Christoph Bangert schockiert mit seinem Buch «War Porn». Er zeigt die wahre Seite den Krieges – Bilder, die kein Bildredakteur veröffentlichen würde. Das Buch ist eine Zumutung, und man muss sich überwinden, die zum Teil bewusst verschlossenen Seiten aufzuschneiden. Und doch dürfen wir uns dieser fürchterlichen Realität aktueller Kriege nicht verschliessen …
«Nutze ich die Menschen in meinen Bildern aus? Ist es moralisch zu rechtfertigen, als Fotograf in Kriegsgebieten zu arbeiten? Warum sind wir alle von Bildern des Elends anderer angezogen? Produziere ich Kriegs-Pornographie? »
Christoph Bangert stellt diese Fragen an den Anfang des Buches. Es ist «ein rohes, intensives und schockierendes Buch über den Krieg», wie Bangert im Untertitel bekennt. Schockierend wie Pronografie – nur eben über den Krieg. Deshalb «War Porn».
Die Bilder sind in den letzten zehn Jahren in Afghanistan, Irak, Indonesien, Libanon und Gaza entstanden und zeigen die härtesten und brutalsten Realitäten des Krieges. Es sind Bilder, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, die von jedem Bildredakteur zurückgewiesen würden und bei denen man sich fast zwingen muss hinzusehen. Ist der Krieg wirklich so brutal? Wir sehen in den Medien nur die «beschönigten» Bilder, die zumutbaren eben. Nur wer an der Front war, kennt das wahre Gesicht dieser Grausamkeiten – die Soldaten, der Fotograf und natürlich die Opfer. Das Buch zeigt diese Wahrheit – eine schockierende Wahrheit.
Braucht es diese Bilder? «Ist es moralisch zu rechtfertigen, als Fotograf in Kriegsgebieten zu arbeiten?» frägt sich Bangert. Ja, es braucht sie, und es braucht Fotografen wie Bangert, die ihr Leben täglich aufs Spiel setzen, um die Welt aufzurütteln und jenen Wahnsinn zu zeigen, den wir eigentlich gar nicht sehen wollen.
Die fotografische Qualität der Bilder ist bei Kriegsfotos zweitrangig. Was hier zählt ist einzig und alleine die Bildaussage. Es sind Dokumente, die uns zeigen, wie diese Menschen leiden, wie die Opfer verstümmelt wurden und in welch misslichen Verhältnissen die Überlebenden versuchen eine neue Existenz aufzubauen. Bangert sagt, dass die Opfer vielfach sogar wollen, dass diese Bilder publiziert werden, dass ihre missliche und hoffnungslose Lage und ihr unsägliches Leid an die Weltöffentlichkeit getragen wird. Das ist Teil des Auftrags, welche Kriegsfotografen zu erfüllen haben.
Wir beschränken uns in dieser Buchbesprechung auf drei Bilder von 98 Bildern, die für den Inhalt nicht einmal repräsentativ sind. Es gibt noch brutalere, deren Publikation kaum zumutbare wäre, umso mehr als uns der Verlag bat, nicht mehr als drei Bilder zu veröffentlichen. Das Buch ist auf der Vorderseite nicht geschnitten, so dass viele Seiten verschlossen sind und mit einem Messer der Perforation entlang aufgeschnitten werden müssen – wenn man wirklich noch mehr sehen will. Allerdings sind es nicht die schlimmsten Bilder, die sich so zunächst dem Durchblättern entziehen wollen.
Das Buch präsentiert sich in sehr ungewöhnlicher Art. Mit dem offenen Rücken, dem dicken Graukarton und alter Schreibmaschinenschrift als Typografie wirkt es als Rohbuch unfertig und improvisiert. Das ist Absicht: Es soll wie ein handgemachtes, privates Journal wirken – als etwas, was man nicht unbedingt weitergibt sondern für sich behält. Es dürfte auch als sehr eigenständiges und aussergewöhnliches Buch von bibliophilen Sammlern begehrt werden und von Leuten, welche sich für eine weitgehend unbekannte Sparte der Fotografie interessieren.
Christoph Bangert schliesst das Buch mit einer 14-seitigen Hommage an seinen Grossvater, der als überzeugter Nazi den Zweiten Weltkrieg in Russland als Oberarzt miterlebte und immer nur Positives und von seinem Pferd erzählt hatte. Vielleicht waren es diese Jugenderlebnisse, welche später den Fotografen Christoph Bangert ebenfalls in Kriegsgebiete trieb, um seine Mission zu erfüllen. Eine Mission, die uns Bilder bringt, auf die wir nicht verzichten dürfen …
Urs Tillmanns
Buchbeschreibung des Verlages
Ein rohes, intensives und schockierendes Buch über den Krieg
«Nutze ich die Menschen in meinen Bildern aus? Ist es moralisch zu rechtfertigen, als Fotograf in Kriegsgebieten zu arbeiten? Warum sind wir alle von Bildern des Elends anderer angezogen? Produziere ich Kriegs-Pornographie? »
Christoph Bangert arbeitet für internationale Medien als Fotograf in Krisengebieten und sieht sich oft einem Dilemma gegenüber: Einerseits versucht er, Geschehnisse getreu seiner Wahrnehmung abzubilden, andererseits muss er dies mit diversen Schichten der Selbstzensur vereinbaren. Die erste Zensur findet im Kopf des Fotografen statt – bei manchen Bildern im Buch erinnert sich Bangert nicht daran, sie gemacht zu haben. Die zweite Ebene der Zensur findet bei den publizierenden Medien statt, die dritte schliesslich beim Betrachter.
Bangert wagt nun das Experiment, Zensur und Selbstzensur einmal völlig auszuschalten: In «War Porn» versammelt er Fotografien der letzten zehn Jahre aus Afghanistan, Irak, Indonesien, Libanon und Gaza. Das Ergebnis ist ein rohes, intensives, kontroverses und schockierendes Buch. Es ist sowohl in höchstem Masse persönlich als auch ehrlich in seinem Bestreben, einen anderen Blick auf unsere Welt zu werfen.
Gestaltet von Teun van der Heijden, Chiho Bangert and Klaus Kehrer ist das Buch auch ein Sammlerstück: Durch das zurückgenommene Format, den einfachen Pappeinband mit offenem Rücken und dem Titel in Schreibmaschinen-Typo wirkt es wie ein handgemachtes, privates Journal. Einige Doppelseiten im Buch sind unbeschnitten, also geschlossen. Der Leser kann sie entlang einer Perforation öffnen und so selbst entscheiden, wie viele der Bilder er sehen möchte, wie viele er ertragen kann.
Christoph Bangert (*1978 in Daun in der Eifel) studierte Fotodesign an der Fachhochschule Dortmund. 2002 unterbrach er sein Studium und reiste mit einem Landrover in sechs Monaten von Buenos Aires nach New York. Die Bilder dieser Reise erschienen als Buch mit dem Titel «Travel Notes». Am International Center of Photography in New York studierte Christoph Bangert Fotojournalismus und arbeitet seit seinem Abschluss als freier Fotograf, unter anderem in Palästina, Japan, Darfur, Afghanistan, Indonesien, Pakistan, den USA, Libanon, Nigeria, Simbabwe und im Irak, wo er den Krieg für die New York Times dokumentierte. Seine Bilder wurden in dem Bildband «IRAQ: The Space between/IRAK: Schweigendes Land» veröffentlicht. Seine Reportagen erscheinen in führenden internationalen Publikationen und er fotografiert regelmässig im Auftrag für New York Times, Neue Zürcher Zeitung und Stern.
Für seine Arbeit erhielt Bangert Auszeichnungen wie World Press Photo und POYi. 2007 nahm er an der Joop Swart Masterclass teil. Nach seiner Rückkehr von einer 14 monatigen Überlandreise durch Afrika veröffentlichte er 2013 das Buch «Africa Overland». Derzeit arbeitet er an einem Langzeitprojekt über die Atomkatastrophe in Fukushima.
Bangert lebt mit seiner Frau Chiho – einer japanischen Fotografin und Grafikdesignerin – und zwei Töchtern bei Zürich.
Christoph Bangert
«War Porn»
Fotos und Text von Christoph Bangert
Gestaltet von Teun van der Heijden, Chiho Bangert, Klaus Kehrer
Festeinband, offener Rücken
Format: 12 x 16 cm
Umfang: 192 Seiten
98 Farbabbildungen
Text: Englisch
Kehrer Verlag, Heidelberg
ISBN 978-3-86828-497-3
Preis: CHF 44.90, Euro 29,90
Das Buch kann hier online bestellt werden