Sollte es am Wochenende wieder einmal regnen, so wäre ein Museumsbesuch in Winterthur zu empfehlen. Das Fotomuseum und die Fotostiftung sind unmittelbare Nachbarn, und beide zeigen zur Zeit sehr sehenswerte Ausstellungen: «1914-18 Bilder von der Grenze» in der Fotostiftung und «Robert Adams – The Place we Live» im Fotomuseum.
Fotomuseum: «Robert Adams – The Place we Live»
Robert Adams (* 1937) ist der wichtigste lebende Landschaftsfotograf des amerikanischen Westens. Bekannt geworden ist er vor allem mit seinen nüchternen nuancierten Fotografien der wuchernden Vorstädte von Colorado während der späten 1960er Jahre, die in seinem bahnbrechenden Buch «The New West» (1974) publiziert wurden. Er war einer der einflussreichsten Teilnehmer der legendären Ausstellung «New Topographics: Photographs of a Man-Altered Landscape», die 1975 vom International Museum of Photography and Film, Rochester in New York organisiert wurde. Diese Ausstellung stand für eine formal radikale Landschaftsfotografie ein. Die romantischen und symbolistischen Vorlieben der amerikanischen Moderne wurden durch eine unpersönlichere, neutralere Vision ersetzt.
Robert Adams: «Ranch Northeast of Keota, Colorado», 1969 (Yale University Art Gallery, Schenkung von Saundra B. Lane und Zuschüssen aus dem Trellis Fund sowie dem Janet and Simeon Braguin Fund). © Robert Adams
Einerseits offenbaren die Bilder das zunehmend gestörte Verhältnis der Menschen zu ihrer natürlichen Umwelt. Bilder von verlassenen Autobahnen, Rodungen und sich ausbreitenden Vorstädten dokumentieren, wie sich ein unbehindertes städtisches Wachstum und die gedankenlose Ausbeutung natürlicher Ressourcen auf die Landschaften auswirken. Andererseits widersetzt sich Adams‘ Schwarz-Weiss-Fotografie allzu einfachen Interpretationen und legt mit feiner Präzision alle Ambivalenzen des heutigen Lebensstils offen.
Robert Adams: «Santa Ana Wash, San Bernardino County, California», 1982 (Yale University Art Gallery, Schenkung von Saundra B. Lane und Zuschüssen aus dem Trellis Fund sowie dem Janet and Simeon Braguin Fund). © Robert Adams
Weitere wichtige Projekte in unserer Ausstellung sind Our Lives Our Children (1979–1983), eine entwaffnend zärtliche Porträt-Serie von Menschen, die im Schatten einer nahen nuklearen Waffenfabrik leben; und Turning Back (1999–2003), eine Werkgruppe über eine von Flächenrodungen zerstörte Landschaft im Pazifischen Nordwesten, Adams‘ heutiger Heimat. Als erste grosse Retrospektive von Adams‘ Werk in Europa offenbart «The Place We Live» die überwältigende und urwüchsige Kraft der amerikanischen Landschaften.
Robert Adams: «Lakewood, Colorado, 1968-71» (Yale University Art Gallery, Schenkung von Saundra B. Lane und Zuschüssen aus dem Trellis Fund sowie dem Janet and Simeon Braguin Fund). © Robert Adams
Eine Ausstellung der Yale University Art Gallery. Kuratoren: Joshua Chuang und Jock Reynolds.
Noch bis 31. August 2014 zu sehen im Fotomuseum Winterthur.
Fotostiftung: «1914/18 – Bilder von der Grenze»
Der Erste Weltkrieg hat nicht nur eine neuartige, verheerende Kriegsmaschinerie und bis dahin unbekannte Massenvernichtungsmittel hervorgebracht, es war auch der erste Krieg, in dem moderne Massenmedien und visuelle Kommunikation (mit Film und Fotografie) eine herausragende Rolle spielten. Obschon die fotografische Berichterstattung noch wenig entwickelt war – Fotoreportagen, wie wir sie aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs kennen, fehlten noch weitgehend –, gibt es eine Fülle von fotografischen Zeugnissen, die einen unmittelbaren und lebendigen Einblick in den militärischen und zivilen Alltag sowie das Fühlen und Denken einer ganzen Generation geben.
Fotopostkarte, um 1915, Sammlung Fotostiftung Schweiz
Zu den aufschlussreichsten Bilddokumenten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs gehören Fotopostkarten. Diese Karten, die von den Soldaten 100’000fach an die Lieben zu Hause verschickt wurden, waren nicht einfach industriell hergestellte Drucksachen. Vielmehr handelt es sich um originale Fotografien, häufig von Amateuren vor Ort gemacht und in Kleinstauflagen auf Fotopapier vergrössert: Porträts im Freien, Szenen aus der Küche oder im Lazarett, Männer in geselliger Runde und im Kontakt mit der Zivilbevölkerung. In ihrer vordergründigen Harmlosigkeit erscheinen sie wie ein kollektives Beruhigungsmittel, ein Massenmedium zur Verdrängung von Angst und Ungewissheit. Sie verraten aber auch, wie die Schweizer Grenzbesetzung 1914/18 täglich erlebt und wie der Grosse Krieg wahrgenommen wurde —mit unterschwelligen Botschaften über die Absurdität des Kriegs, die Solidarität der Schicksalsgemeinschaft, das endlose Warten auf den Ernstfall oder die Ohnmacht gegenüber den weltpolitischen Entwicklungen.
Fotopostkarte, um 1915, Sammlung Fotostiftung Schweiz
Die Fotostiftung Schweiz hat in den letzten Jahren über 1000 dieser berührenden Zeugnisse zusammengetragen, die nun zum ersten Mal —parallel zur Installation «Kreuzweg» von Stephan Schenk mit grossformatigen Tapisserien — präsentiert werden. Die Auslegeordnung der Fotostiftung bietet keine dokumentarische Illustration zur Wirklichkeit des Ersten Weltkriegs. Und doch ergibt sich daraus ein höchst authentischer Spiegel einer Welt im Ausnahmezustand.
Fotopostkarte, um 1914, Sammlung Fotostiftung Schweiz
Dazu gibt es noch das Buch «Schöner wär’s daheim», herausgegeben von Peter Pfrunder / Fotostiftung Schweiz im Limmat Verlag, Zürich, sowie den Dokumentarfilm «Schöner wär’s daheim» von Heinz Bütler produziert von NZZ Format / Fotostiftung Schweiz. Der Film wird als Teil der Ausstellung präsentiert und ist Bestandteil der DVD-Reihe «Bilderwelten vom Grossen Krieg. 1914-1918 von Heinz Bütler und Alexander Kluge
Die Ausstellung ist noch bis 12. Oktober 2014 zu sehen in der Fotostiftung Winterthur.
Eine Übersicht aller wichtigen aktuellen und geplanten Ausstellungen und Fotoevents finden Sie laufend aktualisiert auf www.fotoagenda.ch