Arles bietet jedes Jahr mit den «Rencontres» mehr als eine Standortbestimmung der zeitgenössischen Fotografie. Das Programm der 35 Ausstellungen wird vielfältig ergänzt durch Workshops, Fotografengespräche und Begegnungen – wie es der Name sagt. Die Ausstellungen dauern noch bis zum 20. September 2015.
Arles ist ein jährlicher Höhepunkt der europäischen Kunstfotoszene: 35 Ausstellungen und Events, dazu jede Menge Workshops, Vorträge, Diskussionen und Projektionen umfasst das Programm, von dem viele über die nun vergangene Eröffnungswoche hinaus eine Attraktion für die Besucher der schmucken Provence-Stadt bleiben. Die Ausstellungen beispielsweise sind bis 20. September 2015 zu sehen, Workshops gibt es das ganze Jahr hindurch. Dazu gibt es im Städtchen noch jede Menge kleinerer Galerien, die während den Rencontres natürlich die Fotografie zum Thema machen oder ohnehin darauf spezialisiert sind. Arles lebt von der Fotografie und für die Fotografie.
Die diesjährigen, 46sten Rencontres d’Arles sind Lucien Clerque (1934-2014) gewidmet, einem der Väter dieses Festivals, der sich ein Leben lang für die Fotografie in der Provence eingesetzt hat und im letzten Dezember im Alter von 80 Jahren verstorben ist. Nachdem Lucien Clerque in den 1960er Jahren vor allem mit seinen Provence-Bildern und Aktaufnahmen Berühmtheit erlange, hatte er sich immer für die Bekanntheit der Rencontres und den kulturellen Wert der Fotografie eingesetzt.
Ihm ist an den diesjährigen Rencontres auch eine Gedenkausstellung von Serge Assier und Philippe Jaccottet im «Maison de la vie associative d’Arles» gewidmet – sehr sehenswert, wenn man sich für das Leben und Schaffen von Lucien Clerque interessiert.
Hier einige Highlights der Ausstellungen und Events an den diesjährigen Rencontres de la Photographie in Arles:
Ein Höhepunkt der klassischen Fotografie ist die Ausstellung des «Maison de la Photographie Européenne, Paris», das an den Rencontres in Arles zu Gast ist. Das Museum zeigt eine hochwertige Selektion bekannter Klassiker, wie Richard Avedon, Larry Clark, Raymond Depardon, Robert Frank, Ralph Gibson, William Klein, Josef Koudelka, Irving Penn, Bernard Plossu oder Johan van der Keuken. Ein gern gesehener Kontrapunkt zu den vielen Ausstellungen zeitgenössischer Künstler.
Die beiden Ausstellungen «Total Records» von Jacques Denis und «The LP Company» der beiden Schweizer Laurent Schlittler und Patrick Claudet im Atelier des Forges, sind der fotografischen Gestaltung von Schallplattenhüllen gewidmet. Sie zeigen Originalaufnahmen und die schlussendliche Verwendung der Bilder auf bekannten Tonträgern der 1960er bis 1990er Jahre. Die Realisierung wurde von der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Kulturstiftung Pro Helvetia unterstützt.
Der französische Künstler Olivier Cablat präsentiert seine Video-Metamorphosen mit seiner riesigen Ente, die auf das Gebäude von Martin Maurer und das Jahr 1930 zurückgeht. Sie ist zu Cablats Markenzeichen und Konzept seiner Videoanimationen geworden, die aus Tausenden von Bildern aus dem Internet bestehen.
«MMM – Matthieu Chedid rencontre Martin Parr», die Begegnung eines grossen Komponisten und einem der bekanntesten zeitgenössischen Fotografen, ist ein interessantes hybrides Experiment. Zudem sind die Installationsbuchten ein willkommener Ruheort für die Besucher
Markus Brunetti und seine Partnerin Betty Schöner haben eine eigene Technik entwickelt, um Architekturobjekte völlig zentralperspektivisch darzustellen, auch wenn der Standort eine Gesamtaufnahme aufgrund vorgelagerter Bauten gar nicht zulässt. Die von den beiden Künstlern entwickelte Mehrfachaufnahmetechnik kombiniert mit einer aufwändigen Nachbearbeitung berücksichtigt auch perspektivische und beleuchtungsbedingte Korrekturen. Die Bilder haben sowohl einen sehr hohen künstlerischen als auch dokumentarischen Wert.
Die Ausstellung «Another Language» entführt uns in die Fotowelt Japans. Die acht Fotografen Eikoh Hosoe (1933), Masahisa Fukase (1934-2012), Daido Moriyama (1938), Masatoshi Naito (1938), Issei Suda (1940), Kou Inose (1960), Sakiko Nomura (1967) und Daisuke Yokota (1983) präsentieren uns ein breites Spektrum fotografischen Schaffens in klassischer und moderner Stilrichtung.
Die beiden italienischen Aktionskünstler Niccolò Bennetton und Simone Santilli nennen sich «The Cool Couple» widmen sich fotografisch dem Thema «Bartformen» und bieten als Happening den Besuchern kostenlose Bartrasuren an. Fotoausstellungen können also durchaus eine humoristisch-unterhaltende Note haben …
Ambroise Tézenas zeigt in seinen Bildern «I was here – Tourisme de la désolation» Orte der humanitären Tragik, an welchen die Touristen Führungen erleben. Diesen «schwarzen Tourismus» führte ihn in frühere Erdbeebengebiete, zu Industriekatastrophen (wie Tschernobyl), oder an Orte von Krieg, Gefangenschaft, Folter und Völkermord. Er hat neben europäischen und chinesischen Schauplätzen auch Kambotscha, Ruanda, die Ukraine und den Libanon besucht.
ֿ«Oser la photographie» im Musée Réattu präsentiert eine Sammlung von 200 Fotografien, die aus einer Sammlung eher gewagter Fotografie stammen. Lucien Clerque und Maurice Rouquette, damaliger Konservator des Museums Réattu, hatte mit der Kollektion vor 50 Jahren begonnen, und heute umfasst sie rund 5000 Bilder. Sie befasst sich schliesslich mit der ewigen, unbeantworteten Frage: «Was bringt die Fotografie der Kunst?». Unser Bild zeigt die Installation «Effigies en Sursis, Procession d’Images» nach Oliver Roller.
Die beiden italienischen Fotografen Paolo Woods und Gabriele Galimberti haben in ihrer Serie «Les Paradis, Rapport annuel» das unbekannte Innenleben der Grosskonzerne dokumentiert und haben dafür eine fingierte Firma gegründet «The Heavens». Dahinter verbergen sich Apple, Bank of America, Coca-Cola, Wal-Mart und 285’000 weitere Firmen …
Nicht nur Ausstellungen gehören zum Kulturangebot, sondern am Rande auch Podiumsgespräche, Diskussionen und Fotografeninterviews. Im Theater von Arles fand auf Anregung des Institut Français eine Diskussion unter dem Titel «Bartes is back» statt, bei der es um die Schaffung einer internationalen Bilddokumentation geht.
Die beiden italienischen Fotografen Alex Majoli und Paolo Pellegrin, die mehrheitlich in Amerika arbeiten, haben eine eindrucksvolle Reportage über den Kongo realisiert, die in der Ausstellungshalle «Le Magasin éléctrique» auf grosse Beachtung stösst. Die Bilder verführen uns in den Kongo der Ureinwohner bei ihren urtümlichen Tätigkeiten und bringen sprechen uns mit einer sensiblen Botschaft an.
Gespannt verfolgen die Besucher, was Alex Majoli und Paolo Pellegrin bei ihrer Expedition alles erlebt haben und wie diese einfühlsamen Bilder entstanden sind.
Für viele junge Fotografen ist das Portfolio Review eine einmalige Chance, die Bilder von einem arrivierten Fotografen beurteilen zu lassen. Für viele ein motivierendes Erlebnis – für andere eine ernüchternde Erfahrung.
Die Schweizer Kulturförderung hat sich dieses Jahr an den Rencontres in Arles engagiert und verschiedene Projekte unterstützt. Dazu gehört auch der Erholungsbereich «Nonante Neuf» mit einer Bildwand, die Schweizer Fotografen gewidmet ist – allen voran René Burri, der an den Rencontres sehr bekannt war.
Das «Atelier de la formation» ist für Jugendliche konzipiert, die spielerisch an die Fotografie herangeführt werden – und davon fasziniert sind.
Das riesige Areal einer früheren Eisenbahnwagenfabrik dient mit vielen Mehrzweckhallen als eine willkommene Erweiterung der Rencontres. Originelle Abwechslung für die Besucher sind die Kopflochwände des Künstlers Liam Gillick von All-Imitate-Act, die in Zusammenarbeit mit dem Stedelijk Museum und dem Holland Festival entstanden.
Nichts unversucht lassen: Ungewohnte Standorte bringen ungewöhnliche Bilder …
Der holländische Fotograf Toon Michiels hat in den 1970er Jahren die Vereinigten Staaten besucht und die damals wichtigsten Casinos in Las Vegas bei Tag und bei Nacht vom gleichen Standort aus fotografiert. Daraus ist eine interessante Serie mit Bildpaaren geworden, die abgesehen vom faszinierenden fotografischen Thema auch eine wertvolle Dokumentarische Note geniesst: Die meisten der gezeigten Vergnügungsstätten existieren heute nicht mehr.
Aber Arles bietet auch das Jahr hindurch viel für Fotobegeisterte. Ganz abgesehen von der motivreichen, pittoresken Altstadt, sind viele der Galerien auf Fotografie spezialisiert.
So, als Beispiel für viele andere, Anne Eliayan mit der «ArlesGallery». Sie hat ein fotografisches Thema – Arles – und setzt ihre Bilder auf interessante Weise artistisch um.
Die Ausstellungen der Rencontres Arles sind noch bis 20. September 2015 zu sehen.
Weitere Informationen über die Rencontres in Arles finden Sie auf der Webseite www.rencontres-arles.com
Die Aufnahmen wurden von Urs Tillmanns mit der neuen Leica Q gemacht.
Merci pour ton reportage à Arles
Grüße MP