Urs Tillmanns, 27. Mai 2014, 15:00 Uhr

Fotohistory.ch besuchte das Industrie- und Filmmuseum in Wolfen

Der zweite Höhepunkt der Bildungsreise von Fotohistory.ch war der Besuch des Industrie- und Filmmuseums in Wolfen, welches an die einst grösse Filmfabrik Europas erinnert. Hier kann man unter anderem ein komplette Begiessanlage sehen, sowie zahlreiche Anlagen und Geräte, die es zur Filmherstellung und -konfektionierung brauchte.

Wolfen-Bitterfeld, eine der wichtigsten Chemieanlagen Europas, liegt nur etwa 70 Kilometer nordwestlich von Leipzig. Hier errichtete Agfa 1903 ein Filmwerk, nachdem in Berlin auf Grund der Umweltverschmutzung durch Dampflokomotiven, bei der Filmherstellung Qualitätsprobleme auftauchten und das Industriegelände an seine Grenzen gekommen war. In den Folgejahren wurde das Werk in Wolfen laufend ausgebaut und der ständig wachsenden Nachfrage angepasst. Neben den Schwarzweissfilmen entstand 1936 hier in Wolfen auch der erste Agfacolor Farbnegativfilm, dann folgte der Zweite Weltkrieg, der dem Werk zuerst durch die Beschiessung der Amerikaner, dann durch die Demontage der Russen arg zusetzte. Nach dem Krieg lief das Werk langsam wieder an und produzierte unter der DDR-Regierung zuerst noch Filme unter dem Markennamen «Agfa» und nach 1964 unter «Orwo», was für «Original Wolfen» stand.

Wolfen Luftaufnahme

Infrarot-Aufnahme des 2 Mio. Quadratmeter grossen Agfa-Filmwerkes um 1990 (Foto: Industrie- und Filmmuseum Wolfen)

Von der inzwischen im Westen, in Leverkusen, neu angesiedelten Agfa spürte man hier wenig, weil Wolfen, politisch abgeriegelt, seine eigenen Märkte bediente. Dann kam 1989 die Wiedervereinigung Deutschlands, welche für die Wolfener Filmfabrik die schmerzliche Erkenntnis lieferte, dass nicht nur die Anlagen in Wolfen total veraltet waren und nur mit einem übermässigen Aufwand hätten nachgerüstet werden können, sondern dass über Nacht ostdeutsche Filme nicht mehr gefragt waren. Das Aus für die Wolfener Filmfabrik stand fest, und auf dem zwei Millionen Quadratmeter grosse Gelände begannen nun die Arbeiter des Filmwerks mit dem Abbruch ihrer nicht mehr benötigten Ablagen und Gebäude. Heute gibt es hier sehr viel Grünflächen und da und dort wieder Neubauten, in denen langsam wieder eine neue Industrie, vorwiegend mit Kleinbetrieben, entsteht. Und mitten drin ist ein Gebäude aus den Anfangsjahren, das mit «Industrie- und Filmmuseum Wolfen» beschriftet ist.

Filmmuseum Wolfen / Foto  Urs Tillmanns

Das Gebäude des Industrie- und Filmmuseum Wolfen – daneben ein riesiger Vorratskessel

 

Ein weltweit einzigartiges Museum

Man muss diese Vorgeschichte kennen, um die Bedeutung dieses Museums richtig einschätzen zu können. Und man muss weiter wissen, dass hier neben anderen interessanten Anlagen, eine Begiessanlage steht, auf der mehr als 50 Jahre lang Agfa- und Orwo-Filme gegossen wurden. Es ist nicht irgendeine von einst vielen solchen Begiessanlagen hier im Werk, sondern es ist exakt jene, auf der 1936 der erste Agfacolor-Film hergestellt wurde. Eine historisch bedeutungsvolle Einrichtung also, und eine, die auch die Kriegswirren heil überstanden hatte.

Filmmuseum Wolfen / Foto  Urs Tillmanns

Die Herstellung des Schichtträgermaterials findet im Hellen statt – danach geht bis zum fertigen Film das Licht aus

Das Filmmuseum Wolfen besteht aber nicht nur aus dieser Giessmaschine. Als Fotohistory.ch am 26. Mai 2014 das Museum besuchte, führte uns der Museumsleiter Uwe Holz durch die interessanten Räumlichkeiten und machte uns zuerst einmal mit den ganzen Grundlagen der Filmproduktion vertraut. Wie zunächst das transparente Trägermaterial unter normalen Lichtverhältnissen entstand, wobei die Arbeitenden extremen Chemikaliendämpfen ausgesetzt waren.

Filmmuseum Wolfen / Foto  Urs Tillmanns

In der Schmelzerei wird die Emulsion für den Guss vorbereitet und temperiert

Das Ansetzen der lichtempfindlichen Emulsion und alles was danach folgte, spielte sich im fahlen Schein eines dunkelgrünen Schutzlichtes oder in völliger Dunkelheit ab, und wir neugierigen Besucher konnten uns kaum vorstellen, wie man sich darin zurecht finden und hoch präzise Arbeiten mit geringsten Toleranzen ausführen konnte.

Uwe Holz erklärt uns, wie präzise die flüssige Emulsion auf den Schichtträger angetragen wird

Auf dieser Begiessanlage wurden 1936 die ersten dreischichtigen Agfacolor-Filme gegossen

Die Begiessmaschine selbst repräsentiert die Technologie von 1936 und steht den modernen Anlagen, die inzwischen verschrottet wurden, bezüglich Produktionskapazität etwa um den Faktor 20 nach.

Filmmuseum Wolfen / Foto  Urs Tillmanns

Uwe Holz erklärt uns, wie präzise die flüssige Emulsion auf den Schichtträger angetragen wird

Dennoch ist es beeindruckend zu sehen und erklärt zu bekommen, mit welcher Präzision die flüssige Emulsion auf den Schichtträger gegossen wurde, welche Reinheitsvorschriften dabei eingehalten werden mussten, und wie das Material am Ende des langen Trockentunnel schliesslich zu einer Grossrolle von 300 Meter Länge und 1,2 Meter Breite aufgespult wurde.

Filmmuseum Wolfen / Foto  Urs Tillmanns

Im staubfreien Trockentunnel wird die endlose Filmbahn getrocknet und danach zur Grossrolle aufgespult

Von der Grossrolle zum fertig verpackten Film ist es jedoch noch ein langer Weg. Im Konfektionierungsraum wird gezeigt, wie die Grossrolle in die gewünschten Breiten für Kleinbildfilm, Rollfilm oder Planfilm geschnitten wird, wie eine Perforationsmaschine arbeitete und wie viele verschiedene Arten von Perforationen es gab, und wie schliesslich der Film abgelängt und in die lichtdichte Patrone gespult wurde.

Uwe Holz erklärt uns, wie präzise die flüssige Emulsion auf den Schichtträger angetragen wird

Im Filmmuseum Wolfen gibt es noch eine Kamerasammlung mit ca 600 Fotoapparaten, darunter diese gigantische Reprokamera

Heute ist das alles vorbei, und glücklicherweise können wir noch unseren Kindern und Enkeln noch an einem Ort der Welt – hier in Wolfen – erklären, was einst Film war und wie dieses ausserordentlich komplexe Produkt hergestellt wurde. Bleibt zu hoffen, dass die Stadtväter von Wolfen wissen, welches Kleinod sie hier beherbergen und dass man diese Industriekultur gepflegt für die Nachwelt erhalten muss.

Uwe Holz erklärt uns, wie präzise die flüssige Emulsion auf den Schichtträger angetragen wird

Wir von Fotohistory.ch haben hier einen unvergesslichen Tag erlebt, und wir möchten uns bei Uwe Holz und seinem Team für die fachlich kompetente und spannende Führung bedanken.

Urs Tillmanns (Text und Bilder)

 

Weitere Informationen über das Filmmuseum Wolfen lesen Sie auf www.ifm-wolfen.de oder in unserem früheren Artikel vom 6. November 2011

Industrie- und Filmmuseum Wolfen
Chemiepark Bitterfeld-Wolfen, Areal A
Bunsenstrasse 4
DE-06766 Bitterfeld-Wolfen
Tel.: 0049 3494 63 64 46

 

 

Zum Schluss noch eine Kostbarkeit für unsere Eisenbahnfans

Filmmuseum Wolfen / Urs Tillmanns

Solche Dampfspeicher-Lokomotiven transportierten auf dem Gelände der Filmfabrik Wolfen die Materialzüge. Sie besassen keine Feuerung, vermieden dadurch den gefährlichen Funkenwurf und wurden nur mit Dampfdruck betrieben.

 

 

 

2 Kommentare zu “Fotohistory.ch besuchte das Industrie- und Filmmuseum in Wolfen”

  1. Wenn ich Wolfen höre oder lese, denke ich immer an die vielen Orwo-Diafilme UT18 welche ich in den 70ern bei mehrwöchigen Ferien in meiner Ex-Heimat Polen nicht nur kaufte sondern auch über Nacht entwickeln liess. Oefters waren die Entwicklungen eine Katastrophe. Braunstich, Kratzer. Es hat lange gedauert bis ich auf die Idee kam diese in Stuttgart bei Foto Anemie korrekt entwickeln zu lassen. Kodak-Diafilm war halt damals für einen Schüler recht kostspielig. Bei Film darf man nicht sparen. Ausser für Kunst…

  2. Bei Foto Anemie in Stuttgart stand am Engang groß geschrieben KODAK,
    jedoch der Überwiegende Teil der Maschinen zum Entwickeln der Filme und
    printen von Bildern geschah mit AGFA Maschinen.

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