Das Thema «Auto» ist in – nicht nur wegen des Autosalons in Genf, sondern auch wegen der Ausstellung «Drive-in» in der Bildhalle in Kilchberg. Sie zeigt eine einmalige Schau mit Bildern berühmter Fotografen wie Elliott Erwitt, René Burri, Inge Morath und Thomas Hoepker, die sich mit dem fotogenen Sujet Auto befasst haben.
Der amerikanische Traum von Freiheit und Unabhängigkeit, der in den 1950er Jahren aufkam, ist ohne die grossen Mittelklassewagen und luxuriösen Limousinen als symbolträchtige Fortbewegungsmittel undenkbar. In ihrer Gruppenausstellung «Drive in – Das Automobil in der Fotografie», die derzeit in der Galerie Bildhalle in Kilchberg zu sehen ist, zeigen die Galeristinnen Esther Woerdehoff (Paris) und Mirjam Cavegn 53 Bilder von 25 namhaften Fotografen, in denen das Auto als Attribut im Vordergrund steht.
Die Ausstellung entstand auf Initiative von Esther Woerdehoff (links) in der jungen Galerie von Mirjam Cavegn. Foto: Monica Boirar
Als die Schweizer Fotografin Simone Kappeler Anfang der 1980er Jahre nach Amerika reiste, um Land und Leute kennen zu lernen, kam für sie nur ein ganz grosser Wagen in Frage. Die fotografischen Ikonen mit «Amischlitten» vor Augen und die Automobile, in denen Hollywoods Stars und Sternchen durch die Landschaft flitzten, kaufte sich Kappeler kurz entschlossen einen Ford Gran Torino. Und in eben diesem Wagen ist die Fotografie entstanden, die wie keine andere das amerikanische Lebensgefühl zu spiegeln vermag.
Simone Kappeler «Los Angeles», Fujiflex color print. © Esther Woerdehoff / Bildhalle
Der Schnappschuss vom Rücksitz des Autos aus sei irgendwo auf einer Highway in Los Angeles im letzten, warmen Abendlicht mit einer billigen Plastikkamera entstanden mit dem schönen Namen «Brownie Holiday», in der ein Mittelformatfilm eingelegt war. Die Kombination von billiger Optik und hochqualitativem Film ermöglichte diese Aufnahme, erzählt die Fotografin. Eine Hasselblad mitsamt Stativ hätte sie schon dabeigehabt, aber nicht zuletzt die technischen Mängel, so auch die Unschärfe im roten Haar der jungen Frau, machen den besonderen Charme des Bildes aus. Zu sehen ist der zarte Nacken und ein Teil des Rückens, vom ovalen Ausschnitt der Bluse freigegeben; es ist Karin, die Freundin der Fotografin auf dem Beifahrersitz, die den Kopf leicht zur Seite zum Fahrer hin neigt; die Armatur aus Holz, der Ausblick durch die Frontscheibe auf die Autobahn und die Schlitten unmittelbar vor dem Wagen, als grossformatige Krönung der Gruppenausstellung in der Bildhalle in Kilchberg ist dies alles für einen fünfstelligen Betrag zu haben.
Inge Morath mit der alten Dame Eveleigh Nash, London 1953. © Esther Woerdehoff / Bildhalle
Das Bild ging vorerst vergessen. Kappeler musste ja auch noch drei Söhne grossziehen und war mit anderen fotografischen Themen beschäftigt. Vor zwei Jahren hat sie das mittlerweile nostalgisch anmutende Bild gemeinsam mit ihrer Galeristin Esther Woerdehoff wieder entdeckt. Und als diese eine zweite Einzelausstellung mit der Künstlerin in ihrer Galerie für klassische und zeitgenössische Fotografie realisieren wollte, suchte sie nach passenden Bildern, um die Ausstellung zu erweitern und sei in ihrer Sammlung fündig geworden, beschrieb Woerdehoff den über 100 Besucherinnen und Besuchern anlässlich der Vernissage der Ausstellung die Idee und Entstehungsgeschichte der Gruppenausstellung «Drive in».
Thomas Hoepker «Muhammad Ali being driven around his hometown», USA Louisville, Kentucky. 1966 © Esther Woerdehoff / Bildhalle
Inmitten von Fotoikonen ihrer Kollegen der Agentur Magnum, Inge Morath, Thomas Hoepker, René Burri, Leonard Freed und Elliott Erwitt, ist Simone Kappelers Fotografie zusammen mit weiteren Arbeiten europäischer Fotografen bestens aufgehoben. Auch die Schweizer Fotografen Tobias Madörin, Maurice Haas und Hans Peter Riegel, die von der Galeristin Mirjam Cavegn in ihrer noch jungen Galerie vertreten werden, haben sich einen ehrenvollen Platz in illustrer Gesellschaft ergattert.
Emil Schulthess «Auto-Occasionsmarkt», Detroit, USA, 1953, © Fotostiftung Schweiz
Die Fotostiftung in Winterthur ist in der Kilchberger Ausstellung mit drei Bildern des Schweizers Emil Schulthess (1913–1996) vertreten. Seine Farbfotografie mit den dunklen Limousinen, 1953 in einem Auto-Occasionsmarkt in Detroit aufgenommen, deren hochglänzende, kurvige Karosserie die Lichterketten aus Glühbirnen spiegelt, hat märchenhafte Züge. Das Bild mit dem Grizzlybären, der sich im Yellowstone-Nationalpark auf seinen Hinterbeinen stehend an einer Limousinentüre abstützt, ist bestimmt das Lieblingsbild aller Kinder.
René Burri «Men on a rooftop», Sao Paolo, 1960, Gelatin Silver Print. © Esther Woerdehoff / Bildhalle
Die Bernische Stiftung für Fotografie, Film und Video ist mit sechs Schwarzweissbildern des Schweizers Paul Senn (1901–1953) präsent. In der Ausstellung gesellen sich zu drei Aufnahmen mit Rennwagen aus den 1930er Jahren, Skiträgern am Heck eines Automobils und einem schlafenden Kind im Rennwagen, allesamt Fotos, die er in der Schweiz aufgenommen hatte, zwei Marines mit aufgesetzten Sonnenbrillen, die 1951 in Texas lässig neben ihrem Van für die Kamera posieren. Der Schweizer Fotograf René Groebli (geb. 1927), der seinen Nachlass der Fondation Auer in Genf überlassen hat, zeigt zwei Farbfotografien mit Autos, die 1961 von seinem Studio Groebli für Werbe- und Industriefotografie mit farbigem Licht aufgenommen wurden sowie zwei Scharzweissbilder, eines von London aus dem Jahr 1949 und eines aus seiner New York-Serie des Jahres 1978.
Axel Martens «Der erste Porsche 3», Baujahr 1950, Hamburg, 2009. © Esther Woerdehoff / Bildhalle
Im Auto, am Auto, rund ums Auto. Die Automobile der 50er und 60er Jahre mit ihrer kurvenreichen Karosserie, den anmutigen Rundungen, die nicht einer gewissen Erotik entbehrten, das glänzende Blech, die Spiegelungen auf schwarzem Lack, der Duft von weichem Leder, die Lieblingsmusik aus dem Autoradio, eine Zigarette im Mund, den Idolen James Dean oder Marilyn Monroe nacheifernd mit Blick auf das mondäne Armaturenbrett, das leise Schnurren des Motors beim Anfahren, das Auto als Fetisch, am Steuer oder auf dem Beifahrersitz, mit Blick in den Rückspiegel, auf dem Rücksitz der Limousine sich entspannt zurücklehnen, das sei alles sehr sexy, stellte Woerdehoff in ihrer Rede fest. Wer wundert sich, angesichts der vielen Freiheiten, die im intimsten Privatbereich auf vier Rädern genossen wurden, dass man die amerikanische Lebenskultur wie keine andere beneidete und bewunderte. Die breiten Wagen, aus der distanzierten Vogel- oder gar Luftperspektive gesehen, Insekten gleich, verstopften während der Rush Hours die Strassen, im Feierabendverkehr blockierten die rollenden Traumgebilde die vielbefahrenen Strassenkreuzungen. Auch aus diesem Blickwinkel betrachtet, boten die Limousinen ein äusserst fotogenes Sujet.
Sam Shaw «Marilyne Monroe und Henry Miller im Auto», New York City, 1957, Silbergelatine Print. © Esther Woerdehoff / Bildhalle
Die wertvolle Ikone von Robert Frank aus dem Bildband «Die Amerikaner», die Woerdehoff in ihrer Galerie in Paris gezeigt hatte, konnte sie aus versicherungstechnischen Gründen nicht nach Kilchberg bringen. Das Bild lässt sich aber unschwer vor dem geistigen Auge visualisieren, und wem das nicht gelingen sollte, dem hilft Google weiter, gemeint sind die Hinterteile der geparkten Wagen im Drive-in-Movie vor der Freiluft-Kinoleinwand. Alles weitere muss imaginiert werden, die Insassen der Autos, die den neusten Streifen in ihrem mobilen Zuhause genossen und dabei assen, tranken, schmusten … Überhaupt sei es bedauernswert, scherzte Woerdehoff in ihrer sympathischen Art, dass offenbar keine Statistik darüber Auskunft gebe, wie viele Kinder auf zurückgeklappten Beifahrersitzen jemals gezeugt wurden. Die Amerikaner hätten alles verkauft bis zu ihrem letzten Hemd, weiss die Galeristin, ausser ihr Auto; das mobile Zuhause sei ihnen wichtiger als das eigene Haus. In dem grossen Land, das die doppelte Fläche der europäischen Union ausmache, müsse man sich fahrenderweise fortbewegen können.
Nicolas Dhervillers, Untitled no. 6, Lambda Print. © Esther Woerdehoff / Bildhalle
Nach Paris und Ljubljana ist Kilchberg bereits die dritte Station von «Drive in». Anschliessend bilde sie an der Photo-Basel, der ersten Messe, die sich während der Basler Art ausschliesslich der Fotografie widme, das Rahmenprogramm dieser neu ins Leben gerufenen Show, informierte die Gastgeberin Mirjam Cavegn.
Eliott Erwitt, «Wyoming», 1954, Gelatin Silver Print. © Esther Woerdehoff / Bildhalle
Bis am 30. April bleibt aber noch Zeit, um nach Kilchberg zu pilgern, zu Fuss, wie sich Esther Woerdehoff am liebsten fortbewege, gab sie an der Vernissage preis oder mit dem Zug zum Bahnhof Wollishofen und dann mit einem Bus der Zürcher VBZ bis Haltestelle Stadtgrenze oder im eigenen Wagen, auch wenn er vielleicht dem Vergleich mit einem luxuriösen «Amischlitten» nicht standzuhalten vermag. «Drive in – Das Auto in der Fotografie», das Auto als Bildmotiv. Ob als mögliche Fortsetzung einer thematischen Gruppenausstellung eventuell das Fahrrad als Fotosujet in Frage kommen könnte?
Monica Boirar
Louis Stettner «On a Dutch Ferry», 1958, Silver Print. © Esther Woerdehoff / Bildhalle
Ausstellungsort
Galerie Bildhalle, Seestrasse 16, CH-8802 Kilchberg
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag von 11 bis 17 Uhr, samstags von 10 bis 14 Uhr.
Anfahrt: Bus 161 oder 165 ab Bürkliplatz, Haltestelle Stadtgrenze, 100 Meter zu Fuss Richtung Thalwil. Öffentliche Parkplätze kurz nach der Bildhalle seeseitig.
Die Ausstellung ist noch bis 30. April 2015 in der Galerie Bildhalle zu sehen.