-Zahlen kennt man bereits von der D800. Hier muss der Benutzer entscheiden, was ihm wichtiger ist – mehr Megapixel oder besseres Rauschverhalten in den sehr hohen Empfindlichkeiten. Den «Fünfer und das Weggli» – wenn auch nur zum Preis eines geschrumpfteren Bankkontos – kann man bei Sony wohl bekommen, wenn man sich gleich beide Modelle gönnt, die α7r und α7.
Über einen Adapter von Novoflex können an der α7 und der α7r praktisch alle Objektive montiert werden, auch Leica M- Objektive. Sicher für viele Fotografen ein sehr interessanter Aspekt. Autofokus gibt‘s dann natürlich keinen und auch keine Blendenautomatik. Aber vielleicht sind ja nicht alle so auf Autofokus versessen wie ich ;-). Unbedingt zu verbessern ist das Auslösegeräusch bei der Sony α7r. Die Film-Funktion konnte ich in der kurzen Zeit noch nicht testen.
Für welche Kamera würde ich mich entscheiden – für die α7 oder die α7r? Eigentlich bin ich eher ein potentieller α7-Käufer. Doch es wäre ganz nett, je einen Body der beiden Modelle mitnehmen zu können – klein sind sie ja beide. Dazu ein lichtstarkes 20er, 35er, 50er und ein 135er in der bewährten Zeiss-Qualität. Das wäre dann die Erfüllung meines eingangs erwähnten Traums.
Mit der α7 und der α7r hat Sony steil vorgelegt. Ich bin gespannt, ob und wie andere Hersteller sich inspirieren lassen und mit welchen Innovationen sie uns in diesem Photokina-Jahr 2014 überraschen. Es gibt auf jeden Fall Anlass zur Hoffnung, dass es sich wieder einmal lohnen wird, nach im September Köln zu pilgern …
Peter Schäublin
Peter Schäublin
ist Konzepter, Grafiker, Texter und Fotograf sowie Inhaber des Grafikateliers 720 Grad GmbH. Als Naturfotograf sucht er wenig bekannte Destinationen in Westkanada, Alaska und Irland auf und verwendet die dabei entstanden Aufnahmen in Grossformatdrucken und Fotobüchern. Unseren Lesern ist er auch durch verschiedene Reportagen und Erfahrungsberichte bekannt.
Danke Peter für den tollen Bericht.
Schön wäre jetzt noch wenn Du zum Vergleich eine α7 bekommen würdes.