Hansueli Trachsel, lange Zeit Fotograf bei der Zeitung «Der Bund», hat einen neuen Bildband publiziert über den Fischer Nikos und die Kultur von Ostkreta. Gleichzeitig wurde im Berner Kornhausforum die Ausstellung dazu eröffnet, die noch bis zum 21. Februar 2015 zu sehen ist. Wir wollten von Hansueli Trachsel mehr über Nikos erfahren.
Fotointern.ch: Hansueli Trachsel, sprechen Sie Griechisch?
Hansueli Trachsel: Mittlerweile brockenweise – aber ich bin dabei, es zu lernen. Als ich jedoch dieses Projekt vor fast 20 Jahren begann, habe ich mich nur nonverbal mit den Leute verständigen können, bis auf wenige, die etwas Englisch konnten.
Fast zwei Jahrzehnte, das ist eine lange Zeit für ein Fotoprojekt. Wie ist es dazu gekommen?
Es war auch nicht von Anfang an als geschlossenes Fotoprojekt gedacht, das ist erst später daraus erwachsen. Nikos habe ich vor langer Zeit kennengelernt, als er in «unserem» Hotel im Osten der Insel arbeitete. Wir hatten uns sehr schnell gut verstanden. In dieser Region sind nur wenige Touristen anzutreffen und die Menschen pflegen noch die urtümlichen Gebräuche. Darum bin ich in Palekastro hängengeblieben. Seither fahre ich jedes Jahr einmal oder sogar mehrmals hin.
Hansueli Trachsel im Kornhausforum Bern. Seine Ausstellung dauert noch bis 21. Februar 2015
Und so wurde das Leben in Ostkreta zum fotografischen Reportagethema …
Schon, aber ganz so schnell ging es auch wieder nicht. Zuerst wollte ich Land und Leute kennenlernen. Nikos hat mich überall eingeführt, bei seiner Familie, in der Hafenkneipe. Dann habe ich die beiden Giannis kennengelernt, den Lyra-Macher und den Wander-Imker, der mehrmals im Jahr seine 50 Bienenstöcken vom Meer in die Berge und wieder hinunter zügelt – immer dorthin, wo die entsprechenden Futterpflanzen blühen. Die Kamera blieb zunächst im Hintergrund. Mich interessierten die Leute, ihre Lebensweise, ihre Kultur und ihre Lebenseinstellung. Und ich habe viel von ihnen gelernt …
Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Ihre Lebensphilosophie. Sie leben hauptsächlich von dem, was ihnen die Natur bietet. Viele sind Selbstversorger und gehen mehreren Beschäftigungen nach, um überleben zu können. Nikos ist Fischer, aber er ist auch Bauer und erntet Oliven zur Ölproduktion. Die eine Tochter bäckt das spezielle harte Brot, ein kretischen Zwieback, das nicht nur wunderbar schmeckt, sondern auch monatelang haltbar bleibt. Evangelia weiss wo sie die vitaminreichsten Wildkräuter findet – ihre Grossmutter hat es ihr verraten – und Andreas, der Bruder von Nikos, sammelt an der Küste in den Tümpeln von der Sonne getrocknetes Salz … so hilft man sich gegenseitig aus und überlebt in der Gemeinschaft – und dies erst noch mit einer sehr hohen Lebensqualität.
Diese breite Tätigkeit kommt ja auch in den verschiedenen Kapiteln und Bildstrecken des Buches zum Ausdruck …
Richtig. Nikos ist nicht nur Fischer. Und es war mir von Anfang an klar, dass ich das breite Lebensspektrum dieser Leute visualisieren wollte. Ich wollte auch zeigen, wie das Brot gebacken wird, wie die Oliven angebaut werden, wie Giannis seine Lyras baut, ich konnte den Feierabend der Leute in der Taverne miterleben, Teil von Nikos Familie sein …
Wie kam es dann zur ersten Bootsfahrt mit Nikos?
Nun, eines Tages habe ich ihn gefragt, ob ich mal mit ihm «raus» dürfe. Zuerst war er zögerlich. Die kretischen Fischerboote sind nicht sehr gross. Sie sind reine Arbeitsbarken und jeder Passagier, der nicht Hand anlegen kann, ist nicht unbedingt willkommen. Eines Tages hat es dann doch geklappt …
Das Eis war gebrochen …
Eis hatte es eigentlich gar nie gegeben. Ich wollte mich ganz einfach nicht aufdrängen und à tout prix Fotos machen. Die Leute mussten Vertrauen in mich gewinnen, nicht nur Nikos und seine Familie sondern auch all die andern im Dorf. Als ich das nächste Mal kam brachte ich die Bilder mit. Wir müssen verstehen, das sind Leute, die nicht den selben Bezug zur Fotografie haben wie wir, obwohl auf ihren Kommoden ganze Sammlungen von gerahmten Familienbildern stehen. Sie freuten sich jedesmal sehr darüber, dass ich ihnen als kleine Gegenleistung für ihre Herzlichkeit auch etwas bieten konnte.
Die Bilder sind alle schwarzweiss und grösstenteils in der Analogzeit entstanden. Gibt auch digitale neueren Datums darunter?
Nein, das wäre ein Stilbruch. Es sind durchwegs alle Bilder schwarzweiss und auf Film gemacht. Das ist meine Welt und eine Welt der Fotografie, die authentisch und realistisch ist. Das Mystische, das Langsame der analogen Fotografie, passt auch ausgezeichnet zur Stimmung und zur dortigen Lebensweise. Es steckt sehr viel Herzblut in diesen Bildern – und in der Art, wie sie in der Dunkelkammer entstehen. Wenn ich für meine Fotoaufträge heute digital arbeite – eigentlich arbeiten muss – so ist die analoge Fotografie mit dem Filmentwickeln und dem von Hand Vergrössern immer noch meine wirkliche Passion. Das habe ich gerade in den letzten Monaten wieder gemerkt, als ich die Vergrösserungen für die Ausstellung im Kornhaus machte.
Wann entstand dann die Buchidee?
Die Idee aus den Bildern, die in den letzten 16 Jahren entstanden waren, ein Buch zu machen, konkretisierte sich erst vor ein paar Jahren. Ich habe meinen kretischen Freunden immer nur Einzelbilder gezeigt, die ich dann plötzlich fein säuberlich gerahmt in den Tavernen oder bei Freunden zu Hause an den Wänden wiedersah. Einmal habe ich dann für mich ein Fotobuch als Einzelexemplar gestaltet, das ich dann bei meinem nächsten Besuch in Kreta zeigte. Und damit kam der Stein ins Rollen …
Das Buch ist ja viersprachig (Deutsch, Griechisch, Englisch und Französisch) und es gibt zwei Verleger, einer in der Schweiz, Stämpfli, und einer in Griechenland. Wie kam es dazu?
Nun, es zeigte sich schon bald, dass für das Buch eines wenig bekannten Teils der Insel ein lokales Potential vorhanden ist. Vor allem für Touristen dürfte es eine schöne Erinnerung an ihre Urlaubserlebnisse sein, zumal es noch kein vergleichbares Buch über diesen Landesteil gibt. Damit war auch die Viersprachigkeit gegeben, und es musste nur noch ein Verleger gefunden werden, der an Herstellung und der Vermarktung in Griechenland interessiert war. Mit dem Mystis Verlag in Heraklion habe ich diesen auch schnell gefunden.
Wie entwickelte sich dann die Zusammenarbeit mit den beiden Verlagen bei der Gestaltung und der Produktion?
Es war von Anfang an klar, dass das Buch in Griechenland produziert werden sollte, nicht zuletzt auch aus Kostengründen. Die Buchgestaltung verlief dann ziemlich problemlos, nachdem ein Grundraster des Schweizer Verlages vorlag. Was sich naturgemäss als schwierig und zeitraubend entpuppte, waren die Korrekturdurchgänge in den vier Sprachen. Hier habe ich mich zeitlich etwas verschätzt. Und die letzte News ist, dass zur Zeit die Produktion in Athen «aus technischen Gründen» gestoppt sei. Im Moment gibt es also nur ganz wenige Exemplare – aber die Griechen kriegen früher oder später alles hin, das habe ich mittlerweilen gelernt …
Nun läuft ja auch die Ausstellung zum Buch im Kornhausforum in Bern. Herzliche Gratulation.
Ja, ich bin sehr froh, dass diese Ausstellung zustande kam. Es sind hier auch noch ein paar Bilder mehr zu sehen, und die Handabzüge sind qualitativ noch einen Tick besser als dies in der gedruckten Ausgabe möglich ist. Das Interesse an den Bildern ist grösser als ich erwartete. An der Vernissage letzte Woche im Beisein des Griechischen Botschafters hatte es sehr viele Leute, und bereits haben sich einige hier in der Schweiz ansässige Griechen angemeldet, welche die Ausstellung noch besuchen wollen.
Ich möchte an dieser Stelle allen Beteiligten danken, dass dieses Projekt mit dem Buch und der Ausstellung so perfekt und zeitgleich realisiert werden konnte, und ich hoffe, dass ich den Lesern und den Besuchern nicht nur ein intaktes Stück Inselwelt näherbringen kann, sondern dass ich mich mit diesem Werk auch bei meinen Freunden in Kreta für ihre Herzlichkeit, Offenheit und Gastfreundschaft bedanken kann. Es ist schon so: «Fotografie verbindet Menschen …». Und der Vorteil ist: die Bildsprache braucht keine Übersetzung.
Das Interview führte Urs Tillmanns
Buchbeschreibung
Die griechische Wirtschaft steht seit Jahren in den Schlagzeilen. Die Bevölkerung in den Städten leidet, Armut macht sich breit. Etwas weniger dramatisch ist die Situation auf den Inseln. Hier gibt es viele Selbstversorger oder im Tourismus Tätige, die Familienstrukturen sind noch intakt.
Das Buch porträtiert ein paar von ihnen, allen voran Nikos Frangiadakis, einen Fischer im Osten von Kreta, in einem kleinen Dorf am Hang zwischen Palekastro und dem Meer. Sofern es nicht zu viel Wind hat, tuckert er mit seiner «Erieta» vom Hafen Kouremenos aus hinaus, in einer der angrenzenden Buchten setzt er die Netze. Ein paar Stunden später dann folgt die «Ernte», manchmal etwas reicher, immer wieder eher bescheiden.
Hansueli Trachsel, ein Liebhaber der klassisch-schwarzweissen Reportagefotografie, kennt Nikos seit zwanzig Jahren. Immer wieder darf er seinen Freund mit der Kamera aufs Meer hinaus begleiten. Neben Aufnahmen der überwältigenden Natur zwischen fast unberührten Küsten und kargen Bergen stehen Bilder der Olivenernte und Ölproduktion, der Jagd, der Wanderimkerei und der Meersalzgewinnung, der typischen Zwiebackbäckerei, des Schnapsbrenners und des Lyrabauers: Nostalgie für die Augen der Touristen – Alltag und oft hartes Brot für die Einheimischen.
Der Fotograf
Hansueli Trachsel (*1951) ist als freier Bildjournalist für verschiedenste Auftraggeber und eigene Projekte tätig. Der Berner Fotograf war früher als Fotojournalist und Bildredaktor beim «Bund» tätig. Er hat an zahlreichen Ausstellungen teilgenommen und wurde mehrfach ausgezeichnet. Mehrerer Bildbände und Bücher mit Fotos von ihm sind bei verschiedenen Verlagen erschienen.
Die Ausstellung im Kornhausforum Bern.
Bibliografie
Verlage:
• Mystis-Verlag, Heraklion
• Stämpfli Verlag AG, Bern
Erscheinungsjahr: 2015
162 Seiten, broschiert, geleimt
Sprachen: Deutsch, Griechisch, Englisch, Französisch
Mit einer Einleitung von Nadja Heimlicher und Kapiteltexten von Hansueli Trachsel
ISBN978-3-7272-1437-0
Preis: CHF 29.00
Das Buch kann hier online bestellt werden.
Schlicht und einfach nur schön, faszinierend, packend, herzlich – ein grosses, wichtiges, wunderbares Werk! Gratuliere!
(…bin eben auch grosser Kreta-Liebhaber mit wunderschönen, eigenen Erlebnissen…)
Ich kann es sehr gut nachvollziehen.Ihre Bilder und Erlebnisse in Ostkreta.
Meine Frau und ich,waren schon öfters in Palekastro und durften einmal
den ganzen November und den halben Dezember im Hionastudio
wohnen.Wir haben immer das Gefühl nach Hause zu kommen,wenn wir
in Palekastro sind.
mit freundlichen Grüßen R.Zielke