Wer sich mit Astronomie und Astrofotografie befasst, wird schon bald auf das Alpine Astrovillage Lü-Stailas stossen. Die beiden Wissenschaftler Vaclav und Jitka Ourednik führen dieses Forschungs- und Ausbildungszentrum im Engadin als private Institution und haben sich mit Kursen und fantastischen Bildern des Weltalls einen Namen gemacht.
Lü war vor ihrer Eingemeindung die höchstgelegene Gemeinde Europas. Man findet das auf fast 2000 Metern gelegene Engadiner-Dörfchen auf der Karte jenseits vom Ofenpass, hoch oben auf der Südflanke des Val Müstair unweit der italienischen Grenze. Heute zählt Lü noch etwa 65 Einwohner – zwei davon sind Vaclav und Jitka Ourednik. Sie betreiben hier das Alpine Astrovillage, ein Forschungs- und Beobachtungszentrum für Astronomie und Astrofotografie, das als eine von weltweit wenigen vergleichbaren Institutionen Workshops für Einsteiger und Fortgeschrittene anbietet. Die beiden ursprünglich aus der früheren Tschechoslowakei stammenden Naturwissenschaftler und Hirnforscher Vaclav und Jitka Ourednik lernten sich in Lausanne kennen, lebten rund zwölf Jahre in den Vereinigten Staaten und kehrten danach in die Schweiz zurück.
Lü, die einst höchstgelegene Gemeinde Europas, liegt auf der Südflanke des Val Müstair und zählt heute noch etwa 65 Einwohner
Wie kamen Sie ausgerechnet auf Lü? «Die Suche nach einem geeigneten Ort für astronomische Beobachtungen war nicht gerade einfach» erinnert sich Vaclav. «Wir suchten einen hochgelegenen Ort, wo die Lichtverschmutzung minim, die Luft möglichst trocken, das Wetter im Jahresdurschnitt möglichst gut und damit die Sicht möglichst klar war. Zudem sollten auch die Zufahrts- und Einkaufsmöglichkeiten gewährleistet sein. Zur Lösung zogen wir Google Earth heran. Wir haben unzählige Stunden damit zugebracht, verschiedene Optionen abzuwägen. Zum Schluss blieben nur drei: in den USA zu bleiben, eine im Wallis und eine im Engadin – in Lü. Schliesslich entschieden wir uns für die Schweiz und das Münstertal, das zwar etwas abgelegen ist, aber abgesehen von den klaren Nächten auch bezüglich seiner Wandermöglichkeiten und Naturbelassenheit mit dem UNESCO Biosphären-Reservat und dem nahegelegenen Nationalpark eine sehr hohe Lebensqualität bietet.»
Im ehemaligen Schulhaus und mit einer imposanten Kuppelanlage betreiben Vaclav und Jitka Ourednik hier das Astrovillage
Die Wahl dürfte richtig gewesen sein: In Lü bieten sich mit einer relativ trockenen Luft bis zu 150 klare Nächte pro Jahr zur Himmelsbeobachtung an. Die Lichtverschmutzung – die Lichtreflexion in der Atmosphäre – ist zehnmal geringer als in Zürich, das heisst, wenn wir in Zürich in einer klaren Nacht 500 Sterne sehen, kann man in Lü 5’000 Himmelskörper beobachten und fotografieren.
Sie haben Lü als Standort gewählt, weil hier die Sichtverhältnisse besonders vorteilhaft sind. Die Luft ist etwa zehnmal sauberer als in Zürich
Welches sind die Gründe für die erhöhte Lichtverschmutzung? «Erstens einmal unser steigender Energieverbrauch und die Meinung, viele Gebäude und Strassen die ganze Nacht in Licht baden zu müssen. So werden immer mehr Lichtquellen genutzt, und diese strahlen eben auch in die Atmosphäre ab. Durch Schwebepartikel und Wassertropfen in der Luft entsteht ein Lichtdom über den Städten, der uns die Sicht auf den Nachthimmel nimmt. Dies verspürt man in Lü zum Glück fast gar nicht, doch hat sich leider wegen der Wetterentwicklung der letzten beiden Jahre die Anzahl klarer Nächte hier doch auch massiv verringert. Ob die globale Klimaerwärmung einen negativen Einfluss auf diese Entwicklung hat, und ob diese Tendenz vorübergehend oder andauernd ist, ist schwierig zu sagen. »
Milchstrasse im Val Muestair. Copyright Vaclav & Jitka Ourednik, AAV Lü-Stailas
Wie haben die Leute hier in Lü reagiert, als Sie Ihr Projekt des Astrovillage präsentierten? «Nun, es war schon etwas Überzeugungsarbeit notwendig, vor allem weil es nichts Vergleichbares gab, an dem man sich die Erfolgschancen hätte ausmalen können. Doch sowohl Gemeinde wie auch der Kanton zeigten eine sehr positive Einstellung. Finanziell wurde das Projekt unter anderem durch unser eigenes Kapital, einen bescheidenen Aktienverkauf unserer gemeinnützigen AG, ein kantonales NRP (Neue Regionalpolitik) -Darlehen mit einem symbolischen Zuschuss à fonds perdu, Hypotheken und einige bescheidene Donationen abgestützt.»
«Pferdekopfnebel», Copyright Vaclav & Jitka Ourednik, AAV Lü-Stailas
Und wie sieht heute die Erfolgsrechnung aus? «Unberechenbar – wie das Wetter. Insgesamt stellen wir für die Kurse eine erfreulich steigende Nachfrage fest, weil das Astrovillage immer bekannter wird. Meist können die Kurse problemlos durchgeführt werden, doch immer häufiger müssen sie des Wetters wegen verschoben werden. Das zehrt am Geldbeutel und ist ein grosses unternehmerisches Risiko, da sich Zinszahlungen und Amortisation der Darlehen leider nicht nach dem Wetter richten. Deshalb haben wir mittlerweile auch angefangen, Kurse im Ausland wie auf La Palma, in Marokko oder in Namibia (in Zusammenarbeit mit dem Zentrum Bildung in Baden) anzubieten.»
Rho-Ophiuchi-Komplex. Copyright Vaclav & Jitka Ourednik, AAV Lü-Stailas
Wer sind Ihre Besucher? «Es sind einerseits die ‚Angefressenen‘, welche die Himmelsbeobachtung zu ihrem Hobby gemacht haben, und es sind andererseits die Einsteiger, die alles über Astronomie und Astrofotografie erfahren wollen. Den Einen geht es mehr um die Beobachtung der Himmelphänomene, den Anderen um die optimale Handhabung und Einstellung ihrer oft gerade neu erworbenen Geräte. Zudem haben wir auch mehr und mehr Hobby-Fotografen, die den Einstieg in die Astrofotografie wagen möchten.»
«Rosetten-Nebel». Copyright Vaclav & Jitka Ourednik, AAV Lü-Stailas
Wie vermitteln Sie den Einsteigern das Grundwissen? «Wenn man die Astronomie richtig erfassen will, dann führt der erste Schritt nicht gleich zum Teleskop. Es ist zunächst wichtig etwas über die Grundlagen zu erfahren: über die Bewegung der Himmelskörper und die Dimensionen des Universums zum Beispiel, den Charakter und Aufbau der Objekte, die man da oben finden kann, über den Aufwand und die Möglichkeiten, welche heute der Beobachtung und Himmelsfotografie zur Verfügung stehen – und vor allem, dass es in der Astronomie viel, viel Geduld braucht. Um dies alles verständlich zu machen, bieten wir auch einfache Workshops an, in denen wir den Interessenten das Gebiet ’schmackhaft‘ machen wollen. Das machen wir zum Beispiel auch in Zusammenarbeit mit dem Zentrum Bildung in Baden. [Der nächste Workshop findet am 6. September 2014 statt und ist vormittags kostenlos. Anm. d. Red.] Mit solchen Schnupper-Workshops haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht, und viele Besucher fahren dann mit dem einen oder anderen mehrtägigen Kurs in Lü weiter.»
Galaxie M51 mit_Supernova. Copyright Vaclav & Jitka Ourednik, AAV Lü-Stailas
Was braucht es für die Himmelsfotografie? «Das Spektrum reicht von einer Spiegelreflexkamera mit Live-View und einem starken Teleobjektiv bis hin zum professionellen Teleskop mit gekühlter CCD Astro-Kamera für mehrere Zehntausend Franken. Will man seine Spiegelreflexkamera optimal für die Astrofotografie einrichten, so sollte der Infrarot-Sperrfilter vor dem Sensor entfernt und durch ein Klarglas ersetzt werden. Diesen Service bieten gewisse Firmen an. Neuestens gibt es Kameras, die bereits über eine entsprechende Filtermodifikation verfügen, so wie etwa die EOS 20Da und die EOS 60Da von Canon. Diese haben somit eine erhöhte Rotempfindlichkeit für die in der Deep Sky-Fotografie so wichtige H-alpha Linie von 656 Nanometern und sind somit grundsätzlich für die Astrofotografie geeigneter. »
Trifid-Nebel. Copyright Vaclav & Jitka Ourednik, AAV Lü-Stailas
Worauf muss man noch achten? «Zunächst beginnt die Himmelsfotografie mit einem einem lichtstarken, mittel- bis langbrennweitigen Objektiv und einer geeigneten Kamera auf einem Stativ. Dann muss man einige Grundregeln kennen, zum Beispiel, dass man manuell fokussiert, dass man den RAW-Modus wählt, dass man meistens die automatische Rauschunterdrückung abschaltet (man kalibriert die Aufnahmen später selber) und den Weissabgleich der erhöhten Rotempfindlichkeit anpassen muss und dass man am besten mit Empfindlichkeiten zwischen ISO 800 bis 2000 fotografiert. Dann muss man wissen, bis wann man Momentaufnahmen machen kann und ab wann Langzeitbelichtungen mit automatisch nachgeführter Kamera erforderlich sind. Und damit haben wir erst etwas an der Oberfläche der Materie gekratzt – denn erst jetzt kommt die Praxis …
Orion-Nebel. Copyright Vaclav & Jitka Ourednik, AAV Lü-Stailas
Wie läuft ein solcher Kurs ab und wer sind die Teilnehmer? «Es sind meistens mehrtägige Kurse, bei denen man sich tagsüber mit Theorie oder mit der Sonnenbeobachtung befasst und nachts mit der praktischen Astronomie. Die Teilnehmer sind oft die schon besprochenen Einsteiger in die Himmelsfotografie, dann aber auch viele Stammkunden, die unsere Einrichtungen nutzen und von den vorteilhaften Beobachtungsbedingungen profitieren wollen. Wir arbeiten in kleinen Gruppen oder auch individuell, und jeder Kurs präsentiert sich wieder anders, weil die Weiten des Universums ebenso unendlich sind wie der Gesprächsstoff darüber. Es sind oft lange Nächte, bei denen man mit viel Geduld das Himmelszelt erforscht. Und je mehr Geduld man dabei übt, desto stärker wird man belohnt. Die Natur gibt uns immer unendlich viel zurück …
Urs Tillmanns
Vaclav und Jitka Ourednikstammen aus Prag und haben 30 Jahre lang in der Forschung an renommierten Universitäten in Kanada, in den USA und in der Schweiz gearbeitet. Seit 2009 betreiben Sie das Alpine Astrovillage Lü-Stailas in Lü. Jitka und Vaclav Ourednik |
Wichtige Informationen:
Alpines Astrovillage Lü-Stailas: www.alpineastrovillage.net/
Grundlagen-Workshop im Zentrum Bildung am 6. September 2014 in Baden:
www.zentrumbildung.ch/astrofotografie