Urs Tillmanns, 17. Oktober 2015, 09:00 Uhr

Buchtipp: Peter Michels «Das Kollodium – Handbuch der Nassplatten-Fotografie»

Peter Michels befasst sich seit Langem mit historischen Fotoverfahren und bietet zu diesen Themen immer wieder Workshops an. Eines der faszinierendsten und erfolgssichersten Verfahren ist die Kollodium-Technik. Jenen längst vergessenen Rezepturen hat Peter Michels jetzt ein Handbuch gewidmet und darin eine exakte Anleitung zum Kollodiumverfahren publiziert. Es ist aber mehr als ein Praxisbuch …

 

Im Zeitalter der digitalen Fotografie ein Buch über ein historisches Fotoverfahren zu schreiben, und dieses erst noch selbst zu verlegen, ist mutig. Und doch, dem Werk kommt eine absolute Alleinstellung zu: Das letzte umfassende Handbuch über die Nassplattenfotografie dürfte wahrscheinlich weit über 100 Jahre alt und nur noch im Bibliotheken und Privatsammlungen zu finden sein.

Dass Peter Michels dieses Verfahren der fotografischen Urzeit wieder aufgreift, entspricht seiner Leidenschaft, alte Fotoverfahren auszuprobieren, sich darin zu perfektionieren und sein fundiertes Wissen in Workshops an jene weiterzuvermitteln, die ebenfalls vom fotografischen Nostalgiebazillus befallen sind. Und hier kommt auch gleich eine Warnung: Experimentieren Sie nicht einfach von sich aus, sondern wenden Sie sich an jemanden, der auch die Gefahren damals verwendeter Chemikalien und Stoffe kennt – wie beispielsweise Peter Michels.

Die Kollodiumfotografie war jenes Verfahren, das ab 1851 die Daguerreotypie und die Kalotypie ablöste. Zwar war die Empfindlichkeit der Platten höher, die Belichtungszeiten kürzer, doch musste dieser Vorteil mit der Schikane erkauft werden, dass die Platten vor Ort in einem Dunkelzelt präpariert und nach der Aufnahme gleich entwickelt werden mussten. Weiter Pluspunkt: Die Chemikalien waren weitaus weniger gefährlich, als beispielsweise die Quecksilberdämpfe der Daguerreotypie, und das Verfahren war bei aller Umständlichkeit relativ erfolgssicher.

Wahrscheinlich ist der letzte Punkt der Grund, weshalb sich Peter Michels in seinen Workshops auf das Kollodiumverfahren spezialisiert und dazu nun ein Buch verfasst hat. Es ist aus der Keimzelle von Kursunterlagen entstanden und hat sich nun zu einer Publikation gemausert, die ein hohes Prädikat verdient.

Das Buch ist ein gelungener Mix aus Fotogeschichte, Verfahrensanleitung und Bildband. Michels versteht es auf diese Weise seine Leser zu fesseln, erklärt wie und mit welchen Gerätschaften die Fotografen damals gearbeitet hatten, zeigt interessante Portfolios zeitgenössischer Fotokünstler, die ebenfalls mit dem Kollodiumverfahren arbeiten und gibt letztlich sehr exakte und persönlich erprobte Rezepte weiter, die als Anleitung für die moderne Nassplatten-Fotografie absolut tauglich und leicht nachvollziehbar sind. Das Buch macht neugierig, fesselt beim Lesen und regt an, sich selbst einmal in der Technik der Nassplattenfotografie zu versuchen. Vielleicht nicht gerade jetzt, aber vielleicht später einmal …

Die Neuerscheinung über das Kollodiumverfahren ist in seiner Art, zumindest im deutschen Sprachraum, einzigartig und gehört in jede Fotobuchsammlung. Das Buch ist nicht nur als Praxisanleitung unverzichtbar, sondern es erklärt fundiert, wie jenes Verfahren genau funktionierte, welches der Fotografie vor über 160 Jahren zum populären Durchbruch verhalf.

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlages

Die Kollodium Nassplattentechnik gilt als eine der Königsdisziplinen der Alternativen Fotografie und erlebt seit einigen Jahren weltweit ein grosses Revival. Die 1851 entwickelte Aufnahmetechnik machte die Fotografie erst zu einem Massenmedium. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Nassplattentechnik als «grässlichster und unzuverlässigster aller chemischen Fotoprozesse» verdammt. Mussten die Fotografen doch ihre Platten vor Ort beschichten, belichten und entwickeln.

Heute besteht für Fotografen der Reiz der Nassplattentechnik darin, sich mit ihren komplexen Prozessen auseinanderzusetzen, sich wieder mit Grossformatkameras und mobilen Dunkelkammern vor Ort zu begeben. Sie verfolgen das Ziel, die kreative, handwerkliche und künstlerische Deutung der Fotografie als Geisteshaltung zu betonen. Dabei entstehen immer wieder charaktervolle Unikate.

«Das Kollodium» ist das umfangreichste Handbuch zur Positivtechnik mit Nassplatten seit ihrer Erfindung vor mehr als 100 Jahren. Über 400 Abbildungen, Illustrationen, Anleitungen und ausführliche Informationen bieten einen umfangreichen, aktuellen Überblick der modernen Nassplattenfotografie mit Kollodium. Ferner geben zehn Porträts von zeitgenössischen Künstlern Einblick in ihr fotografisches Werk im Bereich der Kollodium Nassplatte.

 

Michels Kollodium 01

 

Der Inhalt

1. Die Grundlagen
Das Lichtbild / Die Fotografie auf Glas / 1849–1850–1852 / Der Negativprozess / Der Positivprozess / Das Dunkelfeldprinzip / Die Vor & Nachteile / Die Fotografie auf Blech / Die «Carte des Visites» / Das Ende & Renaissance

 

Michels Kollodium 02

 

Bildteil Tony Richards, Grossbritannien
Tony Richards Zugang zur Nassplattenfotografie ist eklektisch. Für ihn stellt die Technik eine willkommene Alternative zur starren, präzisen Bildwelt als wissenschaftlicher Fotograf dar. Die erzählende Sichtweise dominiert die Technik bei Weitem. Bisweilen schleicht sich bei den Bildern ein für die Nassplatte typischer morbider Charme ein.

 

Michels Kollodium 03

 

2. Das Equipment
Die Kameras / Die Grossformatkameras / Das Packfilmmagazin / Die Filmkassette anpassen / Die Objektive / Das Studio & Location / Die Dunkelkammern / Licht & Belichtung /  Kopfstütze

Bildteil Dennis Ziliotto, Italien
Die Inszenierungen von Dennis Ziliotto stellen eine bizarre Mischung aus Humor und Erotik dar. Dabei sucht er einen unverkennbaren Stil zu entwickeln, was ihm auch gelingt. Die Bilder sind allesamt Studioaufnahmen mit zum Teil selbst gebauten Kunstlichtquellen.

 

Michels Kollodium 04

 

3. Die Geräte
Das Silberbad / Messen & Wiegen / Filtern & Wärmen / Hilfsmittel / Arbeitsschutz

Bildteil Silverbox Studio, Portugal
Das bewusste Spiel mit dem Sehen und dem Handwerk steht im Zentrum von Rute Magalhães und Filipe Alves Arbeiten. Dieses bewusste Sprengen der Grenzen der Nassplattenfotografie erlaubt es ihnen, eine faszinierende Abstraktion der Motive zu erreichen.

 

Michels Kollodium 06

 

4. Die Materialien
Aluminium / Plexiglas / Acrylglas / Klarglas / Schwarzglas / Angie Pember Brockey

Bildteil Borut Peterlin, Slowenien
Borut Peterlins Arbeiten zeichnen sich durch seine getriebene hochpräzise Arbeitsweise aus. Im Projekt «Great Depression» akzeptiert er nicht nur die Spuren des wirtschaftlichen Niedergangs, sondern auch die Unzulänglichkeiten des Prozesses. So verstärken die Artefakte der Nassplattentechnik die Bilder und betonen diese.

 

Michels Kollodium 08

 

5. Die Chemikalien
Die Nitrate / Die Bromide & Iodide / Die Sulfate / Die Carbonate / Organische Stoffe & Harze / Die Solvente / Biopolymere / Die Säuren / Die etherischen Öle / Die Hilfsmittel

Bildteil Jacqueline Roberts , Deutschland
Die technischen Anforderungen der Nassplattentechnik machen die Arbeit mit Kindern schwierig. Wer Kinder hat, der weiss, wie ungeduldig sie sein können. Jacqueline Roberts Inszenierungen ihrer eigenen Kinder gründen auf Vertrautheit. Die Kinder kennen den beinahe zeremoniellen Ablauf. Das Fotografieren der Mutter wird zu einem gemeinsamen Projekt. Die Nähe und Ruhe in den Bildern belegen dies.

 

Michels Kollodium 09

 

6. Die Formeln
Das Kollodium / Die Kollodiumformeln / Das Silberbad / Der Entwickler / Das Fixierbad / Die Firnisse

 

Michels Kollodium 10

 

Bildteil Andrew Dearman , Australien
Andrew Dearmans Zugang zur Nassplattentechnik entspringt dem künstlerischen Experiment. Seine amüsanten Inszenierungen wurden mit einer einfachen selbst gebauten Kamera aus Karton aufgenommen. Mit seiner mobilen Dunkelkammer bzw. Camera-a-Favorée kultiviert er den funktionalen Anspruch wie den unterhaltsamen Aspekt der Nassplattenfotografie.

 

Michels Kollodium 11

 

7. Die Anleitung
Vorbereitungen / Das Glas Schneiden / Das Glas polieren / Beschichten der Glasplatte / Sensibilisieren der Platte / Das Belichten / Das Entwickeln  / Das Fixieren / Das Lackieren

Bildteil Andreas Reh , Deutschland
Die Inszenierungen von Andreas Reh bestechen durch ihre perfekte atmosphärische Ausleuchtung. Sie sind ein Wechselspiel von erotischer Nähe und respektvoller Distanz. Genau dieser Respekt macht seine Bilder wertvoll. Obwohl Reh erst wenige Jahre mit der Nassplattentechnik arbeitet, hat er viel zur Erneuerung derselben beigetragen.

 

Michels Kollodium 13

 

8. Das Finishing
Das Finishing / Kolorieren & Polieren / Mit Asphalt beschichten / Platten scannen / Reproduktion mit Kamera / Aufbewahren

Bildteil Seb Kohler, Schweiz
Sébastien «Seb» Kohlers Porträts lassen eine eindrückliche Nähe zur dargestellten Person zu. Diesen tiefen, intimen Einblick machen seine Frontalporträts zu Meisterwerken der Nassplattenporträtkunst. Seine Fokussierung auf die Augen als Spiegelbild der Seele trägt wesentlich dazu bei, dass der Betrachter sich dem Porträtierten nicht entziehen kann.

 

Michels Kollodium 14

 

9. Einfach Beginnen
Einkaufsliste / Alternativen / Ein einfaches Silberbad / Die Dunkelkammerbox / Sich Zeit nehmen / Sauber arbeiten

Bildteil Peter Kunz, Deutschland
Die für dieses Buch ausgewählten Bilder haben alle ein gemeinsames Thema: Erinnerungen. So sind die «Headshots» (Sellerieköpfe) bewusst nicht gefirnist um die Bilder dem langsamen Verfall Preis zu geben. Der Verfall der Erinnerungen seiner Heimatstadt Fürth ist für Peter Kunz genauso Thema wie die Reliquien des eigenen Lebens in der Serie Myseum.

 

Michels Kollodium 15

 

10. Schwarzes Kapitel
Klimaeinflüsse / Basistests / Belichtungfehler / Schärfenfehler / Chemische  Probleme / Silberbad Wartung / Probleme & Artefakte

Bildteil Artjom Uffelmann, Deutschland
Artjom Uffelmanns Bilder entstehen auf Reisen. Das sorgfältige Abwägen der Belichtungszeit und Entwicklungszeit ist essenziell für ihn. Seine Bilder erinnern an die Tradition der «Grand Tour» des 19. Jahrhunderts und erzählen von Sehenswürdigkeiten, welche Uffelmann auch heute mit den Augen dieses Jahrhunderts zu sehen scheint. Die starken Kontraste sind typisch für Bilder, die bei hohem Sonnenstand aufgenommen sind.

 

Michels Kollodium 16

 

11. Annex
Workshops / Bezugsquellen Chemie / Bezugsquellen Equipment / Literaturverzeichnis / Plattenformate / Bildquellen / Verzeichnisse / Personenverzeichnis / Stichwortverzeichnis

 

Der Autor

Peter MichelsPeter Michels (*1970 in Zürich) Leidenschaft ist die Fotokultur. Ob als Profifotograf hinter der Kamera, oder von 2005 bis 2014 als Kurator hinter den Kulissen der grössten Foto-Werkschau der Schweiz der «photo» in Zürich. Peter Michels Biografie besteht aus unzähligen Bildern. Seine Vielseitigkeit konzentriert sich nicht nur in seiner Arbeit als Fotograf, Dozent, Autor und Ausstellungsmacher, er setzt sich stark für die Förderung der zeitgenössischen Fotografie und der Kreativwirtschaft ein. Peter Michels führt regelmässig Workshops über frühe Fotoverfahren durch.

 

Bibliografie

Peter Michels
«Das Kollodium – Handbuch der modernen Nassplatten-Fotografie»

248 Farbseiten mit über 400 Abbildungen
Hardcover, gebunden
Format: 17x22cm
Verlag: Fotokultur Media, Tuttlingen
ISBN 978-3-0004-9419-2
Preise: CHF 83.00, D: EUR 69.80, A: EUR 71.20

Das Buch kann hier online bestellt werden
Bestellung eines signierten Exemplares im Kommentarfeld angeben (Lieferzeit 3- 4 Wochen)

 

 

 

2 Kommentare zu “Buchtipp: Peter Michels «Das Kollodium – Handbuch der Nassplatten-Fotografie»”

  1. Je suis heureux de découvrir „das Kollodium Handbuch…“. Je suis collodioniste autodidacte. J’ai des élèves et suis obliger de rédiger des notes et explications. Je pensais écrire un livre mais voilà fait par vous, bravo.
    Allez-vous faire une édition en Français ? Si utile, je peux vous aider. Ich bin damalige Lithographer und seit einige Jahren „Kollodionist“ geworden.

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